Die Chefin der Stadtregierung Carrie Lam untersagte das Tian'anmen-Gedenken.

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Vergangene Woche waren bereits mehrere Mitarbeiter des Nachrichtenportals "Stand News" verhaftet worden. Kurz darauf war auch "Citizen News" an der Reihe. Diese teilten auf Facebook und Twitter mit, ab dem 4. Jänner stelle man den Betrieb ein. "Leider können wir unsere Überzeugungen nicht mehr angstfrei in die Tat umsetzen", twitterte die Plattform. Hongkong habe sich in den vergangenen zwei Jahren "stark verändert", und angesichts dessen "müssen wir die Sicherheit und das Wohlergehen aller Beteiligten gewährleisten".

Das Portal war spendenfinanziert. Im vergangenen Jahr hatten viele Journalisten dort angeheuert, nachdem die Behörden gegen die freien Medien der Stadt vorgegangen waren. Die größte freie Boulevardzeitung "Apple Daily" war im Juni geschlossen worden, ihr Gründer Jimmy Lai sitzt im Gefängnis.

Rabiate Behörden

"Stand News", die zweitgrößte freie Nachrichtenplattform, ging am Mittwoch vergangene Woche vom Netz, nachdem Polizisten die Redaktionsräume durchsucht und sieben Mitarbeiter festgenommen hatten. Mittlerweile gibt es kaum mehr unabhängige kritische Medien in der Stadt. In Hongkong hatte es bis 2019 fast keine Internetzensur gegeben, und die Stadt hatte sich trotz des wachsenden Einflusses vom Festland eine unabhängige Presse bewahren können. In den vergangenen Monaten aber sind die Behörden immer rabiater gegen die letzten Bastionen der Freiheit in Hongkong vorgegangen.

Um die Weihnachtsfeiertage herum demontierten Beamte Denk- und Mahnmale des Tian'anmen-Massakers von 1989 in Peking. An der Chinesischen Universität war am 24. Dezember die Statue der "Göttin der Demokratie" verschwunden. Die Universitätsleitung hatte als Begründung "Sicherheitsrisiken" angegeben.

Zum zweiten Mal untersagte die Stadtregierung unter Carrie Lam im vergangenen Jahr auch Mahnwachen im Gedenken an das Massaker vom 4. Juni 1989. Als Grund nannte Lam Gesundheitsmaßnahmen aufgrund der Pandemiesituation. Trotz des Verbots zündeten tausende Hongkonger Kerzen an oder leuchteten mit ihren Smartphones. Die Anwältin Chow Hang-tung, die daran teilgenommen hatte, wurde am Dienstag zu 15 Monaten Haft verurteilt.

Getilgte Erinnerungen

1989 hatten sich hunderttausende Menschen in der Hauptstadt Peking versammelt, um für mehr Demokratie und Menschenrechte zu demonstrieren. Die kommunistische Führung setzte Panzer und Maschinengewehre gegen die friedlichen Demonstranten ein. Tausende starben, und noch mehr gingen danach ins Exil, viele nach Hongkong, das damals noch britische Kronkolonie war. In Festland-China ist das Andenken an das Tian'anmen-Massaker weitgehend getilgt: Das Internet ist streng zensiert, Denkmäler oder Mahnwachen existieren nicht. Die meisten jungen Chinesen haben noch nie etwas davon gehört.

In Hongkong hatten ab 2014 vor allem Studenten für mehr demokratische Teilhabe demonstriert. Die Bewegung war von weiten Teilen der Mittelschicht unterstützt worden. Teilweise kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, im Großen und Ganzen aber war die Protestbewegung friedlich.

Die letzten freien Kommunalwahlen in Hongkong fanden im Dezember 2019 statt und resultierten in einem Erdrutschsieg für die Demokratiebewegung. Aufgrund des Versammlungsverbots im Rahmen der Pandemiemaßnahmen aber endeten die Proteste abrupt. Im Juli 2020 verkündete Peking das "Nationale Sicherheitsgesetz", das de facto die vertraglich zugesicherte Autonomie Hongkongs beendete. Seitdem wurden immer mehr Köpfe der Protestbewegung inhaftiert oder ins Exil gezwungen. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 4.1.2022)