Der Staatsanwalt wirft einem Tschetschenen vor, ein Mordkomplott gegen einen Landsmann ausgeheckt zu haben. Der Angeklagte sagt, es sei nur ein "Spiel" gewesen.

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Wien – "Er hat doch mit mir gespielt, und ich habe mitgespielt", erklärt der 52-jährige Angeklagte Musa C. dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Sonja Weis. Das "Spiel" laut Staatsanwalt: Der angeklagte Tschetschene soll im Frühjahr 2021 für einen Auftragsmord an einem Landsmann 50.000 Euro geboten haben – einem verdeckt ermittelnden Polizisten. Verteidiger Peter Phillip gibt zwar den Inhalt der aufgezeichneten Gespräche zu. Aber: "Es geht hier nur um die Frage, war es ernst gemeint oder nicht?" Für Philipp ist Letzteres der Fall: "Warum war es nicht ernst gemeint? Wer lässt sich zu einem Mord anstiften, wenn er keinen einzigen Euro bekommt?", versucht er bei den Laienrichtern Zweifel zu säen.

Der Hintergrund ist einigermaßen verworren. Im Jahr 2000 soll der Cousin des angeblich auserkorenen Mordopfers in Tschetschenien die Entführung zweier russischer Offiziere geplant haben, sagt der Angeklagte Musa C. Er habe das verhindert, seit damals "verfolge" ihn der Cousin. Im Jahr 2004 kam C. als Flüchtling nach Österreich, über seinen Aufenthaltsstatus macht er widersprüchliche Angaben.

Asylstatus angeblich zurückgegeben

Zunächst lässt C. übersetzen, er habe einen "unbefristeten Aufenthaltstitel". Weis hält ihm seine Aussage bei der Polizei entgegen: "Da haben Sie gesagt, Sie haben den Asylstatus zurückgegeben und jetzt nur mehr ein fünf Jahre gültiges Visum?", wundert sie sich. "Das stimmt. Meine Mutter, die mittlerweile verstorben ist, wollte, dass ich nach Tschetschenien zurückkomme", korrigiert sich der Angeklagte. Das habe er ab 2016 auch immer wieder gemacht.

Noch etwas will Weis von dem 2017 wegen falscher Zeugenaussage Vorbestraften wissen: Warum man in seiner Wohnung 13.000 Euro Bargeld sowie umgerechnet 720 Euro in Russischen Rubel gefunden habe. "Sie haben vorher gesagt, Sie und Ihre Frau beziehen jeweils 508 Euro Mindestsicherung. Da ist es schwer, etwas zu sparen", sagt Weis, Interesse für die Herkunft des Geldes bekundend. "7.000 Euro gehören meinem Sohn, 4.000 Euro hat meine Frau gespart, sie arbeitete als Putzfrau", erläutert der Angeklagte.

Beleidigung der Mutter "schlimmer als Mord"

Bezüglich der angeklagten versuchten Anstiftung zum Mord bekennt sich C. jedenfalls nicht schuldig. Obwohl er zugibt, ein Motiv gehabt zu haben: Denn M., das Mordopfer in spe, "hat meine Mutter beleidigt. Das ist in unserer Mentalität schlimmer als ein Mord", behauptet der Angeklagte. M. soll die Beleidigungen 2020 in einem Youtube-Video veröffentlicht haben. "Was ist die Beleidigung?", bohrt die Vorsitzende nach. "Es sind furchtbare, schreckliche Worte", entgegnet der Angeklagte, der bedauert, dass er sie nicht wiederholen könne. "Es ist mir peinlich."

Nachdem Weis darauf hingewiesen hat, dass sie berufsbedingt einiges an Unflätigkeiten gewohnt sei, fordert der Angeklagte seinen volljährigen Sohn auf, den Saal zu verlassen. "Angeblich kauft er Gegenstände in einem Sexshop und wird mit der Großmutter, der Gattin und der Tochter etwas machen", übersetzt anschließend die Dolmetscherin. "Bei der Polizei haben Sie noch gesagt, M. wird einen Dildo kaufen und die drei Frauen befriedigen", liest die Vorsitzende aus dem Vernehmungsprotokoll vor. C. beginnt zu schluchzen.

"Warum beleidigt M. Ihre Verwandten? Angeblich kennen Sie ihn ja nur flüchtig?", zeigt sich Weis verwirrt. "Sein Onkel hat mir gesagt, es war ein Auftrag", behauptet der Angeklagte. Wie sich später herausstellt, ist er überzeugt, dass der Hintermann M.s Cousin sei, der nach 20 Jahren noch immer auf Rache sinne.

