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Tennisstar Novak Djokovic räumte erstmals Fehler ein. Sein Agent habe beim Ausfüllen der Einreisepapiere für Australien geirrt. Das sei menschlich.

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Immigrationsminister Alex Hawke neigt zu einer strengen Auslegung.

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Seit Monaten ist die Frage virulent, ob der wohl ungeimpfte Titelverteidiger Novak Djokovic an den am 17. Jänner beginnenden Australian Open teilnimmt. Auch am Mittwoch war diese Frage nicht geklärt. Seit 10. Dezember, dem letzten Termin für einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung für nicht vollständig geimpfte Spielerinnen und Spieler, spitzt sich die Situation zu

.Am Abend des 16. Dezember soll Djokovic in Belgrad von seiner schon zweiten Infektion mit Covid-19 erfahren haben. Nach den serbischen Regeln müssen sich Positive ohne schwere Symptome für 14 Tage in häusliche Isolation begeben, Djokovic ist aber am 17. Dezember in Belgrad Ehrengast einer Preisverleihung für junge Tennisspieler und gewährt am 18. Dezember der französischen Zeitung L’Équipe ein Interview samt Fotoshooting.

Am 22. Dezember liefert die in Monaco wohnhafte Nummer eins der Rangliste einen negativen PCR-Test ab, am 30. Dezember erhält Djokovic seinen Anwälten zufolge vom medizinischen Chef des australischen Tennisverbands eine Ausnahmegenehmigung für die Australian Open. Zu Jahreswechsel trainiert Djokovic in Marbella, Spanien. Am 5. Jänner wird ihm in Melbourne zunächst die Einreise verweigert.

Am 10. Jänner gibt ein Gericht Djokovics Einspruch statt, er darf das Abschiebehotel verlassen, trainiert und harrt einer Entscheidung des Immigrationsministers Alex Hawke, der das Visum erneut annullieren könnte. Schließlich wird am 11. Jänner bekannt, dass in Djokovics Einreiseformular bei der Frage nach einer Reisetätigkeit 14 Tage vor dem Flug nach Australien Nein angekreuzt wurde. Am 12. Jänner äußert sich der 34-Jährige erstmals per Instagram.

Frage: Was sagt Djokovic?

Antwort: Der Sportler wehrte sich gegen "Fehlinformationen", gab aber auch Fehler zu. Am 17. Dezember bei seinem Termin mit Kindern habe er noch nichts von dem positiven Corona-Befund gewusst und einen Schnelltest absolviert, der negativ ausgefallen sei. Dass er am Termin mit L’Équipe trotz seiner Kenntnis vom positiven PCR-Test teilgenommen hatte, sei eine "Fehleinschätzung" gewesen. Für den Fehler im Einreisebogen sei sein Management verantwortlich. Es handle sich um "menschliche und sicher nicht absichtliche" Versehen.

Frage: Welche Ungereimtheiten gibt es bezüglich der PCR-Tests?

Antwort: Vor allem der positive Test vom 16. Dezember, mit dem Djokovic seine Ausnahme von der Impfpflicht begründet, wirkt rätselhaft. Laut Gerichtsunterlagen stand das Ergebnis am Abend fest – an den folgenden beiden Tagen nahm Djokovic aber an Veranstaltungen teil, zumindest teilweise ohne Maske. Zudem gibt es Zweifel an der Authentizität des positiven Tests. Ein Antikörpertest, auf den Djokovic im Gespräch mit Grenzbeamten verwies, ist in der eidesstattlichen Erklärung nicht zu finden.

Frage: Welche Konsequenzen drohten Djokovic?

Antwort: Noch immer stehen der erneute Entzug des Visums und die Ausweisung aus Australien im Raum. Einwanderungsminister Alex Hawke prüft aufgrund der umstrittenen Ausnahmegenehmigung von der Impfung. Bei einem annullierten Visum drohen bis zu drei Jahre Einreiseverbot. Auch in Serbien könnte es Ungemach geben: Premierministerin Ana Brnabic erklärte der BBC, dass es einen "klarer Verstoß" gegen die Isolationsregeln bedeute, wenn Djokovic im Wissen um ein positives Ergebnis in der Öffentlichkeit aufgetreten wäre.

Frage: Wann war mit einer Entscheidung zu rechnen?

Antwort: Djokovics Anwälte legten zusätzliche Informationen vor, die das Verfahren hinauszögern. Zudem will sich Minister Hawke australischen Medienberichten zufolge nicht unter Zeitdruck setzen lassen, auch wenn sich das ordnungsgemäße Verfahren noch über Tage hinziehen sollte.

Frage: Wie erklärt sich die Machtfülle von Minister Hawke?

Antwort: 2001 gewann der damals regierende Premierminister John Howard, der Vorsitzende der konservativen Liberal Party of Australia, mit dem Spruch "Wir entscheiden, wer in dieses Land kommt und unter welchen Bedingungen" erneut die Wahl. Dieser unerwartete Erfolg eines für Kritiker klaren Appells an den im Volk versteckten, aber ausgeprägten Rassismus wurde fortan zum Treiber konservativer Asylpolitik. Die weitreichenden Rechte des Immigrationsministers reflektieren den Willen des Gesetzgebers, wonach der Minister die Möglichkeit haben müsse, in Fällen, die außerhalb üblicher Einwanderungsanträge stehen, einen Entscheid treffen zu können.

Der Entscheid müsse "im nationalen Interesse" liegen, heißt es. Während die Minister sozialdemokratischer Regierungen im Lauf der Jahre das "ministeriale Ermessen" selten nutzten und Einzelne sogar versucht hatten, ihre eigenen Rechte zu beschneiden, entscheiden Amtsträger der konservativen Partei regelmäßig persönlich über das Schicksal von Antragstellern. Flüchtlingsorganisationen kritisieren, das Gesetz sei gerade unter der Regierung des aktuellen Premierminister Scott Morrison zu einem Instrument der Abschreckung verkommen – Teil der sogenannten "Politik der Grausamkeit".

Frage: Welche sportlichen Folgen hätte das Fehlen von Novak Djokovic bei den Australian Open?

Antwort: Bei Gewinn des zehnten Titels in Melbourne wäre Djokovic mit 21 Major-Siegen alleiniger Rekordler. Spielt Djokovic gar nicht, könnte er dagegen nach knapp zwei Jahren als Nummer eins der Weltrangliste abgelöst werden. Der Deutsche Alexander Zverev oder der Russe Daniil Medwedew könnten mit dem Titelgewinn vorbeiziehen. (Urs Wälterlin, Sigi Lützow, 12.1.2022)