Anklage und Wunsch nach Versöhnung: Imbolo Mbue.

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Sobald ein Verlag eine Million Dollar Vorschuss für ein Debüt hinlegt, werden weitreichende Werbe- und Verkaufsstrategien gesetzt, um das Geld wieder hereinzuspielen. Imbolo Mbues Erstling Das geträumte Land wurde so weltbekannt. Die in den USA lebende, aus Kamerun stammende Autorin beschreibt darin die Probleme von Migranten in einer einst für Einwanderung offenen Gesellschaft. Die Kehrseite des amerikanischen Traums also, veröffentlicht in der Ära Trump.

Der zweite Roman, Wie schön wir waren, widmet sich unüberbrückbaren Differenzen zwischen traditionellen "afrikanischen" Strukturen und einem ausbeuterischen, global agierenden System. Mbue schildert ein Dorf mit fiktivem Namen in einem unbenannten Land, das sich in Westafrika befinden könnte, denn ihre Protagonistinnen tragen regionale Namen, wie Cotonou, Juba, Lusaka oder Bamako. Pexton, die Bezeichnung des unheilbringenden Global Players mit Sitz in den USA, ist hingegen erfunden. Basierend auf realen Geschehnissen wie der rücksichtslosen Ölförderung entwirft die Autorin zwei gegensätzliche Welten und führt ihre Erzählung von der verzweifelten Lage des Dorfes, das unter den tödlichen Auswirkungen der Umweltverschmutzung aufgrund der Bohrungen leidet, zur Utopie eines Befreiungskampfes bis hin zum Scheitern einer Revolte.

Dörfliche Traditionen

Als Leserin ist man immer froh, literarische Zeugnisse aus afrikanischen Ländern zu erhalten, doch werden sie auffällig oft über den Umweg USA publiziert. Die Autorinnen haben dort häufig eine Hochschulausbildung durchlaufen und richten ihren Fokus dementsprechend auf eine Kommunikation zwischen dem Land, in dem sie leben, und ihrem Herkunftsland. Die von Autoren in afrikanischen Verlagen veröffentlichten Werke erzählen meist andere Geschichten und sind nicht auf westliche Vorlieben abgestimmt. Sie erscheinen auf Deutsch in kleinen, engagierten Verlagen wie Das Wunderhorn, Peter Hammer oder Unionsverlag.

Zurück zu Mbue: Sie beschreibt im Roman dörfliche Traditionen in verschiedenen Stimmen, und es gibt darin schöne Passagen zu lesen, wie etwa die Gefühle, die Frauen ihren Ehemännern entgegenbringen: So erzählt die Mutter der Heldin Thula von ihrer innigen Verbundenheit mit ihrem Mann, der auf der Suche nach einem Dialog mit der Ölfirma verschwunden ist. Auch Großmutter Yaya schwärmt von ihrem verstorbenen Mann. Eine politische Komponente transportieren diese Äußerungen dennoch: Liebe und Gemeinschaft wurden schon von Martin Luther King als Praxis der Befreiung gepriesen, da es stets den Interessen der Herrschenden diente, Familien auseinanderzureißen.

Thula bekommt als Einzige des Dorfes die Chance zu studieren, noch dazu in den USA. Auch Bildung stellt eine Möglichkeit zur Emanzipation dar. In New York radikalisiert sich Thula in revolutionären Zirkeln. Denkmodelle dazu werden nie genau benannt, Ideen umschrieben. Mbue will damit Allgemeingültigkeit suggerieren, und nur so kann es gelingen, den anfangs gesetzten naiven Ton beizubehalten. Das liest sich oft umständlich: "Wir haben u¨ber zurückliegende Bewegungen geredet und was ich mir von ihnen abgucken kann. Sie haben mir Bücher zu diesem Thema empfohlen. Einer von ihnen hat mich seinem Onkel vorgestellt, einem Mann, der einer Bewegung in Amerika angehörte, die die Verabschiedung von Gesetzen bewirkt hat, durch die für jeden im Land das Recht auf Gleichbehandlung verankert wurde."

Tod und Zerstörung des Althergebrachten

Je weiter sich die Handlung von der dörflichen Ausgangslage entfernt, desto schematischer wirken die märchenähnlich angelegten Strukturen. Stilistisch zeigt sich das Dilemma, indem die Autorin auf Dialoge verzichtet, stattdessen indirekte Reden setzt. Die Nacherzählung von Diskussionen und Konflikten legt einen Filter über die Geschehnisse und berührt so emotional weit weniger als beabsichtigt. Die indirekte Erzählweise dämpft den behaupteten gemeinschaftlichen Zusammenhalt als Gegenkraft zur Unmenschlichkeit eines ausschließlich auf Profit ausgerichteten globalen Konzerns. Das kollektive Erzählen der Dorfkinder als "Wir" ändert daran kaum etwas.

Mbues Botschaft ist jedoch von Anfang an klar: Wann immer Fremde ins Land kamen, richteten sie Unheil an. Vor der Ölförderung war es der Anbau von Kautschuk. Mit dem Ende des Kolonialismus gab es Hoffnung auf Freiheit, doch dann wurden Diktatoren installiert, die die Ausbeutung jahrzehntelang fortsetzen. Meist arbeiten diese Regenten mit den Konzernen Hand in Hand. Die Teilnahme am kapitalistischen System wird am Ende immer mit Tod und Zerstörung des Althergebrachten erkauft.

Der Roman bleibt unentschieden zwischen Anklage und Wunsch nach Versöhnung. Konkreter wurden derartige Problematiken bereits in Helon Habilas Öl auf Wasser behandelt. Sein Roman über die Ölkatastrophe im Nigerdelta erschien 2012 bei Das Wunderhorn. Dort allerdings sind die Protagonisten vor allem Männer. Immerhin nimmt Mbue in ihrer Darstellung auch die Sichtweisen von Frauen und Kindern in den Fokus. (ALBUM, Sabine Scholl, 9.1.2022)