Iya (Viktoria Miroshnichenko) erlebt im Krieg Beschädigungen, die auch im Frieden weiterwirken.

Foto: Stadtkino Filmverleih

Wien – Leningrad im Jahr 1945: Der Große Vaterländische Krieg ist zu Ende, die Sowjetunion hat Nazideutschland besiegt. Nun kann das Leben neu beginnen. Doch in dem Krankenhaus, in dem Iya arbeitet, liegen noch viele Patienten, die an Leib und Seele vom Krieg gezeichnet sind. Und sie selbst ist auch traumatisiert.

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Immer wieder verfällt sie in eine Art Erstarrung, als befände sie sich noch einmal in einem Gefecht, in dem sie sich nicht anders zu helfen weiß als durch eine Flucht nach innen, in ihren schmalen, hoch aufragenden Körper: "Bohnenstange" wird sie wegen ihrer äußerlichen Erscheinung genannt. Neben ihrer Stelle im Krankenhaus hat Iya noch eine wichtige Aufgabe: Sie versorgt den kleinen Pashka, den Sohn ihrer Kriegskameradin Masha, die noch nicht nach Leningrad zurückgekehrt ist. Als sie schließlich kommt, wird die Freundschaft zwischen Iya und Masha auf eine schreckliche Probe gestellt.

Großer Stilist

Der junge russische Regisseur Kantemir Balagow hat für seinen zweiten Film, Bohnenstange, auf ein bedeutendes Buch über den Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht von Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Von der offiziellen Propaganda werden Iya und Masha natürlich als Heldinnen geführt. Bohnenstange (international: Beanpole) erzählt von ihrem Schicksal auf eine eigentlich paradoxe Weise: Der Film ist auch in den trostlosesten Szenen auf eine bedrückende Weise schön. Kantemir Balagow kann jetzt schon als einer der größten Stilisten im neueren Weltkino gelten.

Hier zeigt er sich aber auch als großer politischer Erzähler. Denn die Verwüstungen, die Iya und Masha erlebt und die sich in ihre Körper eingeschrieben haben, wurden bald verdrängt, und heute dient der Krieg in Putins Russland als nationaler Mythos. Dieser mutige, großartige Film erzählt von einer anderen Wahrheit. (Bert Rebhandl, 6.1.2022)