"Tour d’Europe: 5.590 Kilometer mit dem Fahrrad, 7.034 Kilometer mit Zug, Bus, Mietauto, Taxi und Fähren." Als der Künstler Hans Schabus diese Zahlen vor einem Jahr auf Instagram postete, werden wohl ein paar Menschen gedacht haben: Wow, und sportlich ist er auch noch.

Doch Schabus’ Tour d’Europe ist weit mehr als der Angeber-Screenshot von einer Fitness-App. Sie ist die Momentaufnahme von einem Kontinent, und dieser Moment ohne echte Reisefreiheit dauert nun schon viel zu lange.

Reisen in Zeiten der Pandemie

Schabus hat von 19. Juli bis 4. September 2020 trotzdem Europa von Norden nach Süden durchmessen, vom Nordkap bis Tarifa, mit einem Lastenfahrrad und seinem Pudel Enzo. Er wollte mehr über das Reisen in Zeiten der Pandemie sagen können.

Im Sommer 2020 hat Hans Schabus in Skandinavien über weite Strecken keine anderen Menschen getroffen.
Foto: Hans Schabus und Bildrecht GmbH

"Der Zug ist ganz leer. Drei von sieben Waggonen sind abgesperrt. Der Speisewagen ist nicht in Funktion. Der mobile Bordservice arbeitet laut Auskunft erst ab Polen", beginnt Schabus sein Tagebuch über diese Reise mit der ersten Etappe im Zug: Wien–Warschau, 666 Kilometer.

Seine Schilderungen sind weniger blumig als Goethes "Reise nach Italien", aber nicht weniger relevant als Augenzeugenbericht von einer verrückten Zeit, wird man irgendwann in der Zukunft zugeben müssen. Das Büchlein ist als integraler Teil der Ausstellung "Der lange Morgen" in der Wiener Galerie Krinzinger erschienen und nach einer Arbeit im Museum für angewandte Kunst bereits der zweite Anlauf von Schabus, die eigene Reise besser zu verstehen und in ein Werk zu packen.

Leere Landschaften

Auch der 25-minütige Film "Europa" ist nach der Reise entstanden. Leere Landschaften ziehen darin vorüber, Schabus und sein Hund, der aus dem Lastenrad lugt, werfen lange Schatten auf Europa. Mit eigener Muskelkraft mitten in der Pandemie den Kontinent zu durchqueren muss als Statement gesehen werden. Als Kraftakt gegen die Beschränkungen unserer Reisefreiheit und als sportlich-aktiver Widerstand gegen den Stillstand.

Schabus strampelt sich nicht zum ersten Mal ab, um die Welt besser zu verstehen: 2015 hat er bereits die USA ganz von Westen nach Osten in 42 Tagen mit dem Fahrrad durchquert. Ja, es ist anstrengend, den Zustand unserer Welt zu verstehen. Und man muss sich dafür Zeit nehmen – wie auf einer langsamem Radfahrt und noch danach.

Somit macht es wohl erst knapp vor Beginn des dritten Jahres der Pandemie überhaupt Sinn, mit Schabus über andauernde Reiseverbote und wiedergewonnene Bewegungsfreiheit zu sprechen.

Der Hund muss mit

"Meine Fokussiertheit auf das Thema Reisen hat wohl auch damit zu tun, dass ich auf einem Bauernhof in Kärnten aufgewachsen bin. Dort konnte man fast alles machen – außer wegkommen", erzählt Schabus bei einem Kaffee zwischen zwei Lockdowns in Wien.

Auch das Werk seines Lehrers Bruno Gironcoli, bei dem er auf der Akademie der bildenden Künste studierte, sei indirekt dafür verantwortlich, dass er so gerne unterwegs sei: "Seine riesigen Skulpturen sind der Inbegriff von Immobilität. Sie passen ja nicht einmal durch eine Tür", sagt Schabus.

Als Hans Schabus und sein Pudel Enzo die Reise am Nordkap beginnen, ist sogar ein bisserl was los.
Foto: Hans Schabus und Bildrecht GmbH

Als er später eine Radtour nach Rumänien zur Endlosen Säule von Constantin Brâncuși – eines der skulpturalen Hauptwerke des 20. Jahrhunderts – unternahm, begann die Idee mit der Europa-Durchquerung von Norden nach Süden zu reifen. Aber warum mit Hund? "Weil meine Frau sagte, ich könne nicht schon wieder alleine abhauen. Ich müsse entweder unsere Tochter oder den Hund mitnehmen. Meine Tochter machte schnell klar, dass sie keine Lust hatte."

Schnell durch Europa

Gut ein Jahr vor Ausbruch von Corona hatte Schabus fast die gesamte Tour geplant und sich ein leichtes, schnelles Lastenrad zusammengebaut, mit dem er Tagesetappen um die 150 Kilometer zurücklegen wollte. Die Idee dahinter war zu diesem Zeitpunkt nicht, durch ein Europa im Stillstand zu radeln, sondern den eigenen Kontinent mit all seinen Facetten zu erleben.

