In der hitzigen Debatte um die Aufnahme von Nuklearenergie in die EU-Taxonomie, also der Liste der "grünen" Investments, meldete sich am Wochenende EU-Binnenmarktkommissar Thiery Breton zu Wort. Die neue Generation von Atomkraftwerken in der EU benötigt nach seinen Angaben bis 2050 Investitionen in der Höhe von 500 Milliarden Euro.

"Allein für die bestehenden Kernkraftwerke werden bis 2030 Investitionen in der Höhe von 50 Milliarden Euro erforderlich sein", sagte der studierte Elektrotechniker Breton, einst französischer Wirtschaftsminister und Spitzenmanager von Unternehmen wie France Télécom, Atos, Honeywell-Bull, der Zeitung Journal du dimanche. "Und für die neue Generation werden 500 Milliarden benötigt."

Um das notwendige Kapital anzulocken, sei es "entscheidend", Atomkraft als nachhaltige Energieform einzustufen, verteidigte Breton den von Atomkraft-Gegnerländern wie Österreich, Luxemburg und Spanien heftig kritisierten Entwurf der Taxonomie-Verordnung. Derzeit stammten 26 Prozent des in der EU erzeugten Stroms aus Atomenergie. Breton schätzt, dass er bis 2050 auf rund 15 Prozent sinken wird.

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Schöne Aussicht auf den von Électricité de France betriebenen Reaktor Belleville-sur-Loire – und die Atomenergie in der EU generell.
Foto: Reuters / Benoit Tessier

Die EU-Kommission hatte, wie berichtet, zu Neujahr ihren Entwurf der Taxonomie-Verordnung an die 27 EU-Mitgliedstaaten geschickt. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung für Privatinvestoren gleich. Die Kriterien seien gleich wie im Beihilfenrecht, also nichts Neues, auch keine Ausweitung, betont man in Brüssel. Bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke können unter die Taxonomie-Verordnung fallen – inklusive bis 2040 genehmigter Arbeiten an bestehenden Reaktoren zur Verlängerung der Betriebsdauer.

Während Frankreich, das den Großteil seiner Energie aus Atomkraft bezieht, die Kommissionspläne unterstützt, lösten sie in Deutschland und Österreich heftige Kritik aus. Luxemburg will sich einer Klage Österreichs anschließen. Auf seiner Seite weiß Frankreich Länder wie Polen, Slowenien, Tschechien, Slowakei und Ungarn, denen ihrerseits massive Investitionen in Modernisierung und Ausbau ihrer teils aus der Sowjetzeit stammenden AKWs ins Haus stehen.

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Temelín nordwestlich von Budweis: Tschechien ist auf der Seite Frankreichs.
Foto: Reuters/David W Cerny

Das "grüne Label" gilt auch für Gaskraftwerke und sei, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag, Michael Roth, nicht mehr abzuwenden. Deutschland müsse anerkennen, "dass wir bei einigen Entscheidungen keine Mehrheit für unsere Position haben", sagte Roth der Bild am Sonntag. "So ist eben Demokratie."

Der Präsident des deutschen Bundesamts für die Sicherheit der Nuklearen Entsorgung, Wolfram König, warnt: Ein Weiterbetrieb der AKWs könne nicht nachhaltig sein. "Die Folgen werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen." Bei der Entsorgung des hochradioaktiven Mülls stehe man nach Jahrzehnten der Nutzung noch immer am Anfang, kein einziges Land habe bis dato ein sicheres Endlager. (AFP, dpa, ung, 9.1.2022)