Gerade in der Pandemie bräuchte es nachhaltige Strategien in der Ausstellungslandschaft, sagt die Kunsthistorikerin Ingeborg Schemper-Sparholz im Gastkommentar.

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Ruht im Depot des Belvedere: Georg Raphael Donners "Apotheose Kaiser
Karls VI." (1734).
Foto: Picturedesk / Interfoto

"Irgendetwas muss geopfert werden", sagt die Direktorin des Belvedere im STANDARD-Interview und streicht mit einem Federstrich eine Ausstellung zum Barock in Wien um 1700, die von einer Kuratorin seit zwei Jahren vorbereitet wurde. Sie sollte 2023, 300 Jahre nach Fertigstellung des Barockschlosses Prinz Eugens, Meisterwerke aus den eigenen Sammlungen, die seit Jahren im Depot ruhen, präsentieren. Darunter Werke der Maler Gran, Maulbertsch, Rottmayr, Skulpturen von Giuliani, Mattielli, Donner, die im Wiener Stadtraum in den monumentalen Bauten wie der Karlskirche, der Hofbibliothek präsent, aber international und beim heimischen Publikum wenig bekannt sind. Die Ausstellung hätte ermöglicht, sie besser kennenzulernen.

Sammlung zeigen

Die Direktorin des Belvedere beklagt, dass bei der Debatte über die Zukunft der Wiener Museumslandschaft die Identität und Praxis der unterschiedlichen Häuser viel zu wenig berücksichtigt werden. Sie nennt "die Identität des Belvedere mit seiner barocken Anlage als Sehenswürdigkeit und seiner einzigartigen Sammlung", wobei klischeehaft nur der Kuss von Gustav Klimt hervorgehoben wird. Tatsächlich ist die barocke Anlage Teil der Identität des Belvedere, aber die Sammlung beinhaltet eben nicht nur Klimt.

Die Ausstellung "Dame mit Fächer – Gustav Klimts letzte Werke" im Oberen Belvedere in Wien.
Foto: APA/Herbert Nebauer

Sie enthält die wichtigsten Werke der österreichischen Barockkunst, eine Sammlung, die zur Identität des barocken Architektur- und Gartenensembles passt. Dieser Ansicht war zumindest Direktor Franz Martin Haberditzl, als er 1923 im Unteren Belvedere das Österreichische Barockmuseum einrichtete, 200 Jahre nachdem der Bau fertiggestellt worden war.

Dieses Barockmuseum wurde 2007 unter der Direktion von Agnes Husslein aufgelöst, um mehr Raum für Wechselausstellungen zu schaffen. Nur wenige Werke sind nun dauerhaft im Oberen Belvedere zu sehen, wobei der publikumswirksame Franz Xaver Messerschmidt im Zentrum steht. Der bedeutendste österreichische Bildhauer der Barockzeit, Georg Raphael Donner, ist nur durch Kleinplastiken vertreten, seit letztes Jahr die originalen Brunnenfiguren vom Neuen Markt an das Wien Museum zurückgeben werden mussten. 2023 ist also ein doppeltes Jubiläumsjahr – 300 Jahre Belvedere, 100 Jahre Barockmuseum – es hätte also auch die Gelegenheit gegeben, an diese Museumsgründung zu erinnern.

Vorbereitete Projekte

Man hätte auch thematisieren können, welchen Stellenwert der österreichische Barock in der Zwischenkriegszeit im Konzept einer "Österreichischen Galerie" und für die zeitgenössische Kunst hatte. Hier wäre es um Fragen der Identität des Hauses gegangen. Und fast wäre das Projekt gelungen. Ein Budget von 300.000 Euro war zugesagt, Ansuchen um Leihgaben, die den Bestand der hauseigenen Sammlung ergänzen sollten, waren vorbereitet, Verträge mit Expertinnen und Experten (auch mit mir) für Katalogbeiträge vor Monaten abgeschlossen, Objekte restauriert – und plötzlich das Aus: "Irgendetwas muss geopfert werden."

Was hat die mehr als doppelt so teure Ausstellung Salvador Dalí und Freud, mit der das Untere Belvedere nach der Sanierung im Jänner wiedereröffnet werden soll, mit der Identität des Hauses zur tun? Die Exposition wurde von einem Gastkurator konzipiert, während die hausinternen Kuratorinnen und Kuratoren Ausstellungsprojekte seit Jahren in der Schublade haben und nicht umsetzen können. Die Ausstellungsobjekte werden aus der ganzen Welt eingeflogen – ein Sparprogramm für Covid-Zeiten? – wie auch im STANDARD-Interview kritisch gefragt wurde. Und was ist für 2023 geplant?

Indentität mit Spinnen

Wie gerüchteweise zu vernehmen ist, soll ein Schwerpunkt zeitgenössischer Skulptur gewidmet sein, etwa Louise Bourgeois, zugegeben eine Künstlerin von Weltruf, aber was haben ihre Spinnen mit der Identität des Belvedere zu tun? Und die Kosten? Wohl teurer als eine Ausstellung mit vorwiegend hauseigenem Bestand.

Es ist also eine vergebene Chance, gerade die Ausstellung im Jubiläumsjahr ersatzlos zu streichen, die dem Ambiente des barocken Schlosses am besten gerecht geworden wäre. Auch ist es ein Irrtum, zu glauben, dass Touristinnen und Touristen nur wegen Klimts Kuss das Belvedere aufsuchen. Sie wollen das barocke Schloss, den Garten mit seinem legendären Wien-Blick, das Flair eines habsburgischen Imperiums und den Mythos um Prinz Eugen erleben. Hier mit einem didaktischen Konzept und dem Einsatz digitaler Medien Malereien, Grafiken und Skulpturen aus der Zeit der Kaiser Leopold I., Josef I. und Karl VI. lebendig werden zu lassen hätte bei entsprechender Bewerbung ein großer Publikumserfolg werden können. Aber das zu erkennen, dafür fehlt der Chefin des Hauses und ihrem kaufmännischen Berater leider das Verständnis.

Not und Tugend

Es ist unumgänglich, dass nach dem pandemiebedingten Besucherschwund neue ressourcensparende Ausstellungskonzepte entwickelt werden müssen. Das Belvedere zeigt aktuell mit der Biedermeierausstellung Bessere Zeiten? und der Ausstellung Dürerzeit, wie es gehen kann. Diese Besinnung auf die Bestände des Hauses zur Kunst Österreichs hätte in der Barockausstellung eine logische Fortsetzung gefunden, sogar ein Anknüpfungspunkt an die aktuelle Situation wäre möglich gewesen, wie das die Schau in der Schönbrunner Wagenburg Coronas Ahnen. Masken und Seuchen am Wiener Hof 1500–1918 bewiesen hat. So wäre in der Ausstellung natürlich die Pestsäule auf dem Graben thematisiert worden, zu der Entwurfszeichnungen und ein Modell erhalten sind.

Ästhetisches Erlebnis

Dieses Initialwerk des italienisch orientierten Hochbarocks in Wien ist nicht nur ein Wahrzeichen, man erinnerte sich am Beginn der Corona-Pandemie sogar seiner ursprünglichen kultischen Bedeutung und stellte Kerzen auf. Gerade die Bezüge, die von den Ausstellungsstücken zu den monumentalen im Stadtraum vorhandenen Werken geschaffen worden wären, hätten sowohl den Besucherinnen und Besuchern aus Wien als auch den Touristinnen und Touristen aus aller Welt einen Erkenntnisgewinn und ein ästhetisches Erlebnis verschafft. (Ingeborg Schemper-Sparholz, 7.1.2022)