Der Hauptangeklagte Anwar R. beim Prozessauftakt im April 2020.

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Yasmen Almashan hält vor dem Gericht in Koblenz – wie auch andere Aktivistinnen und Aktivisten – Bilder von Folteropfern des Regimes hoch.

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Koblenz – Im laut der deutschen Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess wegen staatlicher Folter in Syrien wurde am Donnerstag der Hauptangeklagte schuldig gesprochen. Anwar R. muss wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Jahren 2011 und 2012, also in der Anfangsphase des syrischen Bürgerkriegs, lebenslang in Haft. Die Bundesanwaltschaft hat die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragt. Das macht es fast unmöglich, dass der Angeklagte nach 15 Jahren wieder auf freien Fuß kommen kann.

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der 58-Jährige in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdiensts in der syrischen Hauptstadt Damaskus als Vernehmungschef für die Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen ist. 27 Gefangene sind gestorben. Ursprünglich war R. wegen 58 Morden angeklagt.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft, die in dem Prozess die Anklage führte, hatte der Angeklagte früher im berüchtigten Al-Khatib-Gefängnis in der syrischen Hauptstadt Damaskus als militärischer Befehlshaber gewirkt. Unter seinem Kommando waren demnach zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Viele Gefangenen starben durch die Misshandlungen.

"Caesar-Files" als Beweise

Als Beweismittel wurden über 28.000 Fotos vorgelegt, durch die mehr als 6.000 Foltertote identifiziert werden konnten. Die Dateien, die unter dem Namen "Caesar-Files" im Jahr 2014 an die Öffentlichkeit gelangten, wurden von einem Militärfotografen aus Syrien geschmuggelt. Sein Deckname: Caesar.

Die Verteidigung hatte einen Freispruch gefordert, der Angeklagte bezeichnete sich als unschuldig: Er habe nicht gefoltert und auch keinen einzigen Befehl dazu erteilt. Er habe im Gegenteil sogar für die Freilassung von Demonstranten des Arabischen Frühlings gesorgt. Insgeheim habe er mit der syrischen Opposition sympathisiert und sie nach der Flucht aus seiner Heimat unterstützt.

China und Russland gegen internationale Verfolgung

Das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht erlaubt es einzelnen Staaten, mögliche Kriegsverbrechen von Ausländern an ihren Gerichten zu verfolgen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag konnte den Prozess nicht beheimaten, da Syrien kein Mitglied ist. Und im UN-Sicherheitsrat – der Den Haag einen Ermittlungsauftrag geben könnte – sperrten sich Russland und China dagegen.

Anwar R. und der frühere Mitangeklagte Eyad A. waren nach ihrer Flucht in Deutschland von mutmaßlichen Folteropfern erkannt und 2019 in Berlin und Zweibrücken festgenommen worden.

Eyad A. wurde vom OLG bereits im vergangenen Jahr zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Er hatte nach Überzeugung der Richter in Syrien 2011 dazu beigetragen, 30 Demonstranten ins Foltergefängnis des Hauptangeklagten zu bringen. (APA, red, 13.1.2022)