Diese Djokovics in Belgrad: Onkel Goran, Mutter Dijana, Vater Srdjan und Bruder Djordje bei der Pressekonferenz zur Feier des Gerichtsentscheids.

Djokovic bei seinem Finaltriumph gegen Rafael Nadal 2019 in Melbourne. Ähnlich frohlockend dürfte der Serbe nun die jüngste Entscheidung aufgenommen haben.

Foto: AFP/SAEED KHAN

Ungewöhnlich für einen Richter, hatte sich Anthony Kelly am Montag schon während der Verhandlung zugunsten des Tennisspielers geäußert. So stellte er die rhetorische Frage, was der Serbe "denn noch mehr hätte tun können", um die behördlichen Anforderungen zu erfüllen. Novak Djokovic war vergangene Woche die Einreise verweigert worden, weil er aus Sicht der Behörden nicht die nötigen Dokumente für eine medizinische Ausnahmegenehmigung habe, um auch ohne Corona-Impfung einreisen zu dürfen.

Grünes Licht und rotes Licht

Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass Djokovic eine medizinische Befreiung von den Impfvorschriften beantragt hatte, weil er sich Mitte Dezember mit Covid infiziert habe. Für Verwirrung sorgte am Montag der dazugehörige positive PCR-Test vom 16. Dezember. Dieser besitzt einen QR-Code. Scannt man diesen ein, zeigte dieser zu Mittag in einzelnen Fällen ein negatives Testergebnis an, in anderen Versuchen wieder ein positives. Was dahintersteckt, ist unklar.

Djokovics Antrag wurde von Tennis Australia und den medizinischen Gremien der Regierung des Bundesstaates Victoria jedenfalls akzeptiert, die ihm die Befreiung am 30. Dezember gewährten. Offenbar hatte Djokovic diese Papiere, wie vorgeschrieben, in das Online-Portal der Immigrationsbehörde hochgeladen, nur um danach vom Innenministerium grünes Licht zur Einreise zu erhalten. Nach 14 Stunden Flug mitten in der Nacht am Immigrationsschalter sah es dann anders aus: Der Beamte des Grenzschutzes anerkannte die Dokumente nicht. Djokovic wurde eine Nacht lang festgehalten, bevor er in ein Hotel für abzuschiebende Flüchtlinge ziehen musste.

Richter Kelly übte heftige Kritik an der "Fairness" der Festnahme. Beamte hätten den Sportler vor vollendete Tatsachen gestellt und ihm gesagt, der Entscheid der Stornierung des Visums stehe, selbst wenn Djokovic andere Dokumente zur Stützung seiner Position vorlege. Der Richter kritisierte die Regierung dafür, dass sie sich nicht an eine Abmachung gehalten hatte, ihm mehr Zeit zu geben, um sein Visum vor der Annullierung zu schützen. In einer nach der Anhörung veröffentlichten Mitschrift des Gesprächs zwischen Djokovic und den Grenzbeamten beklagt sich der Tennisstar darüber, dass er durch die Forderung, die Befreiung von der Visumspflicht nachzuweisen, in eine "sehr unangenehme Lage" gebracht worden sei. "Sie geben mir also rechtlich gesehen 20 Minuten Zeit, um zu versuchen, zusätzliche Informationen zu liefern, die ich nicht habe? Um vier Uhr morgens?", so das Dokument.

Persona non grata

Mit dem Urteil ist nicht garantiert, dass der Serbe ab 17. Jänner in Melbourne antreten kann. Der Anwalt der australischen Regierung, Christopher Tran, gab sofort nach dem Entscheid bekannt, Einwanderungsminister Alex Hawke werde in Erwägung ziehen, Djokovics Visum zu annullieren. Das würde wohl bedeuten, dass der Weltranglistenerste nicht im Land bleiben und an den Open teilnehmen kann. Eine solche Entscheidung könnte unter Umständen sogar zur Folge haben, dass ihm die Wiedereinreise nach Australien drei Jahre lang untersagt wäre. Er wäre in den Augen der australischen Behörden eine Persona non grata.

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Serbische Fans (Nationalisten) feierten in Melbourne den Teilerfolg ihres Lieblings. Masken haben sie natürlich keine getragen.
Foto: REUTERS/Asanka Brendon Ratnayake

Die Anhörung über Video war mehrfach von technischen Schwierigkeiten begleitet. Am Nachmittag Ortszeit verlas Richter Anthony Kelly ein Protokoll, auf das sich der Tennisspieler und die Innenministerin Karen Andrews geeinigt hatten. Djokovic, der am Montag vorübergehend aus der Einwanderungshaft entlassen wurde, um an der Anhörung teilnehmen zu können, war nicht anwesend, als Kelly anordnete, die Entscheidung über die Annullierung des Visums aufzuheben. Außerdem verfügte er, die Regierung müsse die Kosten für die Verhandlung übernehmen.

