2019 durfte Andrew noch öffentlich auftreten.

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Ausgerechnet zu Beginn des Jahres, in dem Queen Elizabeth ihr 70. Thronjubiläum feiert, spitzt sich die Situation um ihren Lieblingssohn zu. Mit angehaltenem Atem warteten Prinz Andrew und seine Anwälte am Mittwoch auf Nachricht aus New York: Wird eine Zivilklage gegen den britischen Royal wegen sexuellen Missbrauchs zum Prozess zugelassen? Oder führt eine zwölf Jahre alte Vereinbarung des angeblichen Opfers mit dem notorischen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein zur Einstellung des kostspieligen Verfahrens? So oder so sei das schöne Leben des Herzogs von York vorbei, sagt Robert Lacey, Autor mehrerer royaler Biografien: "Sein Ruf ist irreparabel ruiniert."

Neben dem mittlerweile in Kalifornien lebenden Harry gilt Andrew schon seit Jahren als Problemprinz der eigentlich hochpopulären Monarchie. Die Verurteilung seiner langjährigen Freundin Ghislaine Maxwell wegen Menschenhandels und sexuellen Missbrauchs Minderjähriger hat den zweiten Sohn der Königin vergangene Woche erneut in die Schlagzeilen katapultiert.

Denn Maxwell ist schon der zweite Mensch im Umfeld des heute 61-Jährigen, der wegen schwerster Sexualverbrechen angeklagt und verurteilt wurde. Andrews früherer Freund, der New Yorker Finanzjongleur Jeffrey Epstein, starb im Sommer 2019 in der Untersuchungshaft durch Selbsttötung. Dem glänzend vernetzten vielfachen Millionär – zu seinem Kreis zählten auch die Ex-Präsidenten Bill Clinton und Donald Trump – habe Maxwell über Jahre hinweg junge Mädchen und Frauen zugeführt, so das New Yorker Gericht.

Die Schweigevereinbarung

Zu den Profiteuren des kriminellen Menschenhandels habe auch der Herzog gehört, heißt es in der Klage der in Australien lebenden US-Bürgerin Virginia Giuffre. Vor zwanzig Jahren sei sie, damals noch minderjährig, von Andrew mehrfach sexuell missbraucht worden. Kein Wort davon sei wahr, beteuert der Prinz. Seine Anwälte haben die heute 38-Jährige als Dauerprozessiererin und Abzockerin denunziert: Aus Geldgier strenge Giuffre immer neue Klagen gegen eine Reihe von Prominenten an und füge damit "vielen Unschuldigen irreparablen Schaden" zu.

Für ihre neueste Offensive gegen Andrews Beschuldigerin berufen sich die Anwälte auf eine Vereinbarung zwischen dem Sexualverbrecher Epstein und einem seiner mutmaßlichen Opfer aus dem Jahr 2009: Giuffre verpflichtete sich darin, von weiteren Klagen gegen Epsteins Freunde abzusehen, und erhielt für ihr Stillschweigen 500.000 Dollar. Zu den "potenziellen" Zielen weiterer Klagen habe auch damals schon der Herzog gehört, argumentierte dessen Anwalt Andrew Brettler jetzt vor Gericht, Giuffre habe also ihr Wort gebrochen.

Ruhender Titel

Ob diese Argumentation in MeToo-Zeiten in der Öffentlichkeit sonderlich gut ankommt? Richter Lewis Kaplan gab sich skeptisch. Auch in London sind die Reaktionen verheerend: Andrew werde die Vorwürfe nie wieder los, egal mit welcher Taktik, vertraute Buchautor Lacey der BBC an. Zu einem ähnlichen Schluss kommt der langjährige Königshaus-Beobachter Peter Hunt: Jegliche aktive Rolle für die Monarchie sei für den Neunten in der Thronfolge Vergangenheit.

Londoner Medienberichte gingen zuletzt noch weiter. Am Dienstsitz der Queen, dem Buckingham-Palast, werde über ein "internes Exil" für den 61-Jährigen nachgedacht, falls dieser das Verfahren gegen Giuffre verliere. Seinen Herzogstitel solle Andrew auf jeden Fall ruhen lassen. Bei den umfangreichen Feierlichkeiten für das Platin-Thronjubiläum der Queen werde er ohnehin keinerlei Rolle spielen. Wenigstens finanziert die 95-Jährige einstweilen noch den Lebensstil und das Millionen kostende Gerichtsverfahren ihres Lieblingssohns.

Sollte Richter Kaplan dem öffentlichen Prozess im kommenden Herbst zustimmen, dürften der Monarchin weitere Millionen verloren gehen: Denn für diesen Fall raten alle Experten Andrew zu einem außergerichtlichen Vergleich, den sich Giuffre teuer bezahlen lassen dürfte.

Schiefe Optik

Die Strategie des Prinzen und seiner Berater hat im Lauf der Jahre mehrfach gewechselt. Zu Beginn schien Andrew darauf zu vertrauen, er werde schon allein seines royalen Status wegen von unangenehmen Nachfragen verschont. Als Giuffre öffentlich präzise Angaben zu den vermeintlichen Begegnungen machte, suchte der bis dahin eisern schweigende Beschuldigte selbst die Öffentlichkeit. In einem BBC-Interview beteuerte er seine Unschuld: "Ich habe keinerlei Erinnerung an ein Treffen mit dieser Lady." Das Foto, das die beiden gemeinsam mit Maxwell zeigt, bezeichnete er als Fälschung.

Dass bei Epstein junge bis minderjährige Frauen ein und aus gingen, sei ihm nie aufgefallen, so der Prinz weiter. Warum er aber 2010 auch nach dessen Verurteilung und Strafhaft wegen Sexualdelikten nochmals tagelang Hausgast bei Epstein war? "Das liegt an meiner Tendenz, besonders ehrenhaft zu sein." Er habe seinem Buddy persönlich die Freundschaft aufkündigen wollen.

Keine öffentlichen Auftritte mehr

Anders als von Andrew offenbar erhofft war der Tenor einhellig: Die Rechtfertigungen des Prinzen hätten seiner Sache mehr geschadet als genutzt. Seine Medienberaterin trat zurück, die Queen entband ihn von allen öffentlichen Auftritten, in der Öffentlichkeit gilt er zunehmend als dümmliches Ärgernis. Die Trommler der unbedeutenden Anti-Monarchie-Bewegung konnten ihr Glück kaum fassen.

Unterhalb der Queen hält sich deshalb selbst im Buckingham-Palast die Sympathie mit dem Problemprinzen in engen Grenzen. Dieser sei, "als er oben war, nicht sonderlich nett zu Leuten" gewesen, berichtete eine Hofschranze mit gutem Gedächtnis der "Sunday Times". "Jetzt, da er fällt, ist umgekehrt auch niemand sonderlich freundlich zu ihm." (Sebastian Borger aus London, 5.1.2022)