Telegram steht seit langer Zeit in der Kritik.

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Maßnahmenkritiker, Corona-Leugner und Verschwörungserzähler haben mit Telegram bereits zu Beginn der Pandemie einen sicheren Hafen für die Vernetzung und Organisation gefunden. Expertinnen und Experten kritisieren, dass Hassrede und Desinformation dort kaum moderiert werden, weshalb auch Rechtsextreme den Messenger zu ihrer Wahlheimat erkoren haben. Immer wieder vermischen sich deshalb die Inhalte der Szenen miteinander – und die Plattform trägt maßgeblich zur Radikalisierung bei.

Anders als bei Whatsapp oder Signal können User auf Telegram nicht nur in privatem Rahmen kommunizieren. Stattdessen gibt es die Möglichkeit, öffentliche Kanäle und Gruppen mit teils hunderttausenden Mitgliedern zu erstellen. Der rechtsradikale Verschwörungserzähler Attila Hildmann erreichte vor der Sperre seines Kanals daher mehr als 100.000 Menschen, bei "Querdenken 711" sind es bis heute knapp 60.000.

Nun scheint jedoch etwas in Bewegung zu kommen. Wie Netzpolitik.org berichtet, hat Telegram mindestens sechs Kanäle und Gruppen von Verschwörungserzählern gesperrt – zumindest für alle, die ein iOS- oder Android-Gerät nutzen. Suche man die Inhalte stattdessen über den Computer, seien sie weiterhin aufzufinden. Irrelevant dürften die Sperren dennoch nicht sein. Ein betroffener Kanal soll laut den Berichterstattern 300.000 Abonnentinnen und Abonnenten haben. Ein nicht unerheblicher Teil der Nutzer dürfte den Messenger über das Smartphone nutzen.

Der Druck steigt

Welche Rolle Telegram in der Radikalisierung von Verschwörungsgläubigen spielt, zeigt ein Extrembeispiel aus Deutschland. Anhänger der "Querdenker"-Bewegung äußerten Ende vergangenen Jahres Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) auf Telegram. DER STANDARD berichtete. Kurz darauf versuchten Impfgegner mit einem Fackelzug bis zum Haus der Mecklenburg-Vorpommer’schen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) vorzudringen. Sie mussten von der Polizei aufgehalten werden.

Derzeit ist noch unbekannt, ob es sich bei den jüngsten Sperren um Einzelfälle oder um den Anfang eines strikteren Vorgehens gegen Verschwörungsideologen handelt. Eine STANDARD-Anfrage an Telegram läuft derzeit. Klar ist allerdings, dass der Druck auf den Messenger steigt. Die Gewaltandrohung gegenüber Politikern rief inzwischen immerhin auch die deutsche Regierung auf den Plan. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte ein härteres Vorgehen gegen Gewalt und Hetze auf der Plattform an. Thüringens Innenminister (SPD) stellte sogar die Möglichkeit eines Geoblockings in den Raum.

Nicht erreichbar

Problematisch macht den Messenger unter anderem sein Aufbau: Im Vergleich zu sozialen Medien wie Facebook ist die Kommunikation auf Telegram direkter und schneller. Man tauscht sich mit teils tausenden unbekannten Menschen in einer Gruppe aus. Auf Äußerungen erhält man direktes Feedback inklusive Push-Benachrichtigungen.

Hinzu kommt, dass die Gruppen und Kanäle nicht geschlossen agieren. Per Knopfdruck können Beiträge anderer Akteure geteilt werden – wodurch diese ein neues, stetig wachsendes Publikum erschließen. Nicht selten kommt es deshalb vor, dass man rechtsextremistische Botschaften aufgetischt bekommt, obwohl man gar nicht aktiv nach diesen gesucht hat.

Rechtlich gesehen war das Problem außerdem lange, dass Telegram als Messenger – und nicht als soziales Netzwerk – definiert wurde. Dabei handelt es sich wegen der Möglichkeit, öffentliche Gruppen zu erstellen, um einen Hybrid.

Social-Media-Plattformen fallen in Deutschland unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Netz-DG), das Plattformen zur Löschung relevanter Inhalte verpflichtet. Ab dem 1. Februar sollen Betreiber laut diesem rechtswidrige Inhalte aus dem Bereich der Hasskriminalität sogar an das Bundeskriminalamt melden. Inzwischen ordnet die deutsche Regierung auch Telegram als soziales Netzwerk ein. Laut der österreichische Regulierungsbehörde für Rundfunk und audiovisuelle Medien (KommAustria) ist der Messenger außerdem dem Kommunikationsplattformengesetz (KoPl-G) unterworfen.

Das Problem? Telegram hat seinen Firmensitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Auf Schreiben im Rahmen zweier aktuell laufender deutscher Bußgeldverfahren antworteten die Verantwortlichen bisher einfach nicht – was die Umsetzung möglicherweise strikterer Regulierungen unmöglich macht.

Löschung durchaus möglich

Auf entsprechenden Druck reagierte Telegram in der Vergangenheit aber durchaus. Wie DER STANDARD berichtete, wurden zum Beispiel im Rahmen einer Europol-Operation 2019 mehr als 43.000 Bots und Kanäle gelöscht, die mit der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Verbindung standen. Zusätzlich gibt es immer wieder Spekulationen, dass der Messenger vor allem dann zu Sperren greift, wenn große Tech-Konzerne Druck ausüben.

Immerhin kontrollieren Amazon, Google und Microsoft fast den gesamten Cloud-Hosting-Markt, der für den Betrieb von Webseiten notwendig ist. Will man eine App auf iPhones und iPads bringen, kommt man zudem an Apple nicht vorbei. Zwar erlaubt Android alternative App-Stores, der Großteil der Nutzerbasis greift aber auf Googles Play Store zurück. Am Beispiel der Löschung des rechten Netzwerks Parler hat man erst letztes Jahr gesehen, dass die Konzerne mitunter kurzen Prozess machen.

Mächtige Konzerne

Googles und Apples Marktmacht soll laut Netzpolitik.org auch im Fall der jüngsten Sperren von Bedeutung sein. Beide Unternehmen legen in den App-Store-Richtlinien die Notwendigkeit einer wirksamen Moderation von Nutzerinhalten fest. Laut Google müssen Apps außerdem "ein nutzerfreundliches System zum Melden unangemessener von Nutzern erstellter Inhalte umfassen". Apple stellt klar, dass Anbieter ihren Nutzern Kontaktinformationen bereitstellen müssen.

Eine Entfernung aus den größten App-Stores würde Telegrams Reichweite jedenfalls erheblich einschränken, werfen die Berichterstatter auf. Ob eine solche zur Debatte steht, weiß man derzeit allerdings nicht. Fürs Erste kann man also nur mutmaßen, ob es sich bei den jüngsten Sperren tatsächlich um den Startschuss für eine striktere Inhaltsmoderation handelt – oder doch bloß um Einzelfälle. (Mickey Manakas, 13.1.2022)