6. März 1938: Skiläuferinnen der Skiriege des Dornbirner Turnvereins marschieren zum Turngau-Rennen auf dem Bödele.

Foto: Stadtarchiv Dornbirn

Es ist die Geschichte des Abfahrtsweltmeisters und "SA-Skihelden" Hellmut Lantschner sowie von "NS-Superstar" Josef Bradl, es ist die Geschichte der Arlberger Skipioniere Hannes Schneider und Rudolf Gomperz. Schneider wurde zur Emigration in die USA gezwungen, Gomperz wurde im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet. Es ist auch die weitgehend unbekannte Geschichte der SS-Skisoldaten Wilhelm Köstinger und Franz Pesentheiner sowie des Innsbrucker Holocaust-Überlebenden und Skirennläufers Hugo Silberstein.

In seinem Ende 2021 erschienenen Buch Österreichs Skisport im Nationalsozialismus zeichnet der Salzburger Zeit- und Sporthistoriker Andreas Praher zahlreiche Täter-, Mitläufer- und Opferbiografien nach. Diese reichen oft bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts herauf, wie beispielsweise das von Praher recherchierte Beispiel des Club Andino Bariloche zeigt. Dieser argentinische "Alpenverein" war ein Fluchtpunkt für zahlreiche Nationalsozialisten, die sich nach 1945 den Gerichten entziehen konnten. Unter anderem war hier auch die hochbelastete Familie Lantschner aktiv.

Modern und reaktionär

Die historische Arbeit Prahers ist freilich mehr als nur die penibel recherchierte Aneinanderreihung diverser Lebensläufe. Eindringlich beschreibt der Sporthistoriker den zentralen Widerspruch in der Entwicklung des Skisports in den 1920er- und 1930er-Jahren. Dieser sei progressiv, mit vielen technischen Neuerungen gewesen und habe ganze Alpentäler modernisiert. Gerade im Skisport sei der Glaube an die Moderne und den Fortschritt durch unbändige Lebensfreude zum Ausdruck gekommen. Andererseits sei der mitteleuropäische Skisport in seiner Erscheinung reaktionär, konservativ, diskriminierend, ausgrenzend und rassistisch und vollgepackt mit autoritären Ideenwelten gewesen.

Praher spannt den Bogen von den Vorleistungen des österreichischen Skiverbandes ÖSV für die NS-Ideologie über die Rolle des Skisports während der NS-Diktatur und während des Zweiten Weltkriegs bis zur gescheiterten Entnazifizierung und dem Buhlen der regionalen Skiverbände um die ehemaligen NS-Sportler. Die Parallelen zur Geschichte des Alpenvereins sind unübersehbar.

"Glücksritter"

Die fehlende Distanz, die Nichtaufarbeitung der eigenen Geschichte zieht sich im ÖSV jedenfalls weit in die Gegenwart herauf. Praher zitiert beispielhaft aus einer Festschrift des Salzburger Skiverbandes aus dem Jahr 2011. Hier würden Skistars des Nationalsozialismus wie Skispringer Josef Bradl oder Gregor Höll zu "Glücksrittern" stilisiert, über die das "Unheil der NS-Zeit" hereinbrach und die ohne ihr Zutun zu einer SA-Mitgliedschaft kamen. Dem Opfermythos kommt eine besondere Bedeutung zu, immerhin kam dem Skisport ja auch eine ganz besondere Bedeutung bei der Bildung einer österreichischen Identität nach 1945 zu.

ÖSV zurückhaltend

Fragt man Praher, wie denn der ÖSV aktuell auf seine Forschungen reagiere, berichtet der Historiker, dass er zwar Zugang zu den Archiven bekommen habe, also unterstützt worden sei, insgesamt aber sei "das Interesse an der eigenen NS-Geschichte enden wollend". Nur Helmuth Lexer, Ehrenpräsident des ÖSV, hat sich bis dato offiziell zu den vorliegenden Forschungsergebnissen geäußert.

Lexer will die einschlägigen Gremien mit dem Buch befassen und schlägt eine breitere Diskussion zur Geschichte des ÖSV vor. (Thomas Neuhold, 6.1.2022)