Andreas Babler mit dem Rettungswagen, den der Samariterbund Traiskirchen der Stadt Bihać spendete.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)
v.l.n.r.: Ein Stadtrat von Bihać, Horst Alic, Bürgermeister Šuhret Fazlić, Petar Rosandić, Andreas Babler.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)

Es ist eiskalt in Bihać. Minus neun Grad zeigt ein Schild am Straßenrand an. Vor wenigen Tagen ist der Winter erst so richtig in die Stadt eingezogen. Eine dicke Schneedecke liegt über der Landschaft. Hier, in den bosnischen Wäldern entlang der EU-Außengrenze, schlafen auch im Jahr 2022 Flüchtlinge und Migranten – auch wenn ein neues Camp die Lage im Vergleich zum Vorjahr erheblich entschärft. "Es ist ein Armutszeugnis", sagt Andreas Babler, der Bürgermeister (SPÖ) von Traiskirchen, mit Blick Richtung angrenzendes Kroatien. Für viele der jungen Afghanen und Pakistanis hier ist es aufgrund der gewaltsamen und illegalen Pushbacks durch die kroatische Polizei unerreichbar.

Babler und der Grazer KPÖ-Gemeinderat Horst Alic sind gekommen, um den Bürgermeister von Bihać zu treffen. Sie wollen sich über Probleme und Know-how in der Flüchtlingshilfe austauschen und auch materiell unterstützen, wo es gebraucht wird. "Wir kennen das Gefühl, alleingelassen zu werden", sagt Babler in Anspielung auf die Situation rund um das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, vor allem im Jahr 2015. Er hat einen Rettungswagen des Samariterbundes Traiskirchen mitgebracht, um ihn der Stadt Bihać zu schenken.

v.l.n.r: Petar Rosandić von Sos Balkanroute, Andreas Babler, der Rettungskommandant von Bihać und ein Mitarbeiter, Horst Alic.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)

Neues Containercamp aufgebaut

"Das kommt genau richtig", bedankt sich Bürgermeister Šuhret Fazlić bei einem Empfang im Rathaus von Bihać. "Zwei Jahre hat unsere Regierung in Sachen Migranten nichts unternommen", sagt er. In dieser Zeit habe die Stadt viel von ihrem Budget für die Versorgung von Flüchtlingen und Migranten ausgegeben und dadurch teils kommunale Aufgaben vernachlässigen müssen. Laut Vertretern der örtlichen Rettung hat die knapp 60.000 Einwohner zählende Stadt aktuell nur zwei Rettungswägen, von denen einer für Covid-Fälle reserviert ist.

Merklich verbessert hat sich die humanitäre Situation an der bosnischen Grenze erst ein Jahr, nachdem im letzten Winter die Zelte des alten Flüchtlingslagers Lipa abgebrannt sind. Jahrelang gab es dort kein fließendes Wasser und keine gesicherte Stromversorgung, bis die Internationale Organisation für Migration (IOM) das Lager schlussendlich aus Protest schloss und die Bewohner sich selbst überließ. Bilder von frierenden Menschen im Wald gingen um die Welt.

Die meiste Zeit des Tages verbringen die Camp-Bewohner im Ausspeisungszelt.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)

Im November 2021 wurde ein neues Camp eröffnet. "Der Bau hat drei Millionen Euro gekostet. Etwas mehr als 50 Prozent davon hat die EU bezahlt. Den Rest Deutschland, Österreich und andere EU-Staaten", sagt Laura Lungarotti, die Leiterin der IOM-Mission in Bosnien Herzegowina. Das österreichische Innenministerium hat eineinhalb Millionen Euro an IOM gespendet.

Wie es den Menschen in dem neuen Camp, in einem Wald rund 25 Kilometer vom Zentrum Bihać entfernt, wirklich geht, ist schwer einzuordnen. Besucher werden von der Polizei begleitet. Eine Verbesserung im Vergleich zur Situation im Vorjahr ist es jedenfalls. Es besteht heute aus beheizbaren Containern mit gesicherter Strom- und Wasserversorgung. Geführt wird es von der bosnischen Polizei gemeinsam mit IOM. Es bietet Platz für rund 1.300 Menschen, aktuell sind 345 Betten belegt. Die meisten von ihnen sind alleinstehende, junge Männer aus Pakistan und Afghanistan. "Niemand muss mehr im Wald schlafen", sagt Lungarotti.

Sechs Erwachsene schlafen in einem Container.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)

Im wilden Camp

Und doch tun es nach wie vor einige. Laut IOM haben Mitte Dezember rund 400 Menschen außerhalb des Camps geschlafen. Der Wiener Petar Rosandić versorgt sie mit seiner Ngo "Sos Balkanroute" mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Kleidung. Er hat auch den Besuch von Babler und Alic in Bihać initiiert.

Auf einem verfallenen Fabriksgelände in der Nähe der Stadt, hinter einem abgebrannten Häuschen, sitzt eine Gruppe junger Männer rund um eine Metalltonne in der ein Feuer brennt. 30 bis 40 Menschen schlafen hier, erzählen sie. Warum sie nicht ins Camp Lipa gehen? "Weil von dort der Weg bis zur Grenze sehr weit ist", sagen mehrere. Sie alle wollen in die EU, das "Game" gewinnen, wie sie das Katz-und-Maus-Spiel mit der kroatischen Polizei nennen. Nach Österreich und Deutschland will hier keiner, dort hätten sie schlechte Chancen zu arbeiten, glauben die jungen Männer. Deshalb wollen die meisten nach Italien. Manche haben es schon 20 bis 30-mal versucht. Fast jeder sagt, er sei schon von der kroatischen Polizei verprügelt worden.

Die rechtswidrigen Pushbacks sind längst kein Geheimnis mehr. "Wir sind vor drei Tagen in Zagreb festgenommen worden. Wir haben Asyl gesagt, aber man hat uns zur Grenze gebracht, und jetzt sind wir wieder hier", erzählen zwei junge Afghanen. Es sind aber nicht nur die kroatischen Behörden, die sich an dieser Praxis beteiligen. "Wir treffen hier immer wieder Leute, die schon in Österreich waren und, obwohl sie Asylanträge stellen wollten, bis hierher abgeschoben wurden", sagt Rosandić. Im Juli hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark genau einen solchen Fall mit einem Urteil bestätigt. In einem weiteren sollte bald ein Urteil ergehen.

In einem der "wilden Camps" in Bihać.
Foto: Hasan Ulukisa (Sos Balkanroute)

Bosnien in der Krise

"Bosnien ist kein Transitland mehr, wie 2016. Die Menschen sitzen hier fest", sagt Lungarotti von IOM. Das Land müsse sich daher von Notfallhilfe auf langfristige Konzepte umstellen. Dazu gehöre ein effektives Asylsystem und legale Einwanderungsmöglichkeiten, sagt Lungarotti. "Nur ist das nicht so leicht in einem Staat, der weitgehend nicht einmal für seine eigenen Bürger funktionsfähig ist." Bosnien befindet sich aktuell in einer schweren politischen Krise.

"Wir verstehen die Migranten, weil wir selbst einen Krieg erlebt haben", sagt Bürgermeister Fazlić beim Mittagessen mit Andreas Babler und Horst Alic. Ein großer Teil seiner eigenen Familie lebt in Österreich. Es soll bald ein weiteres Treffen in Bihać geben, bei dem auch der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) dabei sein will. "Wir werden helfen. Es gibt keinen anderen Weg", sagt Babler. (Johannes Pucher, 10.1.2022)