Die Demonstration am Ring.

Foto: Christian Fischer

Ein Demonstrant mit Henkersbeil, abgeschnittenem Plastikkopf und einem Plakat, auf dem steht: "Holt eure Landesverräter".

Foto: Gaigg

Aufnahme der Demo-Menge.

Foto: Christian Fischer

Aufnahme der MFG-Kundgebung.

Foto: Christian Fischer

Am anderen Ende der polizeilichen Sperrkette am Ring.

Foto: Christian Fischer

Die kurzzeitige Spitze der Demo, bevor sie gekesselt wurde.

Foto: Christian Fischer

Österreich-Fahnen sind unter den Demonstranten beliebt.

Foto: Christian Fischer

Der Mann ist aufgebracht. "Wir kämpfen für uns alle", ruft er und streckt seine Arme in die Höhe. Er hält mehreren Polizisten ein Plakat vor die Nase, auf dem etwas von "Coronadiktatur" und "Wahrheit" steht. "Der größte Genozid der Menschheit wird vollzogen, wenn ihr nicht mitmacht", beschwört er die Beamten, bevor er sich mangels Reaktion auf seine Appelle wieder dem allgemeinen Geschehen zuwendet.

Denn zu sehen gibt es gerade einiges: Direkt neben ihm hat sich gerade eine Gruppe an Menschen zu einem dichten Block formiert und ein Transparent entrollt. "An uns bricht eure Nadel" ist dort in weiß auf rotem Hintergrund zu lesen. Die Gruppe hat sich bereit gemacht, um die in Kürze startende Demonstration gegen Corona-Maßnahmen anzuführen, zu der an diesem Samstagnachmittag unter dem Motto "Sturm auf Wien" aufgerufen wurde. Der Chef der rechtsextremen Identitären, Martin Sellner, steht direkt davor und begutachtet die Formation seiner mutmaßlichen Anhänger.

Widerstand und Volk

Man könnte also sagen: Es ist alles wie immer. Zumindest, was die meisten Corona-Demonstrationen betrifft, die in den letzten Wochen und Monaten in Wien abgehalten wurden. Tatsächlich setzt sich dann auch dieser Demozug wie gewohnt mit Rechtsextremen an der Spitze vom Heldenplatz aus am Ring in Bewegung. Die Demonstranten skandieren "Wir sind das Volk" und "Widerstand", es wird Pyrotechnik gezündet.

Bernhard Weidinger, Experte für Rechtsextremismus, analysiert die Ästhetik der aktuellen Demo in Wien.

Nach kurzer Zeit taucht auch Corona-Demo Rädelsführer Martin Rutter auf und nickt der Demospitze wohlwollend zu. Er trägt keine Maske, dafür aber ein blau-weißes Tuch, mit dem er sein Gesicht zeitweise vermummt. Immer wieder filmt er sich und das Geschehen, kommentiert die Szenerie für seine Anhänger online. Er war es, der unter anderem heute zu dieser Demonstration geladen hatte.

Dann zieht die Polizei plötzlich Sperrgitter auf, der Marsch wird angehalten. Große Teile der Demospitze werden von den Beamten eingekesselt, können als weder vor noch zurück. Rutter geht live: "Der Polizei darf man kein Wort glauben", schickt er seinen Anhängern per Sprachnachricht. "Diesem Regime ist nicht mehr zu vertrauen. Das Leben in dieser Demokratie ist zu Ende, es gibt keine Demokratie mehr."

Böller und Pfefferspray

Die Situation schaukelt sich schnell hoch, es werden Böller gezündet, Bierdosen fliegen. Nachdem eine Gruppe versucht, die Sperre zu durchbrechen, setzt die Polizei Pfefferspray ein. Auch Rutter bekommt im Gemenge etwas ab. Auf Nachfrage begründet die Wiener Landespolizeidirektion (LPD Wien) die Anhaltung und Einkesselung damit, dass man an der Demospitze Personen wahrgenommen habe, die gefährliche Gegenstände und Pyrotechnik mit sich geführt bzw. gezündet haben. Unter anderem hätten die Beamten als Fahnenstangen getarnte Schlagstöcke und mit Sand gefüllte Handschuhe entdeckt, heißt es seitens der LPD.

"Das Ziel war, den Kreis vom Rest zu trennen und Personenkontrollen durchzuführen", sagt eine Sprecherin. Was dann auch so gekommen ist: Nach etwa einer Dreiviertelstunde wird der Ring für den Rest wieder freigegeben. Die Demonstranten fusionieren unter Jubel mit einem zweiten Teil der Demo, der sich in der Zwischenzeit auf der anderen Seite der polizeilichen Sperrkette versammelt hat.

MFG dabei

Doch recht schnell scheint dann die Luft draußen zu sein, es will nicht so recht Stimmung aufkommen. Vereinzelt wird "Regierung muss weg" gerufen, immer wieder auch "Lügenpresse". Aufschluss – oder zumindest Einblick – in die Demo liefern mitgeführte Fahnen: Neben solchen des Verschwörungskults "QAnon" und der so genannten "Gadsden"-Fahne, die auch von Trump-Fans beim Sturm auf das Kapitol verwendet wurde, sind auch viele Österreichfahnen und Luftballons der Impfgegner-Partei MFG zu sehen.

