Der britische Premier Boris Johnson will am "Plan B" seiner Regierung festhalten.

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Als im November vergangenen Jahres in einem Labor in Südafrika erstmals die neue Coronavirus-Mutante B.1.1.529 sequenziert wurde und die Hiobsbotschaft von der Omikron getauften Virusspielart Schockwellen rund um den Globus schickte, blickte die Welt plötzlich ganz genau auf das Land am Kap. Wie ansteckend ist Omikron? Und wie schlimm sind die Verläufe der Krankheit, die es auslöst?

Inzwischen hat sich Omikron in Windeseile in aller Welt ausgebreitet und löst in immer mehr Ländern Delta als dominierende Form des Coronavirus ab. Seit Jahreswechsel so auch in Österreich. Während man sich hierzulande noch auf die volle Wucht der – und das ist so gut wie sicher – hochansteckenden Mutante vorbereitet, sind andere Länder schon weiter. DER STANDARD hat sich vier davon näher angesehen.

Schweiz

Omikron breitet sich in unserem westlichen Nachbarland in rasantem Tempo aus. Seit Silvester werden Tag für Tag mehr als 10.000 Neuinfektionen gemeldet. Schlimmer noch: Der Anteil der positiven Tests an der Gesamtsumme ist seit Tagen auffällig hoch, was der Erfahrung nach mit einer ebenso hohen Zahl unentdeckter Infektionen einhergehen könnte. Auch wenn die aktuellen Zahlen an Spitalspatientinnen und -patienten aufgrund der Zeitspanne zwischen Infektion und Spitalseinweisung noch nicht die aktuelle Ansteckungslage abbilden: Bisher gibt es keine belastbaren Indizien, dass die vielen Omikron-Infektionen in der Schweiz auch zu einem Anstieg an Hospitalisierungen führen.

Wie gesagt: bisher. Die Intensivstationen der eidgenössischen Krankenhäuser sind aktuell zu knapp drei Vierteln belegt, davon zu etwas mehr als einem Drittel mit Corona-Intensivfällen. Wohl auch deshalb sieht sich das politische Bern, allen voran der regierende Bundesrat, derzeit nicht zu einer Verschärfung der vergleichsweise laxen Maßnahmen veranlasst.

Für Stirnrunzeln sorgte indes Bundespräsident Ignazio Cassis, der selber Arzt ist: Die Lage an den Intensivstationen sei "normal", sagte er, auch das Schreckgespenst der Triage sei dort seit jeher Gewohnheit. Immer schon müssten Ärztinnen und Ärzte auf Intensivstationen abwägen, welchem Patienten und welcher Patientin geholfen werden könne – und wem nicht. Seine medizinischen Standeskollegen reagierten erzürnt und nannten Cassis' Einschätzungen "verniedlichend".

Indien

In Indien bereitet man sich "erst" auf die dritte Welle in den Großstädten vor, die laut Experten vor allem durch die Omikron-Variante angetrieben wird. Ob der hohen Zahlen werden Erinnerungen an die verheerende Lage im April und Mai wach. Am Mittwoch wurden landesweit mehr als 58.000 neue Fälle registriert. Das sind sechsmal so viele Neuinfektionen wie noch vor einer Woche.

Ein Drittel der Fälle betreffen nur die Hauptstadt Neu-Delhi sowie die Finanzmetropole Mumbai. In beiden Städten werden nun Ausgangssperren verhängt, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Laut Delhis Gesundheitsminister Satyendar Jain sind mehr als 80 Prozent aller positiven Fälle bereits auf die Omikron-Variante zurückzuführen. Im All India Institute of Medical Sciences (AIIMS) – einem der größten Krankenhäuser Indiens – wurden bereits die Winterurlaube des medizinischen Fachpersonals gestrichen.

