Aus der Stichwahl zwischen Alexander Van der Bellen (Grüne, links) und Norbert Hofer (FPÖ, rechts) ging 2017 der Grüne siegreich hervor. Nun ist im Vorfeld des Wahltermins im Herbst eine Vielzahl möglicher Kandidaten und Kandidatinnen im Gespräch.

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Wien – Im Schatten der Corona-Pandemie läuft seit einigen Wochen ein Vorwahlkampf der besonderen Art. Parteigranden geben Empfehlungen als Testballons ab, manche Interessenten hinterlassen unverbindliche Duftmarken, es ist ein semiöffentliches Ab- und Vortasten. Diskret werden Meinungsumfragen eingeholt, Szenarien durchgespielt und für mögliche Allianzen vorgefühlt. Es geht um den Urnengang zum höchsten Amt im Staate: die Bundespräsidentenwahl.

Tatsächlich wirkt die zur Jahreswende verstärkt auch öffentlich geführte Debatte verfrüht: Die Amtsperiode von Alexander Van der Bellen, der am 26. Jänner 2017 als neuntes Oberhaupt der Zweiten Republik angelobt worden ist, endet erst in mehr als einem Jahr. Der Urnengang wird voraussichtlich im Oktober oder November 2022 stattfinden, den Wahltag bestimmt die Bundesregierung.

Anschober winkt (derzeit) ab

Der aktuelle Präsident, der am 18. Jänner seinen 78. Geburtstag feiern wird, hat sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob er eine weitere Amtszeit anstrebt. Deshalb geistert seit einiger Zeit das Gerücht durch die mediale Polit-Blase, Van der Bellen halte sich zurück, weil sein früherer Parteifreund Rudolf Anschober eine Kandidatur vorbereite.

Doch der Ex-Gesundheitsminister winkt scherzend ab: "Jetzt seid ihr dem Präsidenten und mir endlich auf die Schliche gekommen", sagt er dem STANDARD. "Im Ernst: Ich gehe fest davon aus, dass Alexander Van der Bellen wieder antritt."

Angesichts der aktuellen, besonders kritischen Phase der Pandemie ist es aus der Perspektive des Präsidenten durchaus sinnvoll, die Entscheidung offenzuhalten. Denn nach einem Ja zum Wiederantritt könnte jede Amtshandlung als mögliches Wahlkampfmanöver interpretiert werden.

"Lame Duck"-Risiko

Bei einem Verzicht liefe er Gefahr, als "Lame Duck" wahrgenommen zu werden – als ein Staatsoberhaupt, das nicht mehr so ernst genommen wird, weil es ja eh bald weg ist. Indem sich Van der Bellen bisher bedeckt hält, bewahrt er also auch seine volle Autorität.

Wenn Van der Bellen noch einmal antreten sollte, wäre er Favorit. In einer Zeit, die von Unsicherheiten, aber auch von politischer Enttäuschung geprägt ist, wirkt der ehemalige Politiker auf viele Österreicher wie die personifizierte Stabilität. Popularitätsranglisten führt der ehemalige Grünen-Politiker seit langem an.

Gegen einen solch beliebten Amtsinhaber haben mögliche Mitbewerber "nur sehr überschaubare Chancen", wie die Neos-Politikerin Irmgard Griss vor einiger Zeit feststellte. Die ehemalige Höchstrichterin, die 2016 knapp die Stichwahl verpasst hat, würde gegen Van der Bellen zumindest nicht antreten.

ÖVP und SPÖ scheuen die Schmach

Und bei ÖVP und SPÖ, aus deren Reihen vor Van der Bellen alle Amtsinhaber kamen, wirkt noch die Erinnerung an das katastrophale Abschneiden der eigenen Kandidaten bei der letzten Wahl nach. Der Konservative Andreas Khol und der Sozialdemokrat Rudolf Hundstorfer kamen auf jeweils nur etwas mehr als elf Prozent.

Eine ähnliche Schmach will man beiden Parteien ersparen, und das Geld für die Kampagnen auch. Diese Überlegungen dürften es namhaften Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten erleichtert haben, dem Amtsinhaber in den letzten Wochen ihre Unterstützung zu signalisieren.

Doch solange der Präsident zu seiner Zukunftsplanung schweigt, wird im Hintergrund eifrig über Alternativen nachgedacht für den Fall, dass es Van der Bellen bei einer Amtszeit belässt. In der SPÖ gilt es als am wahrscheinlichsten, dass dann die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures antritt. Im vergangenen Jahr gab es auch Genossen, die gerne Pamela Rendi-Wagner eine Kandidatur angetragen hätten – wohl weniger aus Begeisterung, sondern um ihr einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Parteivorsitz zu ermöglichen. Doch die SPÖ-Chefin hat inzwischen ausgeschlossen, selbst anzutreten.

Häupl, Sobotka, Karas ...

