Starre Konstellationen, gegen die nur Rebellion hilft: Kristen Stewart als Prinzessin Diana in Pablo Larraíns Film "Spencer".

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Lady Diana Spencer lässt sich gerne Zeit. In Pablo Larraíns Film über die Prinzessin, die von Medien und dem britischen Königshaus unter Druck gesetzt wird, ist dies das deutlichste Zeichen ihres Widerwillens, sich an das strenge Protokoll zu halten. Mit fast jugendlicher Beharrlichkeit rebelliert sie in Spencer gegen ein Bild, das allen gehört, nur nicht ihr selbst.

Der Chilene Larraín, der seit einigen Jahren schon international Filme macht, ist selbst Sohn eines bekannten Politikerehepaars. Nach Jackie (2016), in dem es um die Ehefrau von Kennedy ging, beschäftigt er sich nun zum zweiten Mal mit einer äußerst exponierten Frauenfigur: Diesmal wählte er ein kleines Zeitfenster, nur ein paar Weihnachtstage von 1991, an denen sich Diana befreit. Die Rolle Dianas mit Kristen Stewart zu besetzen ist klug: Auch diese kämpfte gegen ihr (Star-)Image (aus Twilight) und erfand sich als Schauspielerin neu.

NEON

STANDARD: In "Jackie" haben Sie schon einmal eine Frau in einem Machtgefüge porträtiert. Was verbindet die Filme, und wo liegen die Differenzen zwischen Jackie Kennedy und Diana?

Larraín: Sowohl die Filme als auch die Figuren haben Ähnlichkeiten – es geht um zwei Frauen, die für mich die zweite Hälfte der Geschichte des 20. Jahrhunderts mitgeformt haben. Sie wurden durch die Medien geprägt, und sie prägten selbst die Medien; es waren Frauen, die mit sehr mächtigen Familien und Ehemännern in Verbindung standen. Aber sie haben beide auch eine eigene Stimme und ihr eigenes Bild gefunden. Sie haben das, was sie liebten, beschützt – vor allem ihre Kinder. Natürlich haben sie auch eine tragische Seite. In Jackie geht es mehr um Erinnerung und eine Idee von Vermächtnis, Spencer dreht sich mehr um Mutterschaft und Fragen der Identität.

STANDARD: Als öffentliche Figur ist Diana mit vielen Projektionen besetzt, sie galt als "Prinzessin der Herzen". Mussten Sie sich für den Film zunächst von bestimmten Bildern befreien?

Larraín: Egal, wie weit man sich von Diana entfernt, man findet immer etwas, was einen mit ihr verbindet. Das ist so faszinierend an ihr. Als ich aufgewachsen bin, sah ich, wie sehr sich meine Mutter für sie interessiert hat – sogar in Chile. Als Diana dann 1997 gestorben ist, merkte ich erst, dass meine Mutter nur eine von sehr vielen war. Wenn man sich mit einer so universellen Figur beschäftigt, muss man spezifisch bleiben; und wenn es Aspekte gibt, die man nie über sie wissen wird, behilft man sich mit Fiktion.

STANDARD: Sie nützen einen engen Rahmen, Weihnachten 1991, erzählen dann aber gerade nicht naturalistisch davon. Der Film hat auch viel von einer Fantasie.

Larraín: Sobald man eine Perspektive richtig einnimmt, eine Sicht teilt, wird diese auch zur Erfahrung des Publikums. Da benützt man dann schnell Begriffe wie Fantasie: Aber in Wirklichkeit sind wir doch alle von Vorstellungen oder Erinnerungen umgeben. Oft ist es nur ein Bild oder eine Farbe, die in unserem Kopf etwas auslöst. Ich hatte den Wunsch, das Publikum mit Dianas Sicht zu konfrontieren, und ja, das ist eine Übung in Fiktion. Wir wissen nicht, was sie wirklich gesehen hat. Aber warum nicht spekulieren!

"Dass man Diana nie ganz verstehen konnte, machte sie für mich so interessant.": Pablo Larraín mit Hauptdarstellerin Kristen Stewart.
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STANDARD: Was hat Sie speziell an dieser Phase interessiert? Die Entfremdung gegenüber der königlichen Familie ist schon groß. Sie zeigen eine Krise, die zu implodieren scheint.

Larraín: Jedes Biopic ist eine Erfindung, man fängt das Leben eines anderen in Wahrheit nie ein. Das heißt, es kann immer nur um eine Sensibilität gehen, die man mit dem Publikum teilen will. Diese schwierige Krise brachte Diana dazu, eine Entscheidung zu treffen, die für ihr Leben ungemein relevant war. Sie hat um ihre eigene Identität gekämpft, also dafür, das zu sein, was sie sein wollte, und entschied sich dazu, die Familie zu verlassen. Wenn man wissen will, wer man wirklich ist, dann findet man dies nur in der Bewältigung einer Krise heraus. Da agiert man wahrhaftig.

STANDARD: Mit Kristen Stewart konfrontieren Sie einen Star gewissermaßen mit einem anderen Star. Hat Sie die Darstellerin auch deshalb gereizt, weil sie sich beständig neu herausfordern will?

Larraín: Ich muss zu Diana zurückkehren, um die Frage nach Stewart zu beantworten: Was Diana für mich so interessant machte, war der Umstand, dass man sie nie ganz verstehen konnte. Obwohl es so viele Bücher und Dokumentationen über sie gibt, ist sie von Geheimnissen umgeben. Niemand wusste genau, wer sie war. Das liegt auch an ihrer rätselhaften Persönlichkeit. Kristen konnte das porträtieren. Ich hatte sie seit Olivier Assayas’ Personal Shopper im Blick, weil ich da jemanden sah, der ein Innenleben vermitteln konnte, das Neugierde weckt.

STANDARD: Stewart verschwindet aber in ihrer Rolle nicht komplett, sie verleiht Diana eine spielerische, fast aufmüpfig-punkige Seite.

Larraín: Sie ist jedoch ganz sie selbst dabei. Diana musste sich allein gegen die Unterdrückung wehren. Sie musste erst verstehen, dass sie nicht in den Mühlen der Geschichte und Tradition gefangen bleiben will. Sie musste sich gegen die Institution stemmen, die sie zwar respektierte, aber von der sie kein Teil werden wollte. Es ist schwierig, dabei nicht den Anker zur Realität zu verlieren. Es ging darum, alles wirklich auf die Spitze zu treiben, bis ins Körperliche. Das weckt eine Kraft in dir, und Kristen hat das. Deshalb nimmt man Anteil an ihr.

STANDARD: Apropos Institution: Markant ist, dass Sie die königliche Familie nur streifen.

Larraín: Die Institution ist überall, nicht nur in der Queen, in Charles und dem Rest der Familie. Sie ist im Gebäude, in Dianas Verpflichtungen, überall. Deswegen fand ich es so lohnend, den Fokus mehr auf die intimen Begegnungen mit dem Dienstpersonal zu verlegen, mit dem Koch, dem Hausverwalter, auch mit den Kindern. Die Familie wird zum Hintergrund. Zum Kontext. Das funktioniert gut, weil manche Dinge nicht ausgesprochen werden müssen. Und aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Diana war imstande, Beziehungen mit Menschen einzugehen, bei denen sie sich wahrhaftig fühlte. Wenn sie zu Maggie, ihrer Ankleiderin, spricht, war sie nicht in einer Rolle. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 13.1.2022)