Wiederkehr einer Legende: John Crankos – am russischen Klassiker orientiertes – Ballett "Onegin" von 1965 erinnert an die Arbeit eines früh verstorbenen Starchoreografen.

Ashley Taylor

Es tanzt die Geschichte einer verunglückten Liebe. Bei Alexander Puschkins 1833 publiziertem Roman Eugen Onegin tut sie das in Worten, die John Cranko für sein an dem russischen Klassiker orientiertes Ballett Onegin 1965 in Taten übersetzt hat. "Ich sehe Onegin als Mythos", so der legendäre Choreograf. "Onegin ist ein Mann, der alles hat: gutes Aussehen, Geld, Charme. Aber er tut nichts dazu. Das macht ihn erschreckend. Sein Problem ist ein sehr zeitgemäßes: Mangel an Erkenntnis."

Onegin, ein egozentrischer Aristokrat, trifft die Gutsbesitzertochter Tatjana, die sich in ihn verknallt. Als sie ihn davon wissen lässt, bleibt Onegin ungerührt und beginnt mit Tatjanas Schwester Olga zu flirten. Das provoziert seinen Freund Lenski so sehr, dass es zum Duell kommt. Lenski stirbt, Tatjana wird mit einem Großfürsten verheiratet. Als Onegin sich viel später seinerseits in Tatjana verliebt, weist diese ihn ab und stürzt den angejahrten Hallodri so in Verzweiflung.

Noch tragischer war John Crankos Tod. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere starb er am 26. Juni 1973 mit nur 45 Jahren während des Rückflugs von einer USA-Tournee an einem von einer Schlaftablette verursachten anaphylaktischen Schock. Etwas mehr als ein Jahrzehnt davor hatte er das von ihm geleitete Stuttgarter Ballett nach der frenetisch gefeierten Uraufführung seiner Choreografie Romeo und Julia als "deutsches Ballettwunder" zum Weltruhm geführt.

Seine Inspiration

Außerdem inspirierte er Weiterentwicklungen für das europäische Ballett: Seiner Talentschmiede entstammen Choreografie-Stars wie William Forsythe, Jirí Kylián und John Neumeier. Auch das machte Cranko zu einer Schlüsselfigur im Ballett des 20. Jahrhunderts. Geboren in Südafrika, begann der Künstler seine Ausbildung an der Universität von Kapstadt. Dort entstand 1942 als seine erste Choreografie das Ballett Suite aus der Geschichte vom Soldaten zu Igor Strawinskys Musik.

Cranko übersiedelte nach London und wurde Mitglied des Sadler’s Wells Ballet, des späteren Royal Ballet. Dort erregte er 1947 Aufsehen, als er dem Publikum ein Stück zu Debussys Children’s Corner vorstellte. Ab 1961 leitete Cranko eine Blütezeit des Stuttgarter Balletts ein. Seine Begabung, Geschichten nuanciert zu erarbeiten, sein Gefühl für Dramaturgie und Pas de deux begeisterten. 1969 absolvierte Cranko eine triumphale Spielzeit an der New Yorker Met.

Jetzt wird sein Onegin wieder an der Wiener Staatsoper gezeigt. Zu sehen sind unter anderen Ketevan Papava und Nina Poláková als Tatjana, Marcos Menha und Eno Peci als Onegin sowie Rebecca Horner als Madame Larina. (Helmut Ploebst, 4.1.2022)