Amtshilfe aus der Slowakei

Er habe jedenfalls Beweise für den wahren Hintermann finden wollen, deshalb sei er Ende April auch auf den Anruf eines Unbekannten eingestiegen, der ihm seine Dienste anbot. Dass der Unbekannte in Wahrheit ein im Dienste der von einem anonymen Tippgeber gewarnten heimischen Exekutive agierender russischsprechender slowakischer Kriminalbeamte war, habe er nicht gewusst, gibt C. zu. Da M.s Onkel ihn jedoch vor "einer Provokation" gewarnt habe, sei er davon ausgegangen, dass es sich um keinen echten Killer gehandelt habe, sondern um einen Schergen von M.s Cousin.

Eine Geschworene stellt dem Angeklagten eine durchaus berechtigte Frage: "Wenn Sie den Namen des Hintermanns erfahren wollten – haben Sie den verdeckten Ermittler danach gefragt?" – "Nein, die Frage habe ich nicht explizit gestellt", antwortet C. darauf. Er habe weiter das Vertrauen des Unbekannten, mit dem er telefonierte, textete und sich persönlich traf, gewinnen wollen.

"Der Kopf und der Arsch abgerissen"

In anderen Aspekten zeigen die mitgeschnittenen Gespräche weniger Zurückhaltung. M., den der Angeklagte als "Teufel" bezeichnete, müsse "der Kopf und der Arsch abgerissen werden", forderte er vom vermeintlichen Killer. Eine per Fernzündung ausgelöste Autobombe solle verwendet werden, um M. zu töten. Vor Gericht beteuert C. nun, er wollte nur, dass M. verprügelt werde. "Da ist aber ein Sprengsatz ein ungeeignetes Werkzeug", merkt die Vorsitzende trocken an.

Die dann noch en passant eine weitere Bresche in die Verteidigungslinie reißt. "Haben Sie auch mit anderen Tschetschenen über die Sache gesprochen?", fragt sie unschuldig. "Nein. Es haben sich nach dem Video mit den Beleidigungen nur Leute gemeldet, um ihr Mitgefühl auszudrücken", antwortet der Angeklagte. Woraufhin Weis einen tschetschenischen Namen nennt und C. fragt, ob er diesen Mann getroffen habe. "Ja, ich habe ihm gesagt, er soll M. bedrohen, damit er das Video löscht", muss der Angeklagte zugeben. Die Vorsitzende hat einen weiteren Namen in petto – wie sich herausstellt, ein Imam, der M. im Auftrag von C. ebenso zur Löschung überreden sollte.

Kadyrow-kritische Videos

Dass M. im Internet als Kritiker des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow auftrete, habe mit der ganzen Angelegenheit überhaupt nichts zu tun, beteuert der Angeklagte mehrmals. Dass die Polizei behauptet, er habe 2016 in einer Moschee Kadyrow die Treue geschworen, bestreitet C. ebenso. "Ich habe nur gesagt, dass ich dankbar bin, dass ich wieder nach Tschetschenien kann."

M., der per Videoeinvernahme in Vorarlberg befragt wird, geht dagegen davon aus, dass seine Regimekritik der wahre Hintergrund des Mordkomplotts sei. Ganz stringent ist seine Aussage allerdings auch nicht. Die Quelle seiner bei der Polizei deponierten Anschuldigungen, C. sei ein Waffenhändler und habe "Blut an den Händen", seien andere Vlogger.

Kopf auf nackten Frauenkörper montiert

Der Zeuge gibt auch zu, öffentlich gedroht zu haben, er werde Mutter, Gattin und Tochter "ficken" – das sei aber eine Reaktion darauf gewesen, dass der Angeklagte eine Fotomontage verbreitet hatte, in der M.s Kopf auf einen nackten Frauenkörper montiert war. "Ist das jetzt auch so schlimm, wenn man seinen Kopf auf einem nackten Frauenkörper findet?", versucht Weis die Vorgänge zu verstehen. "Ja, natürlich!", antwortet M. entrüstet. Sein Cousin, den der Angeklagte als Drahtzieher verdächtigt, habe aber mit dem Ganzen nichts zu tun, versichert der Zeuge. Der an anderer Stelle interessanterweise wieder behauptet, er habe vor C. keine Angst gehabt, bis ihn die Polizei über den Bombenplan informierte.

Verteidiger Philipp arbeitet nochmals heraus, dass sein Mandant in den transkribierten Gesprächen gegenüber dem "Killer" immer klarstellt, dass es Geld erst nach Auftragserledigung geben werde. Da sich kein gedungener Mörder auf so ein Geschäft einlassen würde, sei klar, dass der Angeklagte nie echte Tötungsabsichten gehegt habe.

Eine goldrichtige Verteidigungsstrategie: Die Geschworenen sprechen C. einstimmig frei. Da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt, ist das Urteil nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 11.1.2022)