Zur möglichen Stornierung des Visums durch den Immigrationsminister meinte der Richter: "Ich kann nicht behaupten, dass ich mich in die gültige Ausübung der Exekutivgewalt eines Ministers einmische." Die Befugnis besagt aber, dass der Minister davon überzeugt sein muss, dass "ein Grund besteht, das Visum zu annullieren" – in diesem Fall eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit, weil Djokovic nicht geimpft ist; und dass es "im öffentlichen Interesse ist, das Visum zu annullieren".

Gottähnliche Befugnisse

Die weitgehenden Befugnisse des Einwanderungsministers werden seit Jahren von Menschenrechtsexpertinnen kritisiert. Mary Crock, Professorin für Einwanderungsrecht, sagte der Zeitung Guardian Australia, dass das Gesetz dem Minister "gottähnliche Befugnisse" gebe, um Visa zu annullieren. "Die Politik, die dahintersteckt, ist enorm. Wenn das Visum laut dieser Bestimmung annulliert wird, würde Australien Gefahr laufen, die Australian Open zu verlieren."

Crock sagte, eine solche Annullierung sei "nicht üblich" und würde "definitiv wieder vor Gericht landen." Dieses Mal nicht, um Verfahrensfragen zu klären, sondern die inhaltliche Frage zu beantworten, ob eine ungeimpfte Person ein Risiko darstellt. (Urs Wälterlin aus Melbourne, 10.1.2022)

  • Reaktionen

Novak Djokovic: "Ich bin froh und dankbar, dass der Richter die Stornierung meines Visums aufgehoben hat. Trotz allem, was passiert ist, möchte ich bleiben und versuchen, mich bei den Australian Open zu behaupten. Darauf bleibe ich fokussiert. Ich bin hierher geflogen, um bei einer der wichtigsten Veranstaltungen, die wir haben, vor den tollen Fans zu spielen.

Dijana Djokovic (Mutter): "Das ist der größte Sieg seiner Karriere. Er wurde gefoltert, schikaniert. Und wir werden noch mehr darüber erfahren, was er durchmachen musste."

Djordje Djokovic (Bruder): "Novak ist frei, und gerade ist er auf den Platz gegangen, um zu trainieren."

Rafael Nadal: "Unabhängig davon, ob ich in einigen Dingen mit Djokovic übereinstimme oder nicht, hat die Gerechtigkeit ohne jeden Zweifel gesprochen. Sie haben gesagt, dass er das Recht hat, bei den Australia Open zu spielen. Ich wünsche ihm viel Glück."

John Isner: "Das Einzige, was jetzt noch zu tun ist, ist, die Trophäe erneut zu gewinnen und die Stadt für immer zu verlassen."

Ivica Dadic (serbischer Parlamentssprecher): "Der Prozess hätte vorüber sein sollen, als das Gericht seine Entscheidung bekanntgegeben hat. Die australischen Behörden haben offensichtlich seine Deportation gewählt, was auch ein dreijähriges Einreiseverbot bedeuten würde. Das widerspricht dem gesunden Menschenverstand."

Paul McNamee (australische Tennislegende): "Novak Djokovic hatte seinen Tag vor Gericht, alle Beweise wurden berücksichtigt, und er hat verständlicherweise gewonnen. Lasst uns den Entscheid des Gerichts akzeptieren und den Schauplatz auf den Court verlegen.

  • Pressestimmen

Blic (serbische Tageszeitung): Novak gewinnt gegen Australien, der Staat kniete nieder. Zur Freude all derer, die auf die Straße gegangen sind, die in allen Ecken der Welt ihre Unterstützung angeboten haben, hat Novak Djokovic in Australien gewonnen, wie er es immer tut.

Süddeutsche Zeitung: Der Tennisspieler mag im Streit um sein Visum vor Gericht gewonnen haben, doch der Prozess fördert Dinge zutage, die viel schwerer wiegen. Sie zeigen den Serben als verantwortungslosen Egoisten.

Der Spiegel: Der Richterspruch von Melbourne hat auf den ersten Blick mit Novak Djokovic einen Gewinner. Tatsächlich jedoch hinterlässt er nur Verlierer. Die Behörden sind blamiert, der Tennisstar selbst hat seinen Kredit verspielt.