SPÖ-Parteilinie ist, dass man die Entscheidung Van der Bellens abwarten wolle und dann entscheiden werde, ob man ein eigenes Kandidatenangebot machen werde. Aus dem Burgenland grätscht der rote Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hinein, Tenor: Eine selbstbewusste Sozialdemokratie müsse den Bürgern ein eigenes Angebot machen. Ein Sozialdemokrat erzählt dem STANDARD, dass es Parteiveteranen gebe, die mit Michael Häupl einen verdienten Genossen ins Rennen schicken wollten – doch der ehemalige Wiener Bürgermeister zeigt keine Anstalten, antreten zu wollen.

In der ÖVP haben sich zwar einige Landeshauptleute sowie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka für Van der Bellen ausgesprochen. Doch auch der langjährige Europaabgeordnete Othmar Karas scheint sich in Stellung zu bringen. In einem Video zum Jahresbeginn gab er sich präsidial: "Wir benötigen in Österreich wieder einen neuen Grundkonsens über alle Grenzen hinweg – rasch und beherzt."

Karas, der stets in Opposition zum türkisen Projekt von Sebastian Kurz stand, kann zwar innerhalb der ÖVP auf wenig Rückhalt bauen und hätte deshalb wohl nur Außenseiterchancen. Tatsächlich könnte er aber gerade deshalb als Konsenskandidat punkten – so Van der Bellen nicht antritt.

Kickl oder Hofer?

Und dann wäre da noch die FPÖ, deren Kandidat Norbert Hofer 2016 knapp gegen Van der Bellen den Einzug in die Hofburg verpasste. Seitdem ist bei den Freiheitlichen viel passiert: eineinhalb Jahre Regierungsbeteiligung, dann kamen Ibiza und die Entfremdung von Heinz-Christian Strache. Hofer scheiterte als Obmann mit seiner moderateren Linie, sein Nachfolger Herbert Kickl positioniert die Partei in Frontalopposition.

Die Frage, wer für die Blauen zur Bundespräsidentenwahl antritt, ist bislang unbeantwortet. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Kickl könnte sich selbst nominieren. Es wäre eine Kandidatur, die vor allem auf die mediale Aufmerksamkeit zielen würde: Interviews und TV-Duelle gäbe es in Fülle.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Hofer abermals antritt – und das unabhängig von Van der Bellen. "Gerade in diesen politisch hochvolatilen Zeiten macht es wenig Sinn, eine Kandidatur vom Verhalten der potenziellen Mitbewerber abhängig zu machen", sagt Hofer dem STANDARD. Auch gebiete es der Respekt vor der Würde des Amtes, die Entscheidung für eine Kandidatur aus tiefer Überzeugung zu treffen. Hofer lässt sich allerdings auch noch Zeit: "Ich werde sorgfältig in mich hineinhorchen und eine allfällige Entscheidung natürlich mit meiner Familie absprechen."

Van der Bellen lässt sich Zeit

So ist eine Neuauflage des Rennens von 2016 durchaus wahrscheinlich – wenn denn der Amtsinhaber seine Kandidatur erklärt. Doch Van der Bellen, kurz auch VdB genannt, lässt sich Zeit.

Dem Vernehmen nach steht die Frage eines Wiederantritts nicht in seinem Fokus. Der Präsident konzentriere sich momentan voll und ganz auf die Eindämmung und Bewältigung der Pandemie, erklärt einer seiner Vertrauten dem STANDARD. "Das erfordert derzeit seinen ganzen Einsatz." Dazu lasse er sich regelmäßig von Fachleuten informieren und berate sich mit anderen Staatsoberhäuptern wie dem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier.

Europa und die Klimakrise sind die anderen beiden Schwerpunkte des Präsidenten, um die er sich wieder verstärkt kümmern möchte, wenn die Omikron-Welle überstanden ist. "Van der Bellen will vor allem sein Amt ausfüllen", heißt es in seinem Umfeld. "Spekulationen werden von der Hofburg sicherlich nicht angefacht."

VdB wirkt nicht amtsmüde

Tatsächlich hatten die Bundespräsidenten vor ihm kaum so viel zu schultern wie er: Neuwahlen 2017, Ibiza-Affäre, eine Übergangsregierung, nochmals Neuwahlen, Corona-Pandemie, Attacken auf die Justiz, eine wuchernde Korruptionsaffäre, drei Kanzler in einem Quartal. Ständig musste Van der Bellen aktiv werden, vor und hinter den Kulissen prägte er im Rahmen seiner Möglichkeiten die Tagespolitik so sehr wie keiner seiner Vorgänger.

Amtsmüde wirkte Van der Bellen auch in der jüngeren Vergangenheit nicht, was auf eine weitere Kandidatur hindeuten könnte. Im Oktober sagte der Präsident in seiner Rede zum Nationalfeiertag mit Blick auf den Klimaschutz: "Ich werde keine Ruhe geben, bis ich sicher bin, dass für unsere Kinder gesorgt ist." Den Satz "Ich werde keine Ruhe geben" wiederholte er sogar. Alexander Van der Bellen scheint noch einiges vorzuhaben. (Oliver Das Gupta, 11.1.2022)