Die Klimakrise stellt uns vor die größte Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems seit der industriellen Revolution. Konflikte sind vorprogrammiert, sagt Walter Osztovics vom Beratungsunternehmen Kovar & Partners im Gastkommentar.

Illustration: Fatih Aydogdu

Im Jahr 2020 wurden in Österreich 248.740 Pkw neu zugelassen, das ist der tiefste Wert seit 1987. Lediglich 20 Prozent tragen das Prädikat "klimafreundlich". Was lässt sich daraus über die Haltung der Österreicherinnen und Österreicher zum Klimaschutz schließen? Aus der pessimistischen Greta-Thunberg-Perspektive: Sechs Jahre nach dem Abkommen von Paris – wo das Zwei-Grad-Ziel rechtlich verbindlich gemacht wurde – kaufen immer noch 80 Prozent Autos mit Verbrennungsmotor.

Eine optimistische Interpretation dagegen sieht den Gesamtrückgang an neuen Autos als positives Indiz: Offenbar orientieren sich die Menschen in ihren Mobilitätsgewohnheiten neu. Denn dass sich da etwas ändert rund um uns, ist unübersehbar geworden. Österreich und Europa nehmen den Klimaschutz plötzlich ernst. Erstmals sind die Abkommen keine leeren Versprechungen mehr, sondern folgen konkreten politischen Programmen und sind entsprechend finanziert.

Wir stehen am Beginn der größten Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems seit der industriellen Revolution. Aber wir haben nur unklare Vorstellungen davon, was das für die Einzelne, den Einzelnen bedeutet – so lautet jedenfalls der zentrale Befund der "Arena-Analyse 2022 – Ein harter Weg". Denn kurioserweise wurden zwar viele Bücher über die Folgen einer möglichen Klimakatastrophe geschrieben, kaum aber über das Gegenteil: Wie wird eine Welt aussehen, die den Kampf gegen die Erderwärmung gewonnen hat?

Städte werden attraktiver

Erste Anzeichen lassen sich bereits erkennen: Die Nachbarn im Dorf haben neue Photovoltaik-Paneele aufs Dach montiert und tanken ihren Wagen an der Steckdose auf. Immer mehr Windräder überziehen das Land. Die OMV, Österreichs stolzer Erdölkonzern, will nach und nach die Produktion von Benzin und Diesel aufgeben, weil absehbar ist, dass in zehn bis 15 Jahren niemand mehr fossile Treibstoffe kaufen wird.

Wie wir künftig wohnen werden, ist schon weniger klar. Die Politik versucht uns gerade schonend beizubringen, dass wir Öl- und Gasheizungen ersetzen und insgesamt den Energieaufwand verringern müssen. Doch das ist nur der erste Schritt. Längerfristig werden sich die Siedlungsstrukturen verändern. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass sich der bestehende Trend zur Urbanisierung noch verstärkt, nicht zuletzt, weil die Städte durch ihre Anpassungsstrategien an das wärmere Klima immer grüner und autofreier werden. Zudem muss die Raumplanung künftig dafür sorgen, dass möglichst wenig Grünland verbaut wird – hier hat Österreich noch gewaltigen Umdenkbedarf.

Kosten steigen

Allerdings führt die Attraktivität der Städte auch dazu, dass dort die Kosten für Wohnungen steigen, was neue soziale Probleme aufwirft. Wo sollen junge Familien oder die Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen leben, wenn die Mieten in der Stadt zu hoch sind, die freien Grundstücke in den Dörfern unter Bauverbot stehen und die Errichtung von Eigenheimen zusätzlich durch gut gemeinte Klimaschutzvorschriften unerschwinglich wird? Die bevorstehende Transformation erfordert eine neue Art des sozialen Wohnbaus, um eine Spaltung in klimaneutrale, begrünte Wohnviertel für die Reichen und Slums voller unsanierter CO2-Ruinen für die Wenigverdienerinnen und -verdiener zu vermeiden.

Immerhin ist bei der Dekarbonisierung des Sektors Wohnen wenigstens theoretisch klar, was geschehen müsste. Für den heikelsten unter den Klimasündern, der bisher aus allen Plänen ängstlich ausgeklammert wurde, gilt das leider nicht: die Landwirtschaft. Oder doch: Alle einschlägigen Studien sind sich immerhin einig, dass der weltweite Fleischkonsum das größte Problem darstellt. Ganze 71 Prozent der weltweiten Ackerfläche dienen der Produktion von Viehfutter, dazu kommen die Methanemissionen aus den Rindermägen.

Essen aus "Bioreaktoren"?

Schon 2019 empfahl der Weltklimarat (IPCC), Weiden und Ackerland zu reduzieren und stattdessen Wälder aufzuforsten. Trotzdem muss eine wachsende Weltbevölkerung ernährt werden, weshalb hier genau wie bei der Industrie und dem Verkehr alle Hoffnung am technologischen Fortschritt hängt. Manche Expertinnen und Experten setzen hohe Erwartungen auf "Bioreaktoren", wo Fleisch durch Zellteilung "wächst" und dafür nur Sonnenenergie und eine Nährlösung braucht. Andere glauben, dass wir die Crispr/Cas9-Schere einsetzen müssen, um gentechnisch optimierte Pflanzen (ja, doch!) zu basteln, die ohne Dünger auch in heißen Gebieten höhere Erträge liefern.

Vielleicht aber lösen die Konsumentinnen und Konsumenten das Problem, indem sie einfach immer weniger Fleisch verzehren. Denn die bevorstehende Transformation wird auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen vor sich gehen: Zum einen müssen durch politische Vorgaben, durch gezielte Besteuerung und Fördergelder die großen Strukturen verändert werden. Zum anderen wird aber auch jede und jeder Einzelne gefordert sein, das individuelle Verhalten anzupassen.

Konflikte wie bei Corona

Auf beiden Ebenen sind Konflikte vorprogrammiert. Jede politische Entscheidung wird zwangsläufig Gruppen benachteiligen, die dann nicht einsehen, warum gerade sie die ersten Opfer sein sollen – wie die Bewohnerinnen und Bewohner jener Gegenden, die durch die Lobau-Autobahn entlastet worden wären. Früher oder später sind aber auch ideologische Auseinandersetzungen zu erwarten, die – so fürchten die Expertinnen und Experten – ähnliche Formen annehmen werden wie die aktuellen Proteste der Impfgegnerinnen und Impfgegner: Aufgebrachte Verteidigerinnen und Verteidiger von Fleischkonsum und Urlaubsflügen wettern gegen die "Klimadiktatur" und werden ihrerseits für ihren Egoismus und die mangelnde Solidarität beschimpft.

Lässt sich solch Kollateralschaden für die Demokratie vermeiden? Ja, wenn die Regierungen die großen Transformationen nicht einfach verordnen und sich hinter wissenschaftlicher Notwendigkeit verschanzen, sondern die Betroffenen frühzeitig einbinden.

Das ist die gute Nachricht der "Arena-Analyse 2022": Der Klimawandel könnte einen Boom bei Partizipation und Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung erzwingen. (Walter Osztovics, 9.1.2022)