Bei einer Pressekonferenz waren die Waffenfunde präsentiert worden.

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Die Aufregung war groß: Bei Peter Binder, einem amtsbekannten, mehrfach verurteilten Neonazi, fanden Ermittler im Dezember 2020 hunderttausende Schuss Munition und dutzende Waffen. Eilig berief der damalige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der mittlerweile Kanzler ist, eine Pressekonferenz ein. Die Waffen dienten dazu, "eine rechtsextreme Miliz in Deutschland aufzubauen", tönte Nehammer. Man habe "ein Netzwerk, das Verbindungen zwischen dem rechtsextremen Bereich und der organisierten Kriminalität zeigt", gefunden, sagte der Innenminister und sprach von "Namen aus der Neonazi-Szene, die leider auch in Österreich schon länger bekannt sind".

Ein halbes Jahr später setzte es dann neun weitere Hausdurchsuchungen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland; wieder war die Rede von einer geplanten paramilitärischen Gruppierung namens "Miliz der Anständigen".

Nun liegt STANDARD und SPIEGEL die Anklage gegen den Hauptverdächtigen Peter Binder vor – und von einem Netzwerk ist plötzlich nicht mehr die Rede. Die Staatsanwaltschaft Wien wirft Binder Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und das Waffengesetz vor, allerdings weder Verstöße gegen das Verbotsgesetz noch Delikte aus dem Bereich organisierte Kriminalität.

Schießende Kugelschreiber

Die politische Dimension kommt in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien nicht vor – sollte sie überhaupt existieren. Die Ermittler beschreiben, wie B. die vorgeworfenen Taten als Häftling begangen habe. Er verbüßte eine Haftstrafe wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz und das Waffengesetz, konnte das Gefängnis als Freigänger jedoch regelmäßig verlassen.

Bei diesen Freigängen soll Binder den Handel mit Speed, Ecstasy und Waffen organisiert haben. Dafür sei er auch nach Passau gereist, wo er Suchtgift erworben haben soll. Das habe er, genau wie Waffen, an eine Vertrauensperson der Polizei verkaufen wollen, wodurch ihm die Ermittler auf die Schliche gekommen seien. Bei einer Hausdurchsuchung sei eine große Menge an Waffen wie Karabiner, Revolver, halbautomatische Flinten und Pistolen gefunden worden, außerdem zwei "schießende Kugelschreiber", Schalldämpfer und ein Teleskopschlagstock.

Bestens vernetzt

Der Schock über den Fund war auch deshalb groß, weil Binder seit Jahrzehnten amtsbekannter Neonazi ist. Er war einst Verdächtiger in der Briefbomben-Serie, wurde jedoch freigesprochen. Binder lernte in den 1990er-Jahren Szenegröße Gottfried Küssel kennen und engagierte sich in dessen "Volkstreuer Außerparlamentarischer Opposition" (Vapo). Auch beste Kontakte nach Berlin sind den Sicherheitsbehörden bekannt. Weil frühere Neonazi-Aktivisten nun im Kontext der Coronamaßnahmen-Demos auftauchen, löste das Waffenlager große Sorgen aus.

Offenbar schafften es die Ermittler aber nicht, Verbindungen zwischen Binder und anderen Rechtsextremen oder militanten Gruppierungen herzustellen. Dieser Aspekt fehlt in der Anklage komplett. Binders Rechtsanwalt Rudolf Mayer sieht sich daher in seiner Verteidigungslinie bestätigt: Sein Mandant sei ein "Waffennarr"; zum Suchtgift sei er nur durch "angesetzte Vertrauenspersonen der Polizei" gekommen, die sich selbst Vorteile verschaffen wollten. Ermittelt wird in Wiener Neustadt noch wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz, hier geht es um bei Binder gefundene NS-Devotionalien. Es gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 10.1.2022)