Walter Temmer ist Internet-Coach aus Leibnitz, Steiermark.

Foto: J.J. Kucek/Rainer Wegscheidler

Am 15. Dezember teilt Walter Temmer auf Instagram ein Video, das auch für seine Verhältnisse ungewöhnlich ist. Er besitze "Geld wie Heu", zahlreiche Immobilien und sei im Jahr 2021 sehr erfolgreich gewesen, sagt der Unternehmer. Seinen Onlinekurs "Geld verdienen mit Domains" könne er aber nicht weiter anbieten. Den Aufnahmestopp in Sachen neue Teilnehmer erklärt Temmer mit dem zeitlichen Aufwand und den hohen Kosten.

In seinem Heimatbezirk Leibnitz kennt jeder den exzentrischen Geschäftsmann, der eigenen Angaben zufolge mit dem Verkauf von Domains, also Internetadressen, Millionen gemacht hat. Viele folgen ihm und seiner Freundin auch in den sozialen Medien. Dort warb er bis vor kurzem für seine "Masterclass". Ein Werbevideo zeigt Temmer mit Sportautos, in seiner Villa in der Südsteiermark und unterwegs in Dubai. Das Angebot: eine automatisierte und "wertvolle Methode" zum Handel mit Domains. Wer mit dem Modell Geld verdienen wollte, musste sich per Vertrag zu einer Einmal- oder Ratenzahlung verpflichten.

So viel vorweg: Bei nicht allen Käufern führte die Teilnahme an der Masterclass zum Erfolg, vielmehr trafen beim Verein für Konsumennteninformation (VKI) zahlreiche Beschwerden ein.

Anleitung zum Geldverdienen

Temmer ist nicht der Erste, der eine Anleitung zum Geldverdienen im Internet anbietet. In Deutschland bewerben dutzende selbsternannte Coaches ihre Methode für ein ortsunabhängiges Onlinebusiness. Viele Angebote ist gemein, dass es eine angeblich erfolgreiche, aber geheime Methode gibt, für die man eine vierstellige Summe bezahlen muss. In der Werbung wird der Reichtum des Coaches zur Schau gestellt. Bei den meisten Mentoren geht es um den Vertrieb von irgendetwas, aber zunächst fast nur um die Umsatzmöglichkeiten, nicht ums Produkt. Bei Temmer gibt es jedenfalls konkrete Handelsgüter: Er sagt, er habe Zugang zu mehr als 300.000 Internetadressen.

Andreas Hütter*, ein junger Mann aus dem Land Salzburg, interessierte sich im vorigen Sommer für Temmers Methode. Das Verkaufsgespräch kommt ihm heute merkwürdig vor. Hütter erinnert sich, dass ihm kurz vor Vertragsabschluss "ein unfehlbares System" versprochen worden sei. Ein Verkäufer von Temmer habe am Ende eines einstündigen Videotelefonats auch gesagt: "Jetzt oder nie." Alle persönlichen Daten für den Vertrag habe der Verkäufer selbst eingetippt. Ein paar Tage später ist Hütter ernüchtert, die Lehrvideos seien den Preis von knapp 3.000 Euro nicht wert gewesen. "Was ich gekauft habe, stand im Gegensatz zu dem, was mir versprochen wurde. Ich habe mich verarscht gefühlt", sagt Hütter.

"Es gibt auch Leute, die Taxi fahren und sagen: 'Das Medizinstudium war unmöglich.'" Walter Temmer

Erst als der Salzburger versucht, den Vertrag zu kündigen, erfährt er, dass er diesen nicht mit der waltertemmer.com GmbH, sondern mit der Firma Cope Cart in Berlin geschlossen hat. Cope Cart wickelt die Zahlungen für zahlreiche Online-Coaches in Deutschland und Österreich ab. Der VKI berichtet, dass im Jahr 2021 mehr als 25 Beschwerden von Kunden der Temmer-Masterclass bei den Konsumentenschützern eingetroffen seien.

Temmer empfängt den STANDARD am vierten Adventsonntag in seinem Büro in Leibnitz. An einem Sonntag, weil er an diesem Wochentag selbst ein Coaching für Masterclass-Teilnehmer per Video durchführe und dieses zeigen wolle. Temmer betont, dass man mit seinem Kurs "mit einem minimalen Aufwand, wenn man ein bisschen schlau ist, sehr viel Geld verdienen kann". Temmer nennt als Beispiel die Domain brillen-leibnitz.at, die man einem Optiker in seiner Stadt problemlos verkaufen könne. Unzufriedene Kunden würden die eigene Verantwortung abschieben, erklärt Temmer: "Es gibt auch Leute, die Taxi fahren und sagen: 'Das Medizinstudium war unmöglich.'"

Foto: J.J. Kucek/Rainer Wegscheidler

Zum Vorwurf von Herrn Hütter, dass ein Verkäufer "ein unfehlbares System" versprochen habe, sagt der Unternehmer: "Ich würde die Hand für meinen Mitarbeiter ins Feuer legen, dass das nie passiert ist. Wenn so etwas wirklich passiert ist, was ich in keiner Weise glaube, hätte ich ihn auf der Stelle fristlos entlassen."

Dass den Kunden in dem Zoom-Videotelefonat gesagt wird, sie müssten sich an diesem Tag entscheiden, bestreitet Temmer nicht. Der Kunde schicke in einem ersten Schritt seine Daten für die Bewerbung, in einem zweiten werde ein kurzes Telefongespräch mit ihm geführt. Das Verkaufsgespräch sei der dritte Kundenkontakt. "Da ist nichts überraschend", sagt Temmer. Zum Ausfüllen der Kundendaten durch Verkäufer antwortet er: "Es kann sein, dass das wirklich kurze Zeit einmal so war." Er könne aber "garantieren, dass es beim absoluten Großteil nicht so war".

