So manch politisch brisantes Dokument stellte sich als gut gefälscht heraus. Selbst mächtige Figuren der Geschichte bleiben nicht vor Fakes verschont, wie ein Grazer Historiker bewies.

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Waterloo ist das Synonym der ultimativen Niederlage: Napoleon Bonaparte wurde dort 1815 in seinem letzten Gefecht endgültig geschlagen. Kurz danach musste der Kaiser der Franzosen den Gang in die Verbannung auf St. Helena antreten. Zuvor hatte er vergeblich den englischen Prinzregenten Georg IV. um Exil in Großbritannien angefleht.

In dem Schreiben, das heute in der Kunstsammlung der britischen Königsfamilie lagert, bat der Korse: "Ich komme, im Lande des britischen Volkes eine Zuflucht zu suchen. Ich bitte Eure königliche Hoheit als den mächtigsten, beständigsten und großmütigsten meiner Feinde, sie mir zu gewähren."

Sensation oder Fake

Diese Worte las auch Gernot Peter Obersteiner, Direktor des Steiermärkischen Landesarchivs in Graz, auf einem vermeintlich von Napoleon verfassten Schriftstück. Ein privater Handschriftensammler hatte dem Landesarchiv ein Dokument zur Prüfung übergeben.

Auf den ersten Blick sah es wie ein schriftlicher Vorentwurf des berühmten "Lettre de reddition" aus. "Wenn er sich als echt erwiesen hätte, wäre das natürlich eine historische Sensation gewesen", sagt Obersteiner. Doch wurde die Notiz tatsächlich von dem Mann verfasst, der in seiner Glanzzeit den Großteil Europas unterwarf?

Zur Klärung dieser Frage recherchierte Obersteiner zuerst in Frankreich, ob ein solcher Vorentwurf überhaupt existiert und womöglich dort in einem Archiv liegt. Entsprechende Nachfragen aus Graz blieben aber unbeantwortet, sodass sich die Restaurationswerkstatt des Landesarchivs das vermeintliche Artefakt selbst genauer ansah.

Berührungsfreie Analyse

Schwierigkeiten machte dabei vor allem die Form des Schriftstücks: Das Blatt, in einem sichtbar schlechten Zustand, wurde vermutlich zur Stabilisierung auf einem Stück Karton montiert. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte man sich bei der Untersuchung viel leichter getan.

Obersteiner: "Dann hätten wir eine Wasserzeichenprobe machen oder das Papier und die Tinte analysieren können." Das Papier von seiner Unterlage abzulösen verbat sich aber. Die Gefahr, vielleicht einen antiquarischen Schatz zu zerstören, war zu groß. Deshalb wurde eine Methode gesucht, mit der die Analyse berührungsfrei durchführbar ist.

Fündig wurde man dafür nur ein paar Straßen weiter — beim Institut für Elektronenmikroskopie und Nanoanalytik der Technischen Universität Graz (FELMI-ZFE).

Nachbarschaftshilfe

"Dort sind wir sofort auf größtes Interesse gestoßen. Die Kolleginnen und Kollegen waren gleich Feuer und Flamme, ihre Methoden hier zur Anwendung zu bringen", erinnert sich Obersteiner.

Intensive historische Forschung betreibt das FELMI-ZFE eigentlich nicht. Es ist vor allem spezialisiert auf die gesamte Bandbreite der mikroskopischen Materialforschung. Aber hin und wieder werden auch Schriftstücke untersucht.

"In der Vergangenheit sind immer wieder Gutachter an uns herangetreten", sagt Hartmuth Schröttner, Leiter der zuständigen Arbeitsgruppe. Ihre Expertise war dann vor allem zur Überprüfung von beanstandeten Rechnungsdokumenten gefragt. Durch die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs kommt das aber immer seltener vor. Eine Originalhandschrift dagegen, die möglicherweise von Napoleon selbst stammt, habe er noch nie zu sehen bekommen: "Mit so etwas vermeintlich Wertvollem ist man natürlich nur im Ausnahmefall konfrontiert."

Auf der Spur des Feldherrn setzten Schröttner und sein Team vor allem auf die Infinite Focus Mikroscope (IFM): Das ist eine Technik, bei der die geringe Schärfentiefe der klassischen Lichtmikroskopie durch spezielle Algorithmen ausgeglichen wird. Damit ist eine dreidimensionale Betrachtung möglich.

Suche nach Kratzspuren

Die Probe wird nicht nur wie bei der gewöhnlichen Lichtmikroskopie in der horizontalen Ebene betrachtet, sondern auch über die vertikale Achse abgescannt. So kann eine Tiefenauflösung bis in den Bereich von einigen zehn Nanometern erreicht werden. Das resultierende 3D-Bild zeigt die genaue Oberfläche und die komplette Farbinformation des Untersuchungsobjektes.

Vor allem bei der Analyse von Schriftstücken wird es so möglich, den Zusammenhang zwischen Farben und Topografie des Papiers zu vergleichen. "Zudem lässt sich sehr gut zeigen, ob Farbe in die Struktur des Papiers eingedrungen ist oder nicht", sagt Schröttner.

Die Analyse der Tinte auf diesem Weg brachte aber wenig Erfolg: Allein von ihrer Oberfläche her lassen sich auch durch eine derartig scharfe Linse die Druck- und Schreibtinten aus alter Zeit nur schwer unterscheiden. Es folgte die Analyse des Papiers.

Die Suche nach mikroskopisch kleinen Schäden, die das Schreiben mit einem Federkiel üblicherweise erzeugt, weil winzige Fasern aus der Gesamtstruktur gerissen werden, verlief erfolglos. Das brachte die Forschenden zu dem Schluss, dass es sich bei dem untersuchten Objekt mit größter Wahrscheinlichkeit bloß um einen Druck handelt.

Enttäuscht ist Obersteiner deshalb aber nicht. Der Historiker freut sich vor allem über die neuen Synergien, die sich mit den benachbarten Naturwissenschaftern gebildet haben: "Wir werden zu gegebener Zeit wieder auf diese neu geknüpften Kontakte zurückgreifen, um das für die eine oder andere Forschungsfrage nutzbar zu machen." (Johannes Lau, 17.1.2022)