Eine Schwedin, die nach Los Angeles zieht, um Pornostar zu werden: Bella Cherry (Sofia Kappel) beginnt in "Pleasure" ganz unten, lernt dann aber schnell dazu.

Foto: Filmladen

Bei der Grenzkontrolle in den USA wird die junge Frau gefragt, was der Grund ihres Aufenthalts sei: "Business or pleasure?" "Pleasure", antwortet sie mit kokett ausdruckslosem Gesicht. Mit derselben Miene wird sie später das Wort "innocence" ("Unschuld") aushauchen, das ihr ein Produzent wie einen Geheimcode zuflüstert. Jung, naiv, zu (fast) allem bereit und auch noch eine blonde Schwedin – da denkt man, das klingt in der Pornoindustrie fast schon wie ein Freibrief für Erfolg.

Filmladen Filmverleih

Doch das Geschäft mit Sex ist harte Arbeit, und ein Vergnügen ist ein Pornodreh eben auch nicht. Ninja Thybergs Spielfilm Pleasure führt stattdessen vor, wie viel Selbstdisziplin es benötigt, um beim Filmakt nicht nur die eigene Anstrengung, sondern so etwas wie Erregung zu vermitteln. Als Vorspiel ist in der "berechenbar vulgären Branche", wie sie David Foster Wallace einmal nannte, laufend Optimierung gefragt. Nicht nur wollen Techniken mithilfe von Bananen perfektioniert oder die Scheu vor Analverkehr mit respekteinflößenden Plugs abgebaut werden – es braucht auch den richtigen Biss.

Hybride Form

Den hat die 19-jährige Linnéa (Sofia Kappel), die unter dem Pseudonym Bella Cherry in Los Angeles zum Pornostar aufsteigen will, auf jeden Fall. Nach dem ersten Dreh stellt sie gleich ein Selfie mit ihrem spermabespritzten Mund ins Netz. Thyberg dringt mit ihrer Protagonistin ganz unten in die Industrie ein. Es ist der klassische Weg eines Rookie, einer Anfängerin. Am Anfang ist die Bezahlung noch schlecht, aber immerhin der Ton unter den Frauen recht herzlich. Das wird sich umkehren.

Um den Realismusgehalt von Pleasure hochzuhalten, haben Thyberg und Kappel monatelang in der Szene recherchiert. Die Kontakte wurden auch genützt, um den Cast mit Darstellern und Realpersonen aus der Industrie anzureichern: etwa mit dem erfolgreichen Agenten Mark Spiegler, einem grobschlächtigen Kerl, dessen Mädchen jedoch als "Supermodels" des Metiers gelten. Durch seine hybride Form, die stärker stilisierte Spielszenen mit dokumentarischer Sprödigkeit kontrastiert, gewinnt der Film deutlich an Authentizität.

Ressentiments und Zicken

Pleasure zeigt, wie heterogen die Welt des Pornos ist. Sie ist in Ligen aufgeteilt, die sich sogar auf Partys nicht zu nahe kommen dürfen. Die einen sitzen blasiert in der VIP-Zone, die anderen lassen sich gehen. Eine Klassengesellschaft, in der die Ressentiments zickenhaft ausgetragen werden. Der Fokus von Thyberg bleibt jedoch konsequent auf die Arbeit gerichtet. Selbst neoliberale Selbstvermarktung entgeht ihr nicht: Networking ist genauso unentbehrlich wie ein Instagram-Account mit vielen Followern.

Linnéa versteht die Lektion und weitet ihre Betätigungsfelder auf härtere Gangarten aus, um sich ein Distinktionsmerkmal zu verleihen. In der Gegenüberstellung zweier solcher Sexszenen schärft Pleasure seine geschlechterpolitische Perspektive noch einmal nach. Während ein BDSM-Dreh unter der Regie einer Frau trotz Bondage wie ein Beispiel an Umsicht erscheint, verschwimmen beim nächsten Mal die Grenzen zwischen einer gespielten und einer realen Vergewaltigung.

Thyberg zeigt auf, wie unterschiedlich die Produktionsumstände im Pornobusiness sind. Safe