Die FFP2-Maske ist zum Accessoire geworden, das auch auf der Piste gern getragen wird.

Foto: Gerhard Berger

Neun Minuten Infektionsrisiko. So lange dauert die Fahrt mit der Pardatschgratbahn von Ischgl hinauf ins weitläufige Skigebiet der Silvretta Arena. Die Wiener U1 braucht für die Strecke Hauptbahnhof–Praterstern ungefähr gleich lang. Für Fachleute wie den Molekularbiologen Ulrich Elling von der Akademie der Wissenschaften stellen genau diese Indoorsituationen rund um das Skifahren das größte Infektionsrisiko im Zuge von Wintersport dar. "Wenn ich nicht in Gondeln oder Skihütten gehe, ist gegen den Sport nichts einzuwenden. Outdoor ist einfach so viel weniger gefährlich als Indoor", erklärte Elling kürzlich im STANDARD.

Wer im Paznauntal urlaubt, muss für die Liftbenützung einen 2G-Nachweis besitzen. Für Skitouristen aus dem Ausland gilt zudem schon bei der Einreise nach Österreich 2G plus. Der Immunstatus wird auch beim Kauf des Skipasses genau kontrolliert. Wer mit personalisiertem Saisonpass oder einer regionalen Karte wie dem Freizeitticket kommt, muss sein Impfzertifikat am Selbstbedienungsterminal einscannen. Zahllose orange Hinweisschilder, Bodenmarkierungen und LED-Banner weisen im und vorm Stationsgebäude auf die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen hin. Mit Erfolg: Ischgl stand mit 122 aktiv positiven Fällen am Freitag vergleichsweise gut da.

Omikron als Herausforderung

Für Mario Gerber, VP-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Tyrol Tourism Board (TTB), erfüllt der Tourismus mit die strengsten Auflagen aller Branchen. Dass nun angesichts steigender Infektionszahlen wieder auf Hotellerie, Gastronomie und Seilbahnen gezeigt wird, hält er für unfair: "Wir haben im Vorfeld alles unternommen, aber Omikron ist eine neue Herausforderung." Auch in anderen Wirtschaftszweigen, wie der Industrie oder dem Handel, habe man wegen der hochansteckenden Virusvariante mit Clustern zu kämpfen. "Ich warne davor, nun auf Einzelne zu zeigen, und plädiere dafür, zusammenzuhalten", sagt Gerber.

Skizirkus in geordneten Pandemiebahnen.
Foto: Gerhard Berger

Auf den Pardatschgrat fährt eine moderne Dreiseilumlaufbahn mit Gondeln, die Sitzplätze für 28 Passagiere bieten. Die Kabinen sind an diesem Mittwochvormittag trotz Schneefalls und böigen Winds gut gefüllt. Beim Einstieg bildet sich eine kleine Menschentraube. Früher, vor der Pandemie, schob einen die Menge förmlich in die Gondel. Heute wird auch in dieser Situation Abstand gehalten. Kein Drängen, kein Schubsen. Die Menschen scheinen geduldiger geworden zu sein.

Durch die schmalen Kippfenster an der Kabinendecke weht die eisige Brise kleine Schneeflocken ins Innere und sorgt für ein wenig Frischluft. Drinnen murmeln die Gäste in ihre FFP2-Masken, die ausnahmslos alle tragen. Die von der Decke hängenden Skier dienen gleichsam als Abstandshalter zwischen den Wintersportlern. Trotz der Enge kommt in der Gondel kein ungutes Gefühl auf. 1251 Höhenmeter und neun Minuten später geht es auf die Piste. Viele Skifahrer tragen auch im Freien weiter ihre FFP2-Maske. Sie dient nicht nur als Schutz vor Coronaviren, sie macht auch die beißende Kälte auf der empfindlichen Gesichtshaut erträglicher.

Die Silvretta Arena ist trotz des Wetters erstaunlich gut besucht. Auf den Hängen tummeln sich tausende Wintersportler. Wer keine weitere Fahrt in einer geschlossenen Gondel riskieren will, hat hier oben eine schier endlose Auswahl an Sessel- und Schleppliften – auf denen übrigens auch FFP2-Masken-Pflicht gilt. Theoretisch genügt in Ischgl eine einzige Gondelfahrt für einen ganzen Skitag.

Auf den Skihütten bleiben trotz Schlechtwetters viele im Freien, um den schnellen Kaffee oder das Bier zwischendurch zu genießen. Partyexzesse und Betrunkene sind nirgendwo zu finden. Auch die Beschallung rund um die Hütten ist deutlich leiser als vor der Pandemie.

Après-Ski ist wiederum ein Konzept aus vergangenen Zeiten, das Kitzloch muss als Fotomotiv für Touristen herhalten.
Foto: Gerhard Berger

Wobei nur eine Sesselliftfahrt hinauf aufs Idjoch genügt, um in eine ganz andere Welt einzutauchen. Am Grat verläuft die Staatsgrenze zur Schweiz mitten durchs Skigebiet. Drüben in Samnaun, bei den Eidgenossen, gibt es keine Sperrstunde und kein Après-Ski-Verbot. So wirbt etwa die dortige Schmuggler Alm mit Party auf der Terrasse "ohne Maske und ohne Zertifikat". Videos zeigen ausgelassene Mitsing-Gelage, wie man sie vor Corona auch in Österreich kannte.

Tiroler Après-Ski-Tristesse

Auf der Tiroler Seite der Berge kommentiert Bernhard Zangerl, Wirt im berühmten Kitzloch, die Situation mit einem Schulterzucken: "In Samnaun können die Gäste bis drei Uhr Früh Disco machen. Bei uns ist täglich Polizeikontrolle angesagt." Am Montag dieser Woche wanderten sechs Uniformierte durch die Ischgler Lokale, um 2G-Nachweise und Einhaltung der Corona-Regeln zu überwachen. Am Dienstag waren drei Beamte in Zivil unterwegs, erzählt Zangerl am Mittwoch: "Mal sehen, was sie heute machen."

Gefeiert wird nur jenseits der Grenze auf Schweizer Seite.
Foto: Gerhard Berger

Vor dem Kitzloch bleiben immer wieder Touristen stehen, um ein Selfie vor der wohl bekanntesten Fassade Ischgls zu schießen. Zangerl arbeitet bereits daran, die Marke Kitzloch schützen zu lassen. Damit wäre im Moment mehr zu verdienen als mit dem nur dürftig besuchten Lokal, scherzt er.

Um 16 Uhr, wenn die Lifte schließen, trudeln zumindest ein paar Gäste von den Pisten in den Ischgler Bars ein. Doch Sitzplatzpflicht und strenge Kontrollen lassen in den Après-Ski-Spelunken wie der Schatzi Bar oder dem Kuhstall keine Stimmung wie früher aufkommen. Es scheint, als ob auch die Partymeute pandemiemüde geworden ist. (Steffen Arora, 8.1.2022)