Am Freitag erscheint mit "Covers" das dritte Album mit Coverversionen, das die US-Musikerin in ihrer bald 20-jährigen Karriere aufgenommen hat.

Foto: Domino Records

Ihr Glas ist immer halb leer. Der Blick auf das Leben erfährt dadurch eine einschlägige Tönung, ein Grundgefühl, das noch in den schönsten Momenten des Daseins mit schwarzen Wolken rechnet, die das Licht jederzeit verdunkeln könnten. Es ist ein Blickwinkel, den Chan Marshall ohne besondere Anstrengung zu ihrer Kunstform erhoben hat.

Am Freitag legt die als Cat Power veröffentlichende Musikerin einen weiteren Mosaikstein zur Untermauerung dieser Sichtweise vor, das Album Covers – eine Sammlung von Fremdkompositionen, denen sie Leben einhaucht, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen.

Denn oft klingt sie tatsächlich, als wäre ihr trotz Anstrengung nicht mehr möglich, was den Liedern eine grundsätzlich verletzliche Ästhetik verleiht. Dazu kommt, dass Marshall durch eine Autoimmunerkrankung tatsächlich Erfahrung mit schweren Atemproblemen machen musste, mehrfach wurde sie deshalb sogar hospitalisiert. Und auch mit Coverversionen kennt sie sich aus. Covers ist das bereits dritte ihrer elf Alben, das aus Neuinterpretationen fremder Lieder besteht, seit sie 1995 ihr Debüt Dear Sir vorgelegt hat. Ihr Zugang ist dabei stets der eines Fans.

Nico, wieder einmal

Der 49-Jährigen aus Atlanta im US-Bundesstaat Georgia geht es nicht so sehr darum, fremden Songs durch ihre Deutungen neue Dimensionen zu verleihen. Dazu ist ihre Kunst nicht geeignet, für besondere Wandelbarkeit steht sie nicht. Es scheint ihr eher darum zu gehen, ihr lieb gewordene Lieder wie Freunde zu umsorgen. Ihnen eine Form von Zärtlichkeit angedeihen zu lassen, sie zu pflegen, sie durch die bloße Präsentation schon zu ehren.

Allein durch die Auswahl entsteht das Bild einer Künstlerin mit einem einschlägigen, dabei breiten Geschmacksspektrum: Jazz, Country, Rhythm and Blues, Punk, Folk – Cat Powers scheint eine wild wuchernde Plattensammlung zu besitzen. Und das ist bei solchen Unterfangen nie schlecht.

CatPowerVEVO

Die aktuelle Auswahl stammt von Acts und Bands wie Frank Ocean, Nick Cave, Iggy Pop, Lana Del Rey, Bob Seger oder Ryan Goslings Band Dead Man’s Bones, den Pogues oder Jackson Browne – einmal quer durch den Gemüsegarten quasi. Und mit dem Lied Unhate jubelt sie dem Album doch noch eine Eigenkomposition unter.

Untertrieben Instrumentiert

In Summe ergibt das ein Dutzend Titel und ein stimmiges Gesamtwerk, das durch eine zart betrübte Grundstimmung geprägt ist. Die oft angeführten Vergleiche mit der Tragödin Nico werden einmal mehr nachvollziehbar. Pa Pa Power von Goslings Dead Man’s Bones ist so etwas wie der Sprint des Albums, die meisten Lieder hält sie aber im Midtempo oder darunter. Die nie übertriebene Instrumentierung – Keyboards, Drums, Gitarre und fauler Bass – besorgt den Rest. Lana Del Reys White Mustang zählt zu den expressionistischeren Ergebnissen, A Pair of Brown Eyes von den Pogues zu den nicht so gelungenen.

CatPowerVEVO

Den Song mag sie lieben, sie scheint nur nicht zu wissen, was sie mit ihm anfangen soll. Sie bremst ihn ab, allein das Keyboard begleitet ihren zweistimmig aufgenommen Gesang – am Ende setzt etwas Schlagzeug ein, so, als gelte es, in der Notaufnahme für missbrauchte Lieder den Herzschlag sicherzustellen.

Ähnlich zurückgenommen, aber gelungener ist ihre Version von Kitty Wells It Wasn’t God Who Made Honky Tonk Angels, dem Stehbass, Fingerschnippen und Steel Guitar unterschwellig jene Lässigkeit zuführen, die so ein Country-Hadern braucht, um vor einer Horde Trucker bestehen zu können. Insgesamt kein großes Album, aber eine souveräne Fingerübung. (Karl Fluch, 11.12022)