In seinem Gastblog kritisiert Christian Kreil die Corona-Demos, die weit ins rechte Lager geschlittert sind.

"Freiheit Hu". Das "Hu" wird betont, und während es dumpf und dunkel hallt, klatschen wir mit den gestreckten Armen über dem Kopf die Hände zusammen. So geht es dahin bei einer Kundgebung in Innsbruck zu Beginn des Jahres. "Freiheit Hu. Freiheit Hu". Inhalte werden überbewertet, gegen das "Freiheit Hu" wirkt ein durchschnittlicher Schmäh-Chant der Rapid-Ultras gegen die Austria bei einem Derby wie Weltliteratur.

"Freiheit Hu" will dennoch geübt und gelernt sein und die Lehrer auf der Bühne sind Michael Schnedlitz und Jürgen Wirth Anderlan. Schnedlitz ist Generalsekretär der FPÖ und brüllt "Hu", Anderlan ist das, was man sich unter einem Südtiroler Urgestein vorstellt. Er brüllt "Hu" als würde er einen Schuss abfeuern, und das kommt nicht von ungefähr. Anderlan war bis vor kurzem Obmann des Südtiroler Schützenbunds, den Rücktritt von der  Traditionsbrigade hat man ihm offenbar ob der allzu innigen Parteinahme für die Corona- und Impfgegner-Demoszene nahegelegt. In Österreich ist der Mann bei den Kundgebungen als urige Gestalt aus den Bergen Alto Adiges ein gerne gesehener Aufputz. Im Gastgeberland den Feingeist mimen, das ist Anderlans Sache nicht.

Wien als "Zentrale geistig abnormer Rechtsbrecher"

"Wien ist die Zentrale der geistig abnormen Rechtsbrecher." Das richtet Anderlan in einem Interview mit dem rechten Internetportal "Auf1" der Alpenrepublik ob der Impfpflicht aus. Die "Achse Bozen-Wien" will er laut "Auf1" "aufrechterhalten". Das klingt immerhin besser als die "Achse Rom-Berlin" und trotzdem nicht gut.

Das Stakkato "Freiheit Hu" ist die Salve, die der ehemalige Schützenhäuptling Anderlan abfeuert, gemeinsam mit einem FPÖ-Politiker und tausenden Kundgebungsteilnehmenden. FPÖ-TV dokumentiert die Inszenierung mit Einpeitschern und einer Masse aus Rechten, Verschwörungsplauderern, Impfgegnern und Esoterikern leider sehr bieder.

Im besten Fall geht das "Freiheit Hu" als akkustische Umweltverschmutzung durch, bei der es einem die Zehennägel aufrollt. Der demokratische Feinspitz wird - wenn er die Massen auf Schnedlitz und Anderlans Kommando "Hu" brüllen hört - an politisch unangenehme Manifestationen erinnert. Dabei ist der Feinspitz bereits abgebrüht von den visuellen Botschaften, die bei den Corona-Demos seit fast zwei Jahren durch die Straßen getragen werden. Wutbürger, die vorgeben, besorgt zu sein, plündern rücksichtslos zeitgeschichtliches Leid für ihr imaginiertes Martyrium als Impfgegner. Der "Judenstern" mit der Aufschrift "Ungeimpft"; der persiflierte Schriftzug "Impfen macht frei"; die Gleichsetzung der "Reichskristallnacht" mit der demokratisch akkordierten Impfpflicht - so spuckt man auf die Schicksale Millionen unschuldiger Menschen, während man schreiend durch die Straßen zieht. 

"Juden für Aufklärung" sorgen für Irritation

Den Vogel schießt eine Aktivistin ab, die unter dem Banner "Juden für Aufklärung" auftritt und vorgibt, ein Nachkomme jüdischer Holocaust-Opfer zu sein. Bei einer Kundgebung in Villach fantasiert die als "Helga" auftretende Österreicherin, dass der "Arierparagraf" im Nationalsozialismus für "alle galt, die kritisch waren", inklusive "braven Bürgern". Das ist zwar Schwachsinn, gefällt den Kärntner Demonstrierenden, die sich vermutlich lieber als "brav" denn als "jüdisch" bezeichnet sehen wollen und die sich als Opfer einer Diktatur wähnen, wenn sie beim Milchholen eine Maske tragen sollen. Die vermeintlichen Opfer ziehen mit "Helga" zu einem Denkmal echter Opfer des Nationalsozialismus in Villach, gemeinsam singt man "Shalom Alaichem".

Der Israelitischen Kultusgemeinde ist die angebliche Gruppe "Juden für Aufklärung" nicht bekannt. Man kritisiert die Vereinnahmung des Judentums. Der Auftritt von "Helga" sei eine "gefährliche Umdeutung der Shoa". Die alte und neue Rechte darf ob der Corona-Maßnahmen und des Virus frohlocken. So locker ging die Verharmlosung des Holocaust noch nie über die Bühne.