Letztere hatte sich bereits am frühen Nachmittag gesondert im Votivpark in einem Meer von weißen Luftballons versammelt. Dort wurde ersichtlich, welche Funktion die regelmäßigen Corona-Demos für viele mittlerweile wohl haben: Neben der Formierung als gemeinsamer politischer Bewegung dürfte es vielen auch um das soziale Happening gehen, das beinahe Wochenende für Wochenende stattfindet. "Schön, dass Sie heute Ihre Bekannten wieder treffen", sagt etwa der Moderator bei der MFG-Kundgebung zur Begrüßung. Ein Redner, der sich als Anhänger der "Studenten stehen auf"-Fraktion vorstellte, prognostiziert: "Diese Bewegung wird nicht aufhören, auch, wenn Corona vorbei ist."

Zehntausende Teilnehmer

40.000 Demonstranten haben zu Höchstzeiten am Marsch teilgenommen – so lautet die erste Schätzung der Polizei am Samstagabend. Es ist zu Festnahmen und Anzeigen gekommen, sowohl strafrechtlich- als auch verwaltungsrechtlicher Natur. Auch Verstöße gegen das Verbotsgesetz habe es gegeben. Quantifizieren ließ sich das seitens der LPD Wien vorerst noch nicht.

Dem Vernehmen nach suchte der Verfassungsschutz in den letzten Tagen Kontakt zu Rädelsführern des harten Kerns. Just am Tag der Demonstration hat einer offenbar Besuch von Beamten bekommen, wie er in einer Social-Media-Gruppe berichtet. "Warum kommt der Verfassungsschutz zu mir vor die Haustüre und bittet, zum Zweck einer Gefährderansprache eintreten zu dürfen?", schreibt er. Er selbst hat eine Vermutung: "Es ist durchaus mit den Ereignissen letzte Woche erklärbar. Obgleich sich für sie eine gewisse Radikalisierung in der maßnahmenkritischen Bewegung schon länger abzeichnet, sprechen jüngste Ereignisse dafür, dass nun besondere Vorsicht zu walten ist."

Es ist eine Anspielung auf jenes kürzlich publik gewordene Video, in dem Neonazi Gottfried Küssel gemeinsam mit Szenegrößen über weitere Aktionen sinniert. "Nachdem aber in unmittelbarer Folge, entweder aus Stumpfsinn, oder wiederum aus Kalkül, der "Sturm auf Wien" ausgerufen wurde, scheinen die Zeichen für drohende Gewalt eindeutig", schreibt der Besuchte weiter.

Kickl am Sonntag im Demo-Einsatz

Nicht nur im Vorfeld von Demos, sondern auch vor Ort kommt es immer wieder zu gewalttätigen Aufrufen oder Anspielungen. Am Samstag führt zum Beispiel ein Demonstrant ein Plakat mit Fotos von österreichischen und deutschen Politikern samt dem Schriftzug "Holt eure Landesverräter" spazieren. Sein Aufzug wird durch einen abgeschnittenen Plastikkopf und eine Henkersaxt komplementiert.

Insgesamt war bei der gesamten Demonstration der übliche Mix aus Gruppen und Strömungen zu beobachten: Rechte und Rechtsextreme, vereinzelt Hooligans, Verschwörungsanhänger und Esoteriker, Impfgegner und Mitstreiter der MFG. Auffällig war allerdings, dass Vertreter der FPÖ diesmal fehlten. Das liegt wohl daran, dass Parteichef Herbert Kickl am Sonntag an einer Corona-Demo in Innsbruck teilnimmt. Er wird sich als Redner die Bühne mit Gerhard Pöttler, dem Finanzreferenten der MFG, teilen.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) spricht im Vorfeld von einem "schwierigen Demonstrationseinsatz", der in Innsbruck bevorstehe. "Ich appelliere hier an die Verantwortung einer im Parlament vertretenen Partei den politischen Diskurs im Parlament zu führen und nicht auf die Straße zu verlegen", sagt Karner Samstagabend.

Maske oder keine Maske

Am Heimweg werden die Demonstranten in mehreren U-Bahn-Stationen von Securitys der Wiener Linien und Polizeibeamten in Empfang genommen, die die Covid-Maßnahmen – also die Maskenpflicht – kontrollieren. Fast niemand trägt eine. Viele setzen sie widerwillig auf, um sie ein paar Meter nach der Kontrolle wieder abzunehmen. Nicht wenige beginnen eine Diskussion mit den Beamten. "Zeig mir den Gesetzestext, wo das steht", fordert eine Frau einen Polizisten auf.

Eine andere kramt einen Zettel aus ihrem Rucksack und präsentiert ihn grinsend den Beamten. "Maskenbefreiung", sagt sie und darf gehen. Sobald Zweifel an der Echtheit des Attests bestehen werde dieses fotodokumentiert und eine Anzeige gelegt, heißt es seitens der LPD Wien. Eine Kollegin hatte weniger Glück, ihre Daten werden aufgenommen. (Vanessa Gaigg, 8.1.2021)