Zeitdruck und Überrumpelung

Die Konsumentenschützer im VKI gewannen einen anderen Eindruck. "In allen der mehr als 25 Fälle, die uns vorliegen, wurden persönliche Daten wie Name und Adresse vom Verkäufer ausgefüllt. In einigen Beispielen hat der Verkäufer auch die Bankdaten ausgefüllt und manchmal noch auf 'Bestellen' geklickt", sagt Jurist Reinhold Schranz vom Europäischen Verbraucherzentrum im VKI. "Es gab in allen Fällen Zeitdruck und eine Überrumpelung." Außerdem müsse der Konsument das ganze Angebot auf einem dauerhaften Datenträger bekommen, etwa per E-Mail. Ein Link reiche nicht aus. "Die Kaufverträge sind mangels Einhaltung der Doppelbestätigungspflicht ungültig", sagt Schranz.

Temmer bezeichnet diese Rechtsposition des VKI als "absurd zum Quadrat". Denn zwischen der Eingabe der Daten durch den Kunden sowie dem kurzen Telefongespräch und dem längeren Videotelefonat seien jeweils Tage gelegen. Auch sei Letzteres nicht von seinem Unternehmen eingeleitet worden. Schranz entgegnet mit Blick auf das Fern- und Auswärtsgeschäftegesetz: "Entscheidend ist der Videocall, in dem das Coaching verkauft wird. Herr Temmer verstieß mit seinem Geschäftsmodell laufend gegen Konsumentenschutzrecht."

Im November und Dezember bekamen mehrere Masterclass-Kunden ihre Kosten von Cope Cart zurückbezahlt, wie der VKI bestätigt. Am 15. Dezember verkündete Temmer im erwähnten Video auf Instagram, den Kurs für neue Kunden nicht mehr anzubieten. Einen Zusammenhang mit den Beschwerden bestreitet er entschieden: "Das ist ein kompletter Blödsinn." Das Konzept sei zu teuer und aufwendig gewesen, er habe in die Masterclass "eine siebenstellige Summe investiert, und da steht kein Einser vorne". Aber auf die Erfolge seiner Kunden sei er "sehr stolz", bisherige Teilnehmer würden auch weiter unterstützt werden. Später an diesem Abend wird er im Video-Coaching rund 50 davon nach ihrer Zufriedenheit fragen. Alle geben Temmer die Schulnote eins, manche mit vielen Plus und Rufzeichen.

"Dodelsicheres System"

Anna Reiter* war hingegen nicht zufrieden. Der jungen Frau sei vor dem Kauf "ein komplett dodelsicheres System" versprochen worden, erzählt auch sie dem STANDARD. Erst nach Vertragsabschluss habe sie erfahren, dass sie zusätzlich zum Kaufpreis – in zwölf Raten knapp 3.900 Euro – weiter investieren müsse. So fallen für die Teilnehmer Kosten für den Einkauf von Domains an. Auch bezahlt man pro verschickten Brief an potenzielle Domainkäufer 1,20 Euro, für diese Akquise stellt Temmer über eine Partnerfirma die Plattform provider.at zur Verfügung. Reiter habe rund 800 Briefe verschickt, "weil ich das Geld wieder reinholen wollte", sagt sie. Nach fast einem Jahr sei sie nur eine einzige Domain losgeworden, vom Verkaufspreis wurde eine Provision abgezogen. Zeitweilig lag Reiter mit 5.000 Euro im Minus, zumindest bekam sie alle bezahlten Raten mithilfe des VKI zurück.

Online-Coachings für ein eigenständiges Einkommen treffen das Lebensgefühl vieler Menschen, in einem 40-Stunden-Job eh nur ausgenutzt zu werden. Auf Instagram und Youtube findet man neben Vertriebsgurus heute den Kryptowährungs-Coach, den Buchautoren-Coach und auch einen Coach, der andere zum Coach macht.

Claudia Groß forscht an der Radboud-Universität in den Niederlanden zu Multi-Level-Marketing und Geschäftsmodellen in den sozialen Medien. Über viele Online-Coachings sagt sie: "Bei diesen Angeboten scheint sehr gut darüber nachgedacht worden zu sein, wie man gesetzliche Grauzonen kombiniert." Bei solchen Kursen müsse man "nur nachmachen, was andere vorgeben, das ist keine echte Selbstständigkeit". Die Gesetze in vielen EU-Ländern seien unzureichend, sagt Groß, "diese abhängigen Selbstständigen fallen zwischen die Stühle der Institutionen, die Verbraucher oder Arbeitnehmer schützen".

Die meisten Online-Coaches meiden abseits der eigenen Kanäle die Öffentlichkeit, Walter Temmer nicht. Der österreichische Boulevard hofiert den 43-Jährigen, ATV strahlt ab 3. Februar die zweiteilige Sendung "Die Temmers – Reich wie Scheich" aus. "Inwiefern die angesprochenen Kurse sendungsrelevant sind, kann aktuell noch nicht gesagt werden", heißt es auf Anfrage bei ATV. Das Format dürfte für Temmer eine willkommene Bühne sein. In den sozialen Medien kündigte er bereits ein neues Angebot "für die breite Masse" an. (Lukas Kapeller, 6.1.2022)