Bild nicht mehr verfügbar.

Der russische Präsident Wladimir Putin (Bildmitte) beim Besuch des neues Kulturhauses GES-2 in Moskau. Dabei soll ihm die westliche Ausrichtung missfallen haben. Eine Verstimmung mit Konsequenzen.

Foto: Picturedesk

Als Anfang Dezember 2021 das 27.000 Quadratmeter große Kulturhaus GES-2 im Zentrum Moskaus eröffnet wurde, war dies ein Triumph für Teresa Iarocci Mavica: Die in Russland lebende Italienerin gilt als Mastermind des Vorhabens, ihr war es zu verdanken, dass Stararchitekt Renzo Piano für die Adaptierung dieses stillgelegten Kraftwerks verpflichtet wurde.

Das Anfang des 20. Jahrhunderts im neorussischen Stil errichtete Gebäude, dessen Grundriss an eine gotische Kathedrale erinnert, verwandelte sich in einen Kunsttempel von internationaler Relevanz. Seiner Größe nach kann es nicht mit dem von Piano und Richard Rogers errichteten Centre Pompidou in Paris mithalten. Mit Tate Modern in London spielt GES-2 aber allemal in einer Liga.

Umbau aus der Portokassa

Ermöglicht hatte den Umbau der Multimilliardär Leonid Michelson. Die Kulturmanagerin hatte den Chef des Gaskonzerns Nowatek 2009 überzeugt, sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen. Das Ergebnis war die nach Michelsons Tochter Viktoria sowie den Begriffen "Art" und "Contemporary" benannte und von Mavica geleitete Stiftung V-A-C, die zur größten privaten Kunstinstitution des Landes avancierte.

Mit dem ehemaligen Kraftwerk erhielt sie nun eine würdige Heimstätte. Obwohl die Hülle und das vom isländischen Performancekünstler Ragnar Kjartansson konzipierte Eröffnungsprogramm vom Publikum und von der Kritik positiv aufgenommen wurde, war die Generaldirektorin schon vier Wochen später ihren Posten los.

Kritische Diskussionen unerwünscht

Gemeinsam mit Michelson habe Mavica entschieden, sich in Hinkunft auf die Dependance der Stiftung am Zattere in Venedig zu konzentrieren, wurde am 28. Dezember informiert. Die Folge dieser Aussendung waren Spekulationen über die wahren Hintergründe.

Michelson, hieß es, habe womögliche keine Freude mit kritischen Diskussionen über eine im Sommer vor GES-2 aufgestellte Skulptur des Schweizers Urs Fischer gehabt, hieß es. Oder er sei von den erhöhten Umbaukosten nicht begeistert gewesen.

Letzteres dürfte angesichts eines kolportierten Vermögens von 32 Milliarden Dollar kein größeres Problem sein. In erster Linie wurde die Ablöse der Italienerin daher mit einem konkreten Besucher in Verbindung gebracht: Am 1. Dezember hatten Mavica, Michelson und Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin den russischen Präsidenten Wladimir Putin durch die neuen Räumlichkeiten geführt.

Ernste Miene

Anders als bei der Besichtigung eines neuen Fjodor-Dostojewski-Museums wenige Wochen zuvor, wo er mit seinem Wissen über die Biografie des Schriftstellers zu brillieren versucht hatte, setzte er in GES-2 eine ernste Miene auf. In den im Staatsfernsehen ausgestrahlten Passagen fehlte offene Kritik an Mavicas Aktivitäten, und es ist unklar, was hinter den Kulissen gesagt wurde. An einer Stelle murmelte der Präsident etwas zur Vorgeschichte des Ortes im 17. Jahrhundert.

Keine Rede war von zeitgenössischer Kunst, die in Russland eine "Sphäre des Westlertums" sei, wie die nunmehrige Intendantin des Steirischen Herbsts, Ekaterina Degot, vor mehr als 20 Jahren schrieb. Es liegt nahe, dass diese Westausrichtung angesichts kriegerischer Töne gegen den Westen für den nicht kunstaffinen Präsidenten ein ideologischer Fremdkörper sein dürfte. Denn angesagt ist ein Sonderweg Russlands ohne westliche Werte, den seinerzeit auch der von Putin verehrte Dostojewski propagiert hatte.

Riskantes Engagement

Die Causa der De-facto-Pensionierung einer erfolgreichen Kulturmanagerin dürfte atmosphärische Auswirkungen auf den Kunstbetrieb in Russland haben. Und Befürchtungen verstärken, dass selbst für bestens vernetzte Superreiche, an deren Loyalität zum Kreml kein Zweifel besteht, die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst zum politischen Risiko werden kann.

Für kritischere Zeitgenossen in Russland gibt es bereits jetzt Probleme: "Kompetente Behörden" können sie einfach zu "ausländischen Agenten" erklären.

Bereits Ende 2020 war die Petersburger Aktionskünstlerin Darja Apachontschitsch unter anderem für Honorare des finnischen Fotografiemuseums in dieser Weise stigmatisiert worden und emigrierte. Seit dem 30. Dezember 2021 müssen sich Mitglieder des feministischen Punkkollektivs Pussy Riot sowie der bekannte Moskauer Galerist Marat Gelman selbst als "Auslandsagenten" deklarieren – andernfalls drohen Strafzahlungen.

Kapitulation

Wie sollten Künstler noch internationale Karrieren machen können, wenn Geld aus ausländischen Quellen verwerflich sei, fragte Gelman auf Facebook.

Er beklagte das Schweigen der russischen Kunstszene: "Das ist kein Konformismus mehr, sondern Kapitulation." (Herwig G. Höller, 10.1.2022)