Hinter den Kulissen der Attraktionen des Wurstelpraters geht es wüst zu, wie ein Strafprozess zeigt.

Foto: Robert Newald

Wien – Manche Gerichtsverfahren beginnen eher harmlos, nur um am Ende dann einen verstörenden Eindruck zu hinterlassen. Der Fall von Herrn P., einem unbescholtenen 53-Jährigen, ist ein Beispiel dafür. P. sitzt mit einer Anklage wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung und sexueller Belästigung seiner Kollegin, Frau K., vor Richter Christoph Bauer. Da er mit der Lautstärke der Musik an seinem Arbeitsplatz, einem Fahrgeschäft im Wiener Vergnügungspark Prater, nicht einverstanden war, wie der Angeklagte sagt.

Er bekennt sich allerdings nicht schuldig im Sinne der Anklage. Es habe sich an diesem 29. Oktober nur um einen "Arbeitsstreit" gehandelt. "Ich arbeite draußen, schnalle die Kunden an. Es war voller Stress, viele Leute", schildert der Angeklagte. Frau K. arbeite im Kassenhäuschen und sei auch für die Beschallung zuständig. "Die Musik war zu laut, sie hört das in der Kabine nicht", erklärt P., warum es zum Konflikt kam. Er ging nämlich in das Kabäuschen, um die Lautstärke reduzieren, Frau K. goutierte das nicht.

"Ich brech dir gleich zur Hand!"

Bis zu diesem Punkt deckt sich die Darstellung der beiden Parteien noch. Laut Anklage habe P. dann der 19 Jahre alten K. den Arm nach hinten gedreht, um an die PC-Maus zu gelangen, und ihr dabei eine mehrere tage schmerzende Oberarmzerrung zugefügt. "Ich brech Dir gleich die Hand!", soll er dabei gedroht haben. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung bezieht sich darauf, dass P. an diesem Tag auch seine Hand am Gesäß der jungen Frau platziert haben soll.

"Geschimpft habe ich vielleicht schon, aber angegriffen habe ich sie nicht!", beteuert der Angeklagte. "Was haben Sie denn geschimpft?", will der Richter wissen. "'Du dumme Kuh', habe ich gesagt", verrät der in Sibirien geborene Österreicher. "Dass im Prater der Ton etwas strenger ist, ist mir klar", merkt Bauer an. "Aber warum sagt Frau K. danach ihrem Chef, dass Sie sie verletzt und bedroht hätten?", fragt der Richter. "Weiß ich nicht, wahrscheinlich war sie böse auf mich", mutmaßt der ohne Verteidiger erschienene Angeklagte. "Und warum soll Frau K. Sie am nächsten Tag bei der Polizei anzeigen?", lässt Bauer nicht locker. "Sie wollte gar nicht zur Polizei. Vielleicht hat Ihr das wer gesagt", behauptet P. darauf.

"Angetrunken und aggressiv"

Der Richter wechselt das Thema: "Haben Sie an dem Abend etwas getrunken?" – "Nein, überhaupt nichts." – "Verstehen Sie sich mit Ihrem Chef?" – "Ja, ich kenne ihn schon lange." – "Hat der was gegen Sie?" – "Nein, gar nicht." Bauer blättert in seinem Akt. "Der Betriebsleiter hat bei der Polizei nämlich gesagt, dass er den eigentlichen Vorfall nicht mitbekommen habe, Sie an dem Abend aber 'angetrunken und aggressiv' gewesen seien", hält er vor. "Vielleicht hat er was gegen mich", ändert P. rasant seine Meinung. "Das habe ich Sie gerade gefragt, und Sie haben gesagt, er hat nichts gegen Sie!", zürnt der Richter.

Dann nimmt Frau K. auf dem Zeugenstuhl Platz. "Wie kommt es zu dieser Eskalation?", ist die erste Frage Bauers. "Er hat ein bissi was getrunken an dem Tag", sagt K. über den Angeklagten. "Ich habe einen Remix gespielt, der etwas länger war, der dürfte ihm nicht gefallen haben", vermutet sie als Grund für den Disput. P. sei jedenfalls in die Kassa gekommen, habe geschimpft und ihr den Arm nach hinten gebogen, damit er an die Maus gelangt. Sie habe sich in die Ecke geflüchtet, der Angeklagte habe sie weiter beschimpft: "Er hat gesagt, dass ich ein Nichts bin, ein Niemand und als Frau hier nichts zu suchen habe." Danach habe sie die Tür versperrt, gegen die er von außen getreten habe.

