Das Kapital des Luchses steckt auch in seinen großen, kräftigen Pfoten. Haarpolster an den Sohlen verleihen Grip im Schnee.

Foto: Imago Images/Zaruba Ondrej

Die Geschichte vom Luchs beginnt hierzulande eigentlich mit seinem Ende. Im Bregenzerwald schießt ein Weidmann im Jahr 1918 das letzte heimische Exemplar. Schon zuvor stellte der Mensch dem Beutegreifer gnadenlos nach und reduzierte seine Bestände drastisch.

Die Intensivierung von Forst- und Landwirtschaft beschnitt den Lebensraum des Luchses empfindlich, während der Rückgang freilebenden Schalenwilds seine Beute dezimierte. Schwierigkeiten, die auch heute noch Aktualität haben.

Infolge dieser Entwicklungen wich der Anschleichjäger auf Nutzvieh aus, was ihn teuer zu stehen kam. Als Wildschädling verrufen und verfolgt, winkten Abschussprämien für erlegte Luchse.

Überleben im Exil

Einst auf dem gesamten europäischen Festland verbreitet, galten die Katzen Ende des 19. Jahrhunderts als ausgerottet. Einzig in großen Gebirgszügen wie den Karpaten, auf dem Balkan und im hohen Norden Skandinaviens überlebte Lynx lynx. Durch Menschenhand an den Rand der Existenz gedrängt, setzte auch die Rückkehr des Luchses menschliches Zutun voraus.

Im Alpenraum nahm die Wiederansiedlung 1971 in der Schweiz ihren Anfang, zwischen 1977 und 1979 wurden neun Tiere in der Steiermark freigelassen. Ähnliche Projekte liefen in Italien, Frankreich, Deutschland und Tschechien. Was fehlte, war jedoch ein gemeinsames Konzept.

Auch mangelte es an Wissen um die kritische Minimalgröße einer Population und die für die genetische Vielfalt zentralen Verwandtschaftsbeziehungen. So war die Zahl der freigelassenen Tiere relativ gering, zudem stammten alle aus den slowenischen Karpaten.

Dessen ungeachtet führten die Initiativen zu einem ersten Erfolg: Anfangs langsam und unauffällig breiteten sich die Bestände ab den 1990ern zusehends auch über Ländergrenzen hinweg aus.

Schätzungen zufolge streifen heute wieder 10.000 Luchse durch Europas Wälder. Stummelschwanz und Ohrpinseln machen die größte mitteleuropäische Katzenart unverkennbar. Sie in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen, setzt allerdings immenses Glück oder ausnehmende Ausdauer voraus. Denn Lynx lynx lebt davon, nicht gesehen zu werden.

Luchse sind ausgesprochene Einzelgänger. Ausnahmen werden während der Paarungszeit und für die Aufzucht der Jungtiere gemacht.
Foto: Naturschutzbund/Josef Limberger

Feline Supersinne

Einerseits bietet das Fleckenmuster des Fells dem Bewohner weitläufiger, felsiger Waldgebiete optimale Tarnung. Andererseits gleicht der mit fantastischen Sinnen ausgestattete Luchs einer hochsensiblen Überwachungsstation. Er hört eine Maus in 50 Metern Entfernung, erspäht 300 Meter entfernte Hasen und wittert Rehe über eine Distanz von gut 600 Metern.

Im Schnitt erlegt ein Luchs rund 50 Rehe pro Jahr. Selbst so groß wie ein Schäferhund, lauert er seiner Beute meist hinter Felsen oder auf niedrig hängenden Ästen auf. Mit einem kraftvollen Satz stürzt er sich auf seine Opfer und tötet sie mittels Bisses ins Genick.

Entwischt ihm seine Mahlzeit jedoch, resigniert der Luchs schnell. Zwar ist er ein hervorragender Kletterer und ein unermüdlicher Wanderer, der aus dem Stand bis zu zwei Meter hoch springen kann, doch Sprints gehören nicht zu seinen Stärken.

Luchse sind stark territoriale Tiere, deren Reviergröße vom Vorkommen verfügbarer Beute abhängt. Sinkt die Beutetierdichte, vergrößern sich die Streifgebiete, was direkten Einfluss auf die Dichte des Luchsbestandes hat. In Mitteleuropa erstrecken sich die Reviere meist über 100 bis 450 Quadratkilometer.

Österreich wird von zwei grenzübergreifenden Luchsvorkommen berührt: in den Westalpen vonseiten der Schweiz und im nördlichen Mühl- und Waldviertel vonseiten Bayerns und Tschechiens. Damit sind die meisten österreichischen Luchse Grenzgänger.

Nötiger Lückenschluss

Eine weitere alpine Population existiert darüber hinaus isoliert im Nationalpark Kalkalpen. An ihr manifestieren sich die Stolpersteine beim Aufbau stabiler Luchsbestände besonders deutlich. Abgeschnitten von anderen Populationen findet kein ausreichender genetischer Austausch statt. Genügend Vielfalt im Erbgut ist jedoch der Schlüssel für langfristig überlebensfähige Luchsvorkommen.

Doch in Österreich und seinen Nachbarstaaten quälen den Luchs schwere Probleme bei der Partnersuche. Gut 2200 Kilometer Schnellstraßen und Autobahnen, gesichert durch Wildzäune, durchschneiden die österreichische Landschaft. Sie bilden selbst für die agilen Katzen unüberwindbare Barrieren.

Damit Katze (Weibchen) und Kuder (Männchen) zueinanderfinden, brauchen sie in den Alpen und entlang der Grenzen Wanderkorridore. An der Habitatsvernetzung arbeiten hierzulande mehrere Stellen. Neben gut 70 bestehenden Grünbrücken an Verkehrsadern will die Asfinag bis 2027 weitere 16 dieser Querungen errichten. Im Projekt Netzwerk Naturwald kooperieren Schutzgebiete auf Initiative des Nationalparks Kalkalpen, um einzelne Biotope zu verknüpfen.

Nicht zuletzt braucht der Luchs aber die Akzeptanz des Menschen. Illegale Abschüsse empören, kommen aber immer noch vor. Angesichts der (noch) kleinen Bestände wiegt jedoch der Verlust jedes einzelnen Tieres immens schwer. (Marlene Erhart, 13.1.2022)