Wien Polizeipräsident zog in einem ausgedehnten Interview mit der Austria Presseagentur (APA) umfassend Bilanz – auch zu Gewalttaten in Wien.

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Die Zahl an ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverboten hat in Wien im vergangenen Jahr erneut zugenommen. Während es 2019 noch 2.500 derartige Maßnahmen gab, waren es 2020 etwa 3.400, im letzten Jahr dann 4.200, wie der Präsident der Landespolizeidirektion Wien, Gerhard Pürstl, in einem Interview mit der APA am Donnerstag sagte. Das entspricht einer Steigerung von 23,5 Prozent in einem Jahr.

Ein Plus von 20 Prozent innerhalb von zwei Jahren gibt es bei den Anzeigen wegen Gewalt in der Privatsphäre: 2018 wurden 5.314 derartige Delikte in Wien angezeigt, 2019 waren es 5.704 und 2020 schließlich 6.409 derartige Delikte. Die Zahlen für 2021 gibt es noch nicht.

Pürstl kann Zuwächsen Positives abgewinnen

Für Pürstl sind diese Zuwächse ein Zeichen dafür, dass die Polizei in Wien sehr viel in Sachen Gewaltprävention tue. Die Betretungs- und Annäherungsverbote seien gestiegen, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so weit sensibilisiert wurden, so Pürstl.

Seit 2021 gebe es etwa einen Support für Fälle von Gewalt in der Privatsphäre: Hier können Beamtinnen und Beamte der Polizeiinspektionen, die bei Gewaltdelikten in der Privatsphäre praktisch immer die ersten Ansprechpartner oder Einschreitenden sind, anrufen – der Journaldienst unterstützt dann bei der Erstellung einer Gefährdungsprognose. Gehen die Beamtinnen und Beamten nach dieser Analyse von einer Gefahr aus, werden die entsprechenden Personen weggewiesen. Das war laut den von Pürstl kommunizierten Zahlen 2021 rund zwölf Mal jeden Tag der Fall.

Lob für Beratungen für Gefährder

Seit September letzten Jahres müssen Gefährder – laut Polizei in den allermeisten Fällen Männer – sich innerhalb von fünf Tagen für eine insgesamt sechsstündige Gewaltberatung anmelden, die dann auch unmittelbar über die Bühne gehen soll. In Wien wird dies über den Verein Neustart, der seit vielen Jahren im Auftrag des Justizministeriums Bewährungshilfe, aber auch Antigewalttrainings für Männer anbietet, abgewickelt.

Der Polizeipräsident ist mit dem Projekt mehr als nur zufrieden. "Eine Betreuung des Täters oder des Gefährders kann helfen, Opfer zu vermeiden. Wenn der Betreffende nicht hinkommt, kann die Sicherheitsbehörde durch Bescheid eine Vorladung veranlassen. Ich glaube, das ist ein Meilenstein oder ein ganz wesentlicher Beitrag bei der Vorbeugung von Gewalt in der Privatsphäre."

Auch Verein Neustart mit positiver Bilanz

Auch bei Neustart fällt das erste Resümee positiv aus: "Die Gewaltpräventionsberatung schließt eine Lücke, da wir zeitlich nah zum Polizeieinsatz mit unseren Klienten zu arbeiten beginnen können. Die Zusammenarbeit mit der Polizei funktioniert sehr gut. Das heißt, wir bekommen schon wenige Stunden nach dem Einsatz die entsprechenden Zuweisungen", sagt ein Sprecher dem STANDARD.

Neben Wien wickelt Neustart die Beratungen auch in vier weiteren Bundesländern ab. Seit 1. September habe man rund 3.300 Zuweisungen erhalten. 1.300 davon entfallen auf Wien. Um den zusätzlichen Aufwand zu stemmen, sei das Team in Wien um 23 Stellen aufgestockt worden, so der Sprecher.

Elf Menschen getötet, alle Täter männlich

Für insgesamt elf Menschen kam jede Maßnahme bzw. Hilfe zu spät – sie sind Opfer von insgesamt zehn Tötungsdelikten in Wien geworden. Alle seien geklärt, heißt es von der Polizei. Die Tatorte waren demnach neunmal im privaten Wohnbereich und einmal am Arbeitsplatz.

Bei allen zehn Tötungsdelikten sind die Täter männlich. Die Opfer waren in neun Fällen Frauen, einmal war es ein Kind, und einmal gab es ein männliches Opfer. Viermal waren Täter und Opfer zum Tatzeitpunkt in einer Beziehung, dreimal handelte es sich um Expartner, in vier Fällen um eine Bekanntschaft.

Pürstl überrascht

Wien liege mit den Zahlen zu Tötungsdelikten laut Pürstl in etwa im bundesweiten Trend, was durchaus bemerkenswert sei. "Weil Wien eine Großstadt ist", so der Polizeipräsident. Es habe ihn "eigentlich gewundert, dass sich im Bereich der Gewalt in der Privatsphäre die Zahlen, was die schlimmsten Auswirkungen betrifft – nämlich dass es zum Tod kommt –, sich die Waage halten mit ganz Österreich". Immerhin habe in der Großstadt die Polizei "viel weniger Möglichkeiten, im Milieu präventiv tätig zu sein als irgendwo sonst im ländlichen Bereich".

Auch 2020 gab es in Wien zehn Tötungsdelikte, 2019 waren es 15, ein Jahr vorher 22 und 2017 gab es 20 Tötungsdelikte. So niedrige Werte wie 2021 und 2020 gab es zuletzt nur 2014.

Wo wie viele Frauen von Männern getötet wurden

Bei den Tötungen von Frauen durch Männer liegt Wien laut den Zahlen, die DER STANDARD für 2021 recherchiert hat – insgesamt 26 Fälle –, mit neun allerdings klar an der Spitze. In Salzburg waren es demnach fünf Tötungsdelikte, in der Steiermark drei (zwei davon in Graz), in Niederösterreich waren es ebenfalls drei getötete Frauen, zwei Fälle gab es in Vorarlberg und Tirol (beide in Innsbruck), und eine Frau wurde jeweils in Kärnten und in Oberösterreich getötet.

Die Kriminalstatistik für 2021, wo es dann die offiziellen Zahlen geben wird, wird erst in den kommenden Monaten veröffentlicht. (Lara Hagen, 13.1.2022)