"Hat er auch gesagt, dass er Ihnen was antun wird?", interessiert Bauer. "Dass er mir was antun wird, hat er nicht gesagt", entgegnet die Zeugin überraschenderweise. Wie sich herausstellt, bezieht sie sich damit aber auf die Situation, als sie bereits in der Ecke stand. Als P. sie am Arm gepackt habe, habe er sehr wohl mit "Ich brech dir die Hand, wenn ich will", gedroht.

"Du bist eine deppade Hurna!"

Sie habe die Schimpferei in der Ecke mit ihrem Handy auch aufgenommen, verrät K. dem Richter, der sie bittet, das vorzuspielen. Zu hören ist der zornige P., der neben den erwähnten Beleidigungen unter anderem auch "Du bist eine deppade Hurna!" ruft.

Zum Anklagepunkt der sexuellen Belästigung sagt die Zeugin, dass P. bereits am Vortag "ein bisschen aufdringlich war". Ein Euphemismus: Sie schildert, dass er sie im Beisein eines Kollegen von hinten umarmt und ihr an die Brüste gegriffen habe. "Das stimmt nicht!", mischt sich der Angeklagte ein und wird vom Bauer ermahnt, dass er des Saales verwiesen werde, sollte er nicht ruhig sein. "Bei der Polizei haben Sie auch von einem Griff ans Gesäß gesprochen, war da auch was?" – "Ja, das war an dem Tag mit der Musik. Aber nur kurz, weil ich dann gleich weggegangen bin und ihm gesagt habe, dass er aufhören soll."

"Sie sind dann erst am nächsten Tag zur Polizei gegangen, was völlig richtig war. Gab es einen Grund, hat Sie jemand überredet?", will der Richter wissen. "Ich habe es danach dem Chef erzählt, der hat sich bei mir entschuldigt und gesagt, ich muss selbst entscheiden, ob ich P. anzeige oder nicht. Ich war mir nicht sicher, daheim habe ich auch mit der Mama geredet, die mir auch zur Anzeige geraten hat. Aber ich war unsicher, da es nichts bringt. Meine Mutter wurde auch mehrmals von meinem Ex-Stiefvater angegriffen – und es ist nichts passiert", stellt sie der Wiener Exekutive ein schlechtes Zeugnis aus. Nachdem K. erklärt wird, dass sie sich mit Schmerzengeld anschließen kann, will sie 100 Euro vom Angeklagten.

"Ich habe nur ihre Hand gehalten"

Der danach vom Richter gefragt wird, was er zu diesen Aussagen sage. "Ich habe sie nicht angegriffen", bleibt P. dabei. Nur um im nächsten Satz zu ergänzen: "Ich habe nur ihre Hand gehalten, damit sie nicht zur Maus kommt." – "Sie haben in der Kassa aber nichts verloren gehabt! Das ist der Arbeitsplatz von Frau K.!", stellt Bauer klar. "Ja, schon", antwortet der Angeklagte. "Nix, 'Ja, schon'. Ja, Punkt!", beendet der Richter die Diskussion.

Um P. noch eine Chance für ein Geständnis zu geben: "Erst erzählen Sie, Sie hätten Frau K. überhaupt nicht berührt, und jetzt sagen Sie, Sie hätten sie 'an der Hand gehalten'. Würden Sie mir die Geschichte glauben, wenn ich sie Ihnen so erzählen würde?", ist Bauer vergrämt. "Es war so", bleibt P. bei seiner Version. "Ich sage es Ihnen direkter: Das glaubt kein Mensch!", entgegnet ihm der Richter.

Interessanterweise erkennt P. aber den Privatbeteiligtenanspruch von 100 Euro an und entschuldigt sich in seinem Schlusswort auch. "Es wird nie wieder passieren. Ich muss ein wenig meine Nerven zusammenhalten", gesteht er zu. "Das ist ein guter Plan für die Zukunft", bescheidet Bauer trocken, ehe er den Angeklagten zu fünf Monaten bedingter Haft verurteilt. Die Staatsanwältin ist damit einverstanden. Da P. unvertreten ist, hat er automatisch drei Tage Bedenkzeit, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 12.1.2022)