Die persische Textilkünstlerin Fanny Abrari hat ein Herz für Grün, nur leider keinen grünen Daumen. Aus der Loggia wurde daher ein Rückzugsort und ein temporäres Kinderzimmer für den Patchwork-Sohn.

"Grün ist meine absolute Lieblingsfarbe. Es ist für mich Ausdruck von Frische und Lebendigkeit. Wenn ich Gras, Blumen, Bäume sehe und wenn ich grün angezogen bin, dann energetisiert mich das, dann geht es mir auf der Stelle besser. Das Problem ist nur: In der iranischen Flagge gibt es einen grünen Streifen, in der österreichischen aber nicht. Daher war es eine längst überfällige Kompensation, mir in meiner neuen Heimat Wien ein grünes Sofa zuzulegen.

Bei Grün wird sie schwach: Fanny Abrari in ihrer "viel zu großen" grünen Sitzlandschaft.
Foto: Lisi Specht

Das damit verbundene Problem wiederum ist: Dieses Sofa ist riesig, eigentlich viel zu groß für diese Wohnung! Das halbe Wohnzimmer besteht aus grüner Sitzlandschaft, aber … Wie soll ich sagen? Wenn ich Grün sehe, werde ich einfach schwach! Ich habe auch einen Kermit, natürlich grün, grüne Sparschweine und jede Menge Zimmerpflanzen, wobei ich eigentlich keinen wirklich grünen Daumen habe – außer bei Orchideen, aber das ist ja keine Kunst. Orchideen sind nicht umzubringen.

Manchmal schauen sie knorrig und kaputt aus, und man denkt sich, das war’s jetzt – und eine Woche später treiben sie im tiefsten Winter plötzlich neue Blüten aus!

Manchmal ist man selbst eine Orchidee, ist kaputt und am Boden zerstört, und siehe da, kurze Zeit später ist das Leben wieder in voller Blütenpracht zurückgekehrt. Mein persönlicher Orchideenmoment ist, wenn Menschen den Wert und die Qualität meiner Arbeit und meines Labels anerkennen, wenn meine Botschaft von ethisch korrekter, nachhaltiger Produktion gehört und verstanden wird.

Nach einem Schicksalsschlag fand Fanny Abrari die Wohnung in Wien-Währing.
Fotos: Lisi Specht

Ich wohne in Gersthof, Währing. Gefunden habe ich die Wohnung vor 15 Jahren, in einer recht schwierigen Zeit, kurz nachdem mein damaliger Lebensgefährte an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ich stand damals vor dem Nichts, war ein Häufchen Elend. Und plötzlich ist mir diese unleistbar erscheinende Wohnung zugeflogen. Die damaligen Eigentümer sind mir entgegengekommen, sodass ich mir einen Kredit leisten konnte. Man möchte es in einer von Kapitalismus getriebenen Zeit nicht für möglich halten, noch solchen Menschen zu begegnen. Das hat mich berührt.

Vor ein paar Jahren habe ich dann meinen jetzigen Mann Martin kennengelernt. Zum Glück hat Martin neben der großen Couch auch noch Platz gefunden. Und obwohl die Wohnung nur 67 Quadratmeter hat, haben wir auch Platz geschaffen für seinen elfjährigen Sohn, der patchworkweise bei uns wohnt. Wie sich das ausgeht? Martins Oma hatte die beste Idee überhaupt: Wir haben die Loggia zum Wintergarten ausgebaut, und je nach Bedarf ist der nun Kinderzimmer, Wintergarten, Nähzimmer oder Rückzugsoase. Funktioniert wunderbar! Danke, Oma!

Die Loggia wurde zum Kinder- und Arbeitszimmer bzw. zu einer Rückzugsoase.
Fotos: Lisi Specht

Und so ist das Wohnen und Leben ein ewiges Werden und Entstehen, nicht wirklich planbar. You gotta go with the flow. Aber natürlich gibt es auch ein paar Konstanten, die mich an meine Heimat Persien erinnern. An der Wand hängen eine Dāyere-Trommel, ein Saiteninstrument namens Setar und ein wunderschöner Seidenteppich aus Isfahan. Sie stehen sinnbildlich dafür, dass ich zwei Heimaten gleichzeitige habe, eine mit und eine ohne Grün in der Flagge.

In einem Punkt wird mir Österreich aber wohl immer ein bisschen fremd bleiben – beim Jammern und Nörgeln. Es ist unglaublich, in was für einem Paradies wir hier leben! Politische Freiheit, Medien- und Meinungsfreiheit, ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, öffentlicher Verkehr, allerbestes Trinkwasser, eine reichhaltige, staatlich subventionierte Kunst- und Kulturszene … Das sind keine Selbstverständlichkeiten. Vieles davon gibt es im Iran nicht, und trotzdem haben sich die Perser das Lachen bewahrt. Mein aktuelles Lieblingsbuch im Bücherregal handelt von Kintsugi. Das eine jahrhundertalte japanische Handwerkskunst, um zerbrochene Keramik und Porzellan zu reparieren und zu veredeln. Wir könnten diese Kunst gut gebrauchen – eine Art Gesellschaftskintsugi. Das wäre mein insgeheimer Wunsch für 2022." (Wojciech Czaja, 10.1.2021)