Gleichzeitig wurde in manchen Regionen Indiens die Quarantänezeit reduziert. Daten legen ja nahe, dass Omikron einen etwas milderen Verlauf mit sich bringt. So müssen Personen in Delhi nur noch sieben statt bisher 14 Tage Heimisolation absolvieren. Zeigt der Betroffene an drei aufeinanderfolgenden Tagen keine Symptome, so ist er automatisch aus der Quarantäne entlassen – ohne Corona-Test.

Großbritannien

Im vergangenen Sommer hatte Großbritanniens konservative Regierung England noch vollmundig einen "Freedom Day" verordnet und so gut wie alle Restriktionen, die die Ausbreitung des Coronavirus einhegen sollten, aufgehoben. Nun sieht die Welt wieder anders aus. Hohe Infektionszahlen in der Omikron-Welle der Corona-Pandemie führen zwischen immer mehr zu Personalmangel und Versorgungsengpässen in Krankenhäusern und anderen Bereichen. Am Dienstag wurden zwischen Dover und Belfast mehr als 218.000 Neuinfektionen gemeldet. In diesem Wert sind einige Nachmeldungen der vergangenen Tage enthalten.

Hauptgrund für die Entscheidung sei vor allem das "hohe und steigende" Niveau des Personalmangels. Demnach sind etwa 15 Prozent der Mitarbeiter in den Krankenhäusern der Region derzeit an Covid-19 erkrankt oder befinden sich in Quarantäne. Auch in anderen Teilen des Landes riefen Krankenhausträger in den vergangenen Tagen den Katastrophenfall aus.

Berichten zufolge will die Regierung in London noch am Mittwoch eine Änderung der Testregeln ankündigen. Demnach soll zur Bestätigung einer Infektion nach einem positiven Antigentest kein PCR-Test mehr notwendig sein, um eine verpflichtende Isolation auszulösen. Premierminister Boris Johnson musste eingestehen, dass der Gesundheitsdienst NHS unter "erheblichem Druck" stehe. Trotzdem lehnt er eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen ab. Er begründet das damit, dass die hohen Infektionszahlen bisher nicht zu einer ähnlich hohen Zahl an Krankenhauseinweisungen führen würden. Sein "Plan B" müsse ausreichen, um die Omikron-Welle "auszureiten", wie es der für seinen mitunter flapsigen Ton bekannte Johnson nannte.

USA

Omikron ist mittlerweile auch bei weitem die dominierende Variante in den USA. Laut einem Bericht der Seuchenschutzbehörde CDC machen die Omikron-Fälle rund 95 Prozent aller Neuinfektionen aus. Und die steigen rasant an. Am Montag registrierten die Behörden zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie mehr als eine Million Fälle an nur einem Tag. In der vergangenen Woche waren es noch etwa die Hälfte. Bis zu den Weihnachtsfeiertagen mussten immer weniger Menschen aufgrund ihrer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden, doch gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass sich das in den kommenden Wochen wieder ändern wird.

Dafür, dass die USA eine Zeitlang als Impfweltmeister galten, wurden sie bei diesem Wettlauf gegen die Zeit von vielen Nationen überholt. Denn 62 Prozent de US-Amerikaner haben sich erst vollständig impfen, rund ein Drittel überhaupt erst boostern lassen.

Deshalb will sich die Regierung in Washington offenbar nicht mehr nur auf die Impfstoffe verlassen. Präsident Joe Biden kündigte am Dienstag nach einem Briefing mit seinem Beraterstab an, dass die USA die Bestellung von Pfizers Covid-Tablette (Paxvloid) verdoppeln werde. 20 Millionen Behandlungsdosen sollen in den kommenden Monaten eintreffen. Das Medikament hat in Testreihen die Hospitalisierungszahlen und Fälle von schweren Verläufen reduziert. Seit kurzem setzen die US-Behörden zudem auf kostenlose Wohnzimmertests, um Infektionen schneller auf die Spur zu kommen. (Bianca Blei, Florian Niederndorfer, 5.1.2022)