Worüber du nicht reden kannst, darüber sollst du singen: Musical über die Beweggründe von Attentätern.

Foto: Jannik Schleicher

Wien – Hassen Sie alle und alles? Geht Ihnen die Menschheit so richtig auf den unrasierten Sack? Wollen Sie schon lange misslichen Zeitgenossen Übles? Dann gehen Sie ins Wuk. Dort gibt Toxic Dreams den Kurs The Dead Class – "the class on how to kill your class" (der Kurs ist auf Englisch). Fünf zornige Jungmänner (Tobias Resch, Johannes Deckenbach, Jonas Tonnhofer, Marko Trajkovski, Vladimir Cabak) reagieren auch prompt euphorisch, als ihnen ihr Kursleiter (Markus Zett) eröffnet, dass er mit ihnen ein Bekennerschreiben für ein Attentat erarbeiten möchte. Endlich mal etwas, dass man im realen Leben brauchen kann!

Um ein Manifest zu verfassen, das auch wirklich einschlägt, sollen die fünf von sich selbst erzählen. Wie ticken sie? Was hat sie so wütend gemacht? Man erfährt von frustrierenden Lebensumständen (Job "shitty", Wohnung "shitty", Essen "shitty") und der Sehnsucht nach einem großen Wow. Von Zurückweisung vonseiten des weiblichen Geschlechts im Besonderen und der Gesellschaft im Ganzen, von großflächigem Hass, Mobbing, Minderwertigkeitsgefühlen und einem daraus resultierenden kompensatorischen Größenwahn (Buch und Regie: Yosi Wanunu).

Von ihren Frustrationen, aber auch von ihren unterdrückten Sehnsüchten erzählen die Kursteilnehmer in Melodieform – worüber du nicht reden kannst, darüber sollst du singen. Sie haben es dabei ähnlich schwer wie mit ihrem Leben, hat doch Martin Siewert ein "Musical" komponiert, in dem eine sechsköpfige, gitarrenlastige Live-Band hauptsächlich graue Moll-Landschaften kreiert, deren Akkordfolgen so eintönig und deprimierend sind wie winterliche Spaziergänge durch slowakische Plattenbausiedlungen. Aber so sieht es in den Herzen der Hater wahrscheinlich aus.

College-Boy-Schönheit

Zu Herzen gehen auf jeden Fall die schauspielerischen und zum Teil auch die gesanglichen Leistungen der fünf. Man erlebt sexy Düsternis (Trajkovski), feminine David-Bowie-Zartheit (Tonnhofer), College-Boy-Schönheit (Resch), satte Stimmkraft (Cabak) und übervirtuose Platoon-Zerrissenheit (Deckenbach). Und fast alle haben die Haare schön! So viel Zugeständnis ans Musical muss sein. Komplett realistisch ist hingegen die Person des Lehrers gezeichnet.

Markus Zett gibt keine charismatische Inspirationsquelle à la Robin Williams im Club der toten Dichter und auch keinen konfus-kreativen Zufallspädagogen wie Jack Black in School of Rock, sondern einen stinknormalen Kursleiter wie du und ich, dem man die Mühen der pädagogischen Jahre und der Verstoffwechselung der Feierabendbiere ansieht: Was dem beruflich flachgesessenen Allerwertesten an Rundungen abhandengekommen ist, hat die vordere Körpermitte dazugewonnen.

Vor sechs Jahren hat das Aktionstheater Ensemble in der Produktion Angry Young Men schon ins Innenleben von fünf männlichen Gewalttätern zu blicken versucht und vom Krieg in den Köpfen, vom Leben als Kampfplatz berichtet. Das Thema ist leider aktuell geblieben, und es wird durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie wahrscheinlich kaum an Aktualität verlieren – kann man doch in der Vereinzelung, der mangelnden gesellschaftlichen Teilhabe einen Nährboden für die tödlichen Gewaltexzesse junger Männer ausmachen. (Stefan Ender, 11.1.2022)