Österreichs Klimapolitik wagt ein demokratiepolitisches Experiment: Ab Samstag tagt erstmals der Klimarat der Bürgerinnen und Bürger. An insgesamt sechs Wochenenden werden die Teilnehmer bis Juni die großen Fragen der Klimapolitik diskutieren – begleitet von einem Team aus Wissenschaftern und Moderatoren. Was für die Republik ein Novum ist, wurde in anderen Staaten, aber auch in einzelnen Bundesländern bereits erprobt: In Bürgerräten, die die Gesellschaft eines Landes möglichst repräsentativ widerspiegeln sollen, werden Lösungsvorschläge für die Politik erarbeitet.

Die Auswahl der Gruppe, für die die Statistik Austria beauftragt wurde, sei divers, betonte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Dienstag bei der Präsentation. Die 100 Teilnehmer seien zwischen 17 und 79 Jahre alt, kämen aus allen Ecken des Landes und hätten unterschiedliche sozioökonomische Hintergründe und Zugänge zu Nachhaltigkeitsfragen. Ziel des Rates ist es, unter wissenschaftlicher Begleitung Vorschläge für die Politik zu erarbeiten. "Wir werden diese sehr ernst nehmen", sagte Gewessler. In welcher Form die Ergebnisse dann tatsächlich in die Politik einfließen werden, steht allerdings noch nicht fest.

Gewessler bei der Präsentation des Klimarats.
Foto: apa/jaeger

Noch ist auch gar nicht klar, was konkret innerhalb des Rates besprochen wird. Themenschwerpunkte, wie auch die Arbeitsweise werden von den Teilnehmern zusammen mit einem Moderationsteam erarbeitet. Mögliche Themenblöcke seien etwa Mobilität, Ernährung und soziale Gerechtigkeit, sagte Gewessler. Die große Frage darüber lautet: Wie kann Österreich bis 2040 klimaneutral werden? Die Teilnehmer sollen ohne Einfluss der Politik und von Interessenvertretern arbeiten, hieß es am Dienstag. Zwar ist eine Stakeholdergruppe aus Sozialpartnern, NGOs und anderen Organisationen in den Prozess eingebunden, die Teilnehmer selbst werden allerdings weitgehend ohne deren Beisein diskutieren.

In eine veritable Krise geschlittert

"Wir sind von einem Klimawandel in eine veritable Klimakrise geschlittert", erklärte Georg Kaser die Notwendigkeit, nach weiteren Lösungen zu suchen. Es sei notwendig, "endlich vom Reden und Planen ins Tun zu kommen". Der Klimaforscher von der Uni Innsbruck hat zusammen mit der Umweltökonomin Birgit Bednar-Friedl ein 15-köpfiges wissenschaftliches Gremium zusammengestellt, das den gesamten Prozess begleiten wird. Er ist sich sicher, dass man in diesem auf durchaus unterschiedliche Meinungen stoßen werde: "Das muss passieren, sonst ist das Abbild des Mini-Österreichs falsch." Ihm sei wichtig, dass die Gesellschaft durch den Prozess mehr zusammenwächst und nicht weiter auseinanderdividiert wird.

Der Klimaforscher Georg Kaser (links im Bild) begleitet zusammen mit anderen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern den Prozess.
Foto: apa/jaeger

Die Einrichtung eines Klimarats war eine der Forderungen des Klimavolksbegehrens. Deren Sprecherin, Katharina Rogenhofer, äußerte sich über die Umsetzung erfreut. Beispiele aus anderen Ländern hätten gezeigt, dass Lösungen aus solchen Gremien oft wesentlich mutiger seien als viele Entscheidungen der Politik. Für ein Gelingen setzt Rogenhofer vier Punkte voraus: Der Rat müsse unabhängig arbeiten dürfen; zugleich müsse der Prozess transparent kommuniziert werden. Darüber hinaus müsse er sichtbar gemacht werden und vor allem politisch wirksam sein. Das Gremium dürfe "zu keiner PR-Aktion hochgezogen" werden, sagte Rogenhofer. Sie erwartet sich von der Regierung, klar zu kommunizieren, was mit den Vorschlägen geschieht, und allfällige Abänderungen zu begründen.

Freude bei SPÖ und Neos, Kritik von der FPÖ

Neos und SPÖ zeigten sich in Aussendungen erfreut über den Start. Der Rat dürfe kein "stummes Scheingremium" werden; seine Empfehlungen müssten ernst genommen und berücksichtigt werden, sagte der pinke Klimasprecher Michael Bernhard. Lob gab es auch von heimischen Umwelt-NGOs. Die Freiheitlichen, die seit langem einen Ausbau der direkten Demokratie fordern, lehnen das Gremium hingegen ab. Dieses würde "ausschließlich den Schein von direktdemokratischer Mitbestimmung erwecken", heißt es in einer Aussendung. Die FPÖ fürchtet Belastungspakete, Teuerungen und Verbote.

Dem Klimarat fehlt jedenfalls eine wichtige Basis für die Diskussionen: das nunmehr seit mehr als einem Jahr ausstehende Klimaschutzgesetz. In diesem sollen unter anderem die Pläne für den zusätzlichen wissenschaftlichen Klimabeirat erarbeitet werden. Die Novelle werde "zeitnah" in Begutachtung gehen, betonte Gewessler abermals, nannte aber weiterhin kein konkretes Datum. (Nora Laufer, 11.1.2022)