Am 12. September 1909 sorgte die Entdeckung von Gebeinen in Peggau, nördlich von Graz, für Aufsehen. Südöstlich der Lurgrotte stieß ein Steinbrucharbeiter auf den Eingang einer Tropfsteinhöhle. Bald machten sich der Höhlenforscher Adolf Mayer senior und der Grundbesitzer Josef Dirnbacher daran, den Raum und zwei Seitengänge zu erkunden. Sie stießen nicht nur auf Tierknochen, die einem Braunbären, einer Gämse und einem Rind zugeordnet werden konnten: Auch menschliche Knochen waren dabei.

Höhlenforscher Adolf Mayer sen. mit den Funden aus der Höhle.
Foto: UMJ, AArchMK, Fotoarchiv

Das Joanneum in Graz wurde informiert, und Vinzenz Hilber von der geologischen Abteilung leitete eine dreiwöchige Grabung ein. Zutage gefördert wurden Keramikscherben, Knochenwerkzeug sowie 57 Menschenknochen, die zu einer einzelnen Person gehörten. Diese in der "Josefinenhöhle" entdeckte Frau dürfte die älteste, bisher "bekannte" Steirerin sein.

Alter von 53 Jahren

Aktuellen Messungen und Auswertungen zufolge ist die alte Dame sogar etwa 300 Jahre älter als der berühmte Mann aus dem Ötztal. Datiert wurde ihr Skelett auf die Jahre 3630 bis 3380 vor Christus, es ist also etwa 5400 bis 5600 Jahre alt – Ötzi hingegen wird auf ein etwas jüngeres Alter von um die 5300 Jahre datiert.

In der Josefinenhöhle bei Peggau wurden die Überreste vor mehr als einhundert Jahren entdeckt.
Foto: UMJ/D. Modl

Auch das tatsächliche Lebensalter der Steirerin ist bemerkenswert: Sie wurde knapp 53 Jahre alt, hieß es am Dienstag in einer Aussendung des Universalmuseums Joanneum, wo die Anthropologin Silvia Renhart und der Archäologe Daniel Modl an dem Skelett forschen.

Die beiden Fachleute haben an dem Skelett, das zu den ältesten derartigen Funden Österreichs zählt, eine Radiokarbondatierung vornehmen lassen. Es stellte sich heraus, dass die Gebeine aus der späten Jungsteinzeit, die auch als Kupferzeit bezeichnet wird, stammen. Heute wird das Skelett in der Sammlung Geologie und Paläontologie der Abteilung Naturkunde am Universalmuseum Joanneum in Graz aufbewahrt.

Der Kopf der Frau, die mit etwa 53 Jahren verstarb.
Foto: UMJ/D. Modl

Robuster Körper

Mit neuen Möglichkeiten wurde der Altfund neu "vermessen". Durch Methoden der physischen Anthropologie wurde das Sterbealter des weiblichen Individuums zwischen 45 und 55 Lebensjahren festgestellt und mit einer für prähistorische Funde neuartigen, molekularen Altersschätzung gegengeprüft. Dies erfolgte mittels der Bestimmung des Markerstoffs Pentosidin im Dentin eines Zahns. Die Methode wurde von zwei Forscherinnen der Universität Düsseldorf für historische Proben angewandt, aber auch in der Forensik. So konnte ein Sterbealter von 52,8 Jahren ausgemacht werden, hieß es in der Aussendung.

Das Forschungsteam ließ auf der Grundlage des Schädels eine Gesichtsweichteilrekonstruktion durchführen. Wie Gewebeverteilung, Haare und Co. tatsächlich aussahen, ist aber unbekannt.
Grafik: Institut für Bioinformatik/Forensik, Systemische Forensik und Biologie, Hochschule Mittweida/SIT Darmstadt – University of Applied Sciences/D. Labudde, S. Becker und J. Rosenfelder

Die "älteste Steirerin" wird in Sachen Statur als klein, robust und kräftig beschrieben: "So weisen markante Muskelansätze am Oberkörper vor allem am Schädel und den Knochen des Schulter- und Oberarmbereiches auf eine athletisch 'trainierte' Nackenmuskulatur infolge des Tragens schwerer Lasten hin."

Zeiten des Mangels

Auch an den Unterschenkelknochen lässt sich ablesen, dass ihre Muskulatur hier stark trainiert war. Sie hat also wohl weite Strecken zurückgelegt. Verdickungen am Schienbein zeigen, dass sie oft hockend gerastet haben dürfte: "Hockerfacetten belegen das häufige Verharren in hockender Position."

Das Skelett zeigt, dass die Muskulatur der Frau ausgeprägt war und sie häufig in Hockposition verharrte.
Foto: UMJ/D. Modl

Daneben gibt das Skelett Auskunft über Zeiten des Mangels. Immer wieder litt die Frau an Phasen der Mangelernährung. Nicht nur Hungersnöte zehrten an ihrem Organismus, auch saisonal schwankte das Nahrungsangebot. Geschwächt wurde sie durch fehlende Mineralstoffe und Eiweiße, auch in Sachen Vitamin C kam sie oft zu kurz. Das hat sie besonders anfällig für die Mangelerkrankung Skorbut und Infektionskrankheiten gemacht. (red, APA, 5.1.2022)