Im Dunklen liegt das Motiv des Verlagsmitarbeiters – ein Bild von ihm ist nicht verfügbar, alles sehr mysteriös.

Foto: Imago

Sollte dereinst ein Buch aus der Gefängnisbücherei abgehen, wird wohl die Zelle des Filippo Bernardini als Erstes durchsucht werden. Immerhin drohen dem Italiener über 20 Jahre Gefängnis, sollte er in den USA verurteilt werden, dort hat er nämlich am öftesten zugeschlagen. Der 29-jährige Mitarbeiter der Londoner Niederlassung des Verlags Simon & Schuster wurde nun in New York festgenommen. Sein mutmaßliches Vergehen: Bücherdiebstahl, und zwar jener von Manuskriptdateien. Um an diese zu gelangen, gab er sich als das aus, was er eigentlich ist: als Verlagsmitarbeiter.

Doch während er tatsächlich in der Abteilung für Rechtevertrieb bei Simon & Schuster arbeitete, kontaktierte er Autorinnen und Autoren über fingierte E-Mail-Adressen.

An die 160 falsche Domänennamen soll Bernardini dafür eingerichtet haben, allesamt sehr ähnlich jenen real existierender Verlage. Das Know-how seines Jobs half ihm dabei, die jeweiligen Kontakte herzustellen.

Falscher Vorwand

Sein Vorwand lautete: Er bräuchte die Manuskripte vorab zwecks Prüfung auf mögliche Publikation in anderen Ländern. Das schien vielen Kontaktierten schlüssig zu sein, Erstveröffentlichenden schmeichelte es vielleicht sogar, die Arbeiten trudelten reihenweise bei den falschen Adressen ein.

Unter den von ihm auf diese "phischige" Art kontaktierten Autorinnen und Autoren befanden sich Margaret Atwood, Ethan Hawke, Ian McEwan oder Sally Rooney. Identitätsdiebstahl und Betrug un ter Einsatz von Telekommunikationsmitteln lauten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Motiv im Dunklen

Simon & Schuster erklärte sich entsetzt von den Anschuldigungen und suspendierte ihren Mitarbeiter, bis weitere Informationen zu dem Fall vorlägen. Im Dunklen liegt das Motiv des studierten Sinologen, von dem derzeit kein Bild verfügbar ist. Weder sind ihm erpresserische Geldforderungen nachzusagen, noch hat er die Manuskripte anderswo veröffentlicht oder sie zum Verkauf angeboten.

In romantischen Interpretationen der Vergehen taucht deshalb die Vision des haltlosen Literaturliebhabers auf, dessen Obsession ihn auf die schiefe Bahn gebracht hat. Gut fünf Jahre lang ist er damit durchgekommen. Aufgeflogen ist er, weil von ihm hinters Licht Geführte sich wunderten, dass sie nie wieder etwas von diesem vermeintlichen Mitarbeiter gehört haben. Nachfragen mündeten stets im Mysteriösen. Seltsam, aber so steht es geschrieben ... (Karl Fluch, 9.1.2022)