Corona-Demos gehören mittlerweile zum Alltag in Österreich. Häufig angeführt von Rechten.
Foto: APA/FLORIAN WIESER

Identitäre versuchen es subtiler

Die smarten Agitatoren der Aufmärsche vermeiden das allzu Plumpe. Man versucht subtil zu wirken und übt das Augenzwinkern innerhalb der Szene. Das Banner "UNS KRIEGT IHR NIE" tragen die Identitären voran. Martin Sellner, der Sprecher der rechtsextremen Identitären, schwört Impfgegner auf besseres Wording und Framing ein. Der wackere Verweigerer der Vakzine solle sich nicht "ungeimpft" nennen, sondern "impffrei". Das Transparent der Identitären mit dem Spruch "Weg mit dem Globalistendreck" kann jeder lesen, wie er will, Rechte, wissen wer gemeint ist. Der Masse an mitlaufenden Wutbürgern ist es offenbar gleichgültig, wer gemeint ist, wem man hinterherläuft und wer mit einem mitläuft.

Bei Demos in Wien und Steyr war das schon einmal eine Handvoll Personen, die in (Fantasie-)Uniformen martialisch auftritt und Polizei spielt. Die Uniformen samt Bundesadler und fiktiven Funktionsabzeichen ähneln jenen der Polizei zum Verwechseln. Ein Schnappschuss, der für die heterogene Masse der Demonstrierenden nicht repräsentativ, aber bezeichnend ist. Man nimmt die exekutive Gewalt in die eigene Hand, man ist entschlossen. Und man wartet auf mehr. Auf Kommandos von Wortführern, Influencern oder Politikern. Kickls Ankündigung, ob der Impfpflicht im Parlament einen "richtig heißen Tanz" zu veranstalten, das kann von wütenden Demonstrierenden auch gerne neu interpretiert werden, wenn sie bei der x-ten Demo feststellen, dass der bloße Protest auf der Straße offensichtlich ins Leere läuft.  

Der Sturm auf das Kapitol als ikonische Metapher

Der Sturm auf das Kapitol in Washington vor einem Jahr hat sich zur ikonischen Metapher für die Szene entwickelt. Die Bilder eines Mobs fast ausschließlich männlicher Wutbürger, die ungelenk und aggressiv die Demokratie aus ihrem eigenen Haus zu verjagen versuchen, wohlwollend begleitet und angeleitet von smarten Influencern rechtsradikaler Kanäle und paramilitärischen rechten Gruppen und aufgehusst von Donald Trump, diese Bilder wünscht sich - zumindest eine Teil der Szene - auch in Österreich.

Anstelle der "Make America Great Again"-Kappen wickelt man sich in rot-weiß-rote Fahnen mit dem Bundesadler. Das soll suggerieren, die legitime Vertretung der Bevölkerung auf der Straße zu sein. Das Fahnenmeer täuscht über die nüchternen Fakten hinweg: Nur 17 Prozent der Bevölkerung unterstützen die aktuellen Demonstrationen. Der Großteil der Österreicher demonstriert sei zwei Jahren Vernunft und Rücksichtnahme. Ohne Gashupen, Kuhglocken, Bundesadler, Trommeln und "Freiheit Hu". Auch das sollte gesagt sein, um die Relationen zu wahren. Allerdings: Für einen Sturm auf das Parlament, oder nur um Städte lahmzulegen, dazu reicht auch ein entschlossener harter Kern aus einer Minderheit von 17 Prozent.   

Dass diese Minderheit derzeit bestens organisiert ist, daran besteht kein Zweifel. Wer dieser Minderheit sagt, dass sie die Minderheit ist, dem plärrt sie mit dem Megaphon ins Ohr. Sie repräsentiere verdammt noch einmal die Bevölkerung, habe Recht, habe Recht zu bekommen und nehme sich das Recht, tatsächliche Mehrheiten zu negieren.

Nennen wir die Dinge beim Namen

Warum tun wir uns schwer, die Aufmärsche als das zu bezeichnen, was sie sind: ein Probegalopp, orchestriert von Rechtsextremen. Die stellen sich die Frage: Können sie das Potential der Wutbürger, Impfgegner und Esoteriker - wenn die Pandemie einmal vorüber ist - für die ureigenste fremdenfeindliche und rassistische Agenda erneut heben und hinter sich reihen?

Dass wesentliche, wenn auch nicht alle, Teile der FPÖ samt Parteichef Herbert Kickl dabei mitmachen, ist bedrückend, wenngleich nicht überraschend. Auferstanden aus den Ruinen von Ibiza sortiert Kickl das  Wählerpotential der FPÖ neu und schraubt an neuen Allianzen. Distanzscheiben zu rechtsextremen und faschistischen Gruppen würden dabei nur stören.

Dabei entsteht ein Gemenge, das für die Freiheit zu kämpfen vorgibt, sich aber lediglich alle Freiheit nehmen will. Es ist ein Soziotop von Wutbürgern, die von ihrem Widerstand gegen einen vermeintlichen Faschismus fabulieren, aber gerne einen Faschismus nach ihrer eigenen Fasson hätten. Es sind Menschen, die vor der Spaltung der Gesellschaft warnen und die gleichzeitig und ohne jeden Genierer und mit Freude einen Keil in Anstand, Zivilisation und Menschenwürde dreschen. Wir sollten daher keine Angst vor der "Spaltung" der Gesellschaft haben. Wir sollten nur jene Minderheit im Auge behalten, die ganz bewusst auf der anderen Seite des Spalts agitiert und agiert. (Christian Kreil, 4.2.2022)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. 2021 erschien sein Buch "Fakemedizin".

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