Auch eine perfekte Zugverbindung zum Nordkap über Sankt Petersburg hatte sich Schabus von dem darauf spezialisierten, klimafreundlichen Reisebüro Traivelling organisieren lassen. Aus der Reise durch Russland, das 2020 kaum Ausländer einreisen ließ, wurde nichts. Sieben Wochen vor dem Corona-bedingt ohnehin schon verspäteten Beginn der Reise wurde Schabus auch noch am Meniskus operiert.

Der einzige Fahrgast

"Ich war dennoch guter Dinge, und die Infektionszahlen waren wieder etwas zurückgegangen im Sommer 2020." Also schickte er zunächst sein Rad per Fracht in den Norden Lapplands und brach im Juli über Polen ins Baltikum auf. Dort waren aber viele Öffi-Verbindungen unterbrochen, und Hunde durften in keinem Bus mitgenommen werden.

Mit dem Taxi und der Fähre schafften er und Enzo es schließlich bis nach Helsinki und von dort wieder mit dem Zug weiter bis nach Rovaniemi, wo das Lastenrad auf die beiden wartete. "Ab dort waren es noch zwei Tage bis zum Nordkap. In Finnland durfte Enzo sogar Bus fahren – aber nur solange sich kein anderer Fahrgast beschwerte. Mit Öffis durch Europa zu reisen bedeutete zu diesem Zeitpunkt einen gigantischen Aufwand", erinnert sich Schabus, "und mehr als einmal war ich der einzige Fahrgast."

Doch bereits wenig weiter südlich in der norwegischen Finnmark wird’s einsam.
Foto: Hans Schabus und Bildrecht GmbH

Schwierige Herbergssuche

Als er vom Nordkap in Richtung Süden aufbrach, regnete es an den ersten beiden Tagen, fünf Tage lang blies starker Gegenwind, die Landschaft veränderte sich kaum. Das gab Schabus einen ordentlichen Dämpfer, schon auf den ersten Etappen brauchte er deutlich länger als geplant.

Obendrein gestaltete sich die Herbergssuche mit Hund schwierig. "Wir kamen in kein Restaurant, in keine Bar, und Enzo durfte das Hotelzimmer oft nicht verlassen, weil man Allergikern unter den Gästen keine Haustiere zumuten will. Mir war vor der Reise nicht bewusst, wie restriktiv das in Skandinavien gehandhabt wird."

Die beiden waren über weite Strecken wie Einsiedler unterwegs, übernachteten in Hütten und einfachen Bleiben, was Schabus nicht weiter störte. Schon bald schlug seine Stimmung völlig um. "Wenn du durch die Pandemie zur Passivität verdammt wirst, bist du richtig froh, dein Schicksal wieder einmal selbst in die Hand nehmen zu können. Wir konnten uns auf dieser Reise förmlich dabei zusehen, wie wir vorankamen."

Lebhafte Erinnerung

Schabus geht die gesamte Reiseroute bis zum südlichsten Zipfel Spaniens beim Erzählen noch einmal im Kopf durch. Er erinnert sich an Beobachtungen, die auch unabhängig von dieser speziellen Zeit Gültigkeit zu haben scheinen. Etwa dass in Skandinavien niemand aufdringliche Fragen nach dem Motiv der Reise stellt; dass in Deutschland dafür umso mehr lästige Formulare auszufüllen sind; dass in Spanien kaum jemand die Anweisungen der Regierung bezüglich (Corona-)Maßnahmen infrage stellt.

Eine lebhafte Erinnerung an eine der seltenen Begegnungen mit anderen Menschen stammt vom Beginn der Reise. Im Norden Schwedens, mitten im Wald und fernab der nächsten Siedlung, nahm ihn eine 87-jährige Dame herzlich bei sich auf. Sie lebte dort ganz allein, die zehn Kinder waren alle weggezogen, ihr Mann verstorben. Schabus durfte in der Hütte wohnen, die ihr Mann für sie als Geschenk gebaut hatte. Fast alles daran und darin war aus Holz, sogar das Geschirr und das Besteck.

Alles ist besser als Stillstand

Auch in der Schockstarre ganz zu Anfang der Pandemie ortete Schabus überall Streitereien in Europa. So hielten etwa alle anderen Skandinavier den Sonderweg der Schweden in der Pandemie für falsch. Und selbst das Bestreben der Katalanen nach Unabhängigkeit vom Rest Spaniens sah er durch Corona keineswegs schwinden. "Dass in Europa gestritten wird, ist aber per se nichts Schlechtes", meint der Künstler, und "alles besser als Stillstand".

Tendenziell brächten einen Diskussionen voran. Oder wie Schabus es im Anschluss an die Durchquerung der USA mit dem Rad schon fünf Jahre zuvor formuliert hatte: "Mit dem Fahrrad ist man schnell genug, um der Angst des Stillstands nicht anheimzufallen – und langsam genug, um den Stillstand auch wahrnehmen zu können." (Sascha Aumüller, RONDO, 13.1.2022)