Anfang Februar, so der Plan der Regierung, soll die Impfpflicht in Kraft treten.

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Über 170.000 Stellungnahmen waren es, die bis Montagvormittag zum kommenden Impfpflichtgesetz abgegeben wurden – so viele, wie die Parlamentshomepage noch nie gesehen hat. Selbst bei der umstrittenen Novelle des Epidemie- und des Covid-19-Maßnahmengesetzes waren es nicht einmal halb so viele, und doch genug, dass das Parlament seine Website umbauen musste. So können nun die Beiträge von Einzelpersonen getrennt von jenen von Institutionen betrachtet werden.

Wobei Letztgenannte in der Minderheit sind: Diese machen nur ein paar Dutzend Beiträge aus, wenn man das parlamentarische und das vorparlamentarische Begutachtungsverfahren zusammennimmt – dabei kommt es allerdings zu Doppelungen. Vertreten sind jedenfalls allerlei Organisationen. So ist da auch eine Stellungnahme des Österreichischen Aerobicverbands, in der von einer Vertrauenskrise in die Regierung die Rede ist, oder die eines Vorarlberger Yoga-Studios, in der es heißt: "Ich verwahre mich gegen die Einführung einer Impfpflicht."

Doch auch bekannte Organisationen und Institutionen haben ihre Expertise zum Entwurf abgegeben – und die Regierung versprach, diese zu berücksichtigen. Bis Montagabend läuft die Begutachtungsfrist noch. Zeit für einen Überblick, über die offenen Baustellen – und die Knackpunkte, die damit befasste Organisationen in dem Gesetz noch sehen.

Ausnahmen von der Impfpflicht

Bekanntlich soll es für Schwangere, Kinder und für jene, die sich aus gesundheitlichen Grünen nicht impfen lassen können, eine Ausnahme geben. Wer von Letztgenanntem betroffen ist, darf eine ganze Reihe von Ärzten und Ärztinnen entscheiden, darunter Allgemeinärztinnen, Hautärzte, Kinderärztinnen und Psychiater. Das kritisiert etwa der Seniorenrat bzw. seine Vorsitzende Ingrid Korosec (ÖVP). Zu befürchten sei, dass das vertraute Ärzte und Ärztinnen unter Druck setzen könnte. Der Seniorenrat schlägt vor, diese Befugnis nur "Amtsärzten, allenfalls auch noch Gruppenärzten und Chefärzten der Krankenversicherungsträger" einzuräumen.

Auch die Apothekerkammer schließt sich ihren Kollegen von der Ärztekammer an und plädiert dafür, dass nur Amtsärzte und Amtsärztinnen die Atteste ausstellen dürfen. Das Vertretungsnetz fordert außerdem, dass die Gründe für eine Ausnahme im Gesetz geregelt sein sollten – und dass dabei eine Gefahr für die psychische Gesundheit berücksichtigt wird.

Schon im Vorfeld war dieses Problem auch bei internen Besprechungen der Corona-Kommission Thema. Vor Wochen merkte deshalb ein Gruppenleiter im Gesundheitsministerium sinngemäß an, das könne man noch einmal überdenken.

Strafen, Strafart und Strafhöhe

Bezüglich Strafen soll es laut dem Entwurf abgekürzte Verfahren geben, bei denen das Höchststrafmaß bei 600 Euro liegt. Wird allerdings ein ordentliches Verfahren eingeleitet, steigt das Strafmaß auf bis zu 3.600 Euro. Eine Strafe kann alle drei Monate verhängt werden, Ersatzfreiheitsstrafen soll es keine geben.

Die Hilfsorganisation Johanniter regt in ihrer Stellungnahme an, das anders zu regeln. Ansonsten wäre die Folge, "dass Personen, die über kein pfändbares Vermögen oder Einkommen verfügen, de facto von einem Wegfall der Impfpflicht ausgehen können". Auch für Ärzte und Ärztinnen sind Strafen vorgesehen: bis zu 3.600 Euro, wenn sie ein falsches Ausnahmeattest ausstellen.

Die Flut an Verfahren, die rund um das Gesetz zu erwarten sind, ruft auch den Verwaltungsgerichtshof auf den Plan: Er fordert eine bessere Personal- und Sachausstattung und rechnet mit einem Mehraufwand im Wert von über 700.000 Euro.

Keine Auswirkungen auf 3G im Job

Da die 3G-Regel am Arbeitsplatz auch nach Start der Impfpflicht gelten soll, bringt das die absurde Situation, dass Geimpfte zwar eigentlich gestraft werden, aber weiterhin problemlos an ihren Arbeitsplatz gelangen können.

Und: Auch die Impfpflicht für Gesundheitsberufe, die eigentlich im Dezember hätte kommen sollen, wurde durch die Ankündigung einer allgemeinen Impfpflicht obsolet. Die Apothekerkammer fordert daher eine Debatte darüber, ob es nicht doch eine Impfpflicht für Personen braucht, die in Österreich im Gesundheitssektor arbeiten – unabhängig von deren Wohnsitz.

Studierende, Kinder und die Jugend

In eine ähnliche Richtung geht eine Forderung der FH Campus Wien: Dort hofft man auf eine gesetzliche Verankerung von 2G für Studierende. Die Wirtschaftsuniversität plädiert dafür, dass man die Palette an zugelassenen Impfstoffen ausweitet – ansonsten würde das internationale Studierende benachteiligen.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft befürchtet, dass sich "ein gesetzlicher Impfzwang" für Jugendliche noch mehr auf deren Psyche niederschlagen könnte – sie fordert, dass die Pflicht für 14- bis 18-Jährige zumindest aufgeschoben wird.

Viele offene Fragen zur technischen Umsetzung

Als "ambitioniert" erscheint der Zeitplan der Regierung den IT-Services der Sozialversicherung (ITSV), jenem Unternehmen, das für die technische Umsetzung der Impfpflicht verantwortlich ist. Dem Gesetzesentwurf zufolge sollen alle Ungeimpften am 15. Februar via Brief eine Aufforderung zum Impfen bekommen. Wird diese nicht befolgt, drohen ab Mitte März Strafen.

Die ITSV erwarten "eine große Zahl an Schreiben" und bald darauf "eine ungewöhnlich hohe Zahl von Verfügungen" durch die Bezirksverwaltungsbehörden. "All dies bedarf klarer Vorgaben zur präzisen technischen Umsetzung", heißt es in einer nichtöffentlichen Stellungnahme.

So würden bestimmte Funktionalitäten in den Systemen der Ärztinnen und Ärzte fehlen, etwa zur Eintragung von Ausnahmen, die von der Impfpflicht befreien. "Ein Interface ... müsste geschaffen werden", heißt es. Dazu komme, dass medizinisches Personal oft Software von Dritten nutze – diese müsste angepasst werden, was einer Vorlaufzeit bedürfe.

Weitere Bedenken meldet die Elga GmbH an. Diese bezweifelt überhaupt, dass eine Umsetzung der technischen Vorgaben vor dem 1. April möglich sein wird. Bestimmte Funktionen würden fehlen, etwa die Möglichkeit eines Abgleichs von Personen, die keine Sozialversicherungsnummer haben, oder aber die Eintragung von Ausnahmen für ärztliches Personal.

Generelles und Gelinderes

Grundsätzlich befürworten die meisten größeren, bekannten Organisationen und Institutionen die Impfpflicht – trotz Einwänden. Das Institut für Recht und Ethik in der Medizin an der Uni Wien fasst seine Stellungnahme gar in nur fünf Zeilen zusammen, in denen es abschließend heißt, aus ethischer Sicht sei "dem legitimen Schutzziel der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems als Recht der gesamten Bevölkerung zuzustimmen". Institutsvorsteher Ulrich Körtner merkte zuletzt in der "Kleinen Zeitung" jedoch an: "Nach allen Fehlern und Versäumnissen der bisherigen Pandemiepolitik wäre es ein politischer Super-GAU, würde ein zahnloses Impfpflichtgesetz in der Praxis scheitern."

Die Sozialpartner kritisierten in einer gemeinsam verfassten "Präambel" zu ihren jeweiligen Stellungnahmen, dass vor der Einführung der Pflicht nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um die Impfquote auf anderem Weg zu steigern.

Aufhorchen ließ zuletzt der Epidemiologe Gerald Gartlehner mit einem Einwand: Da aufgrund der hochinfektiösen Omikron-Variante bald zahlreiche Menschen genesen sein werden, müsse man die Impfpflicht noch einmal überdenken. Der Jurist Peter Bußjäger sieht das als gewichtigen Einwand – allerdings gebe es dabei noch Unklarheiten. Und eine, wie er es nennt, "charmante" Zwischenlösung: eine Impfpflicht nur als Rahmengesetz, das per Verordnung dann aktiviert werden könnte, wenn die Lage sich zuspitzt. (Muzayen Al-Youssef, Gabriele Scherndl, 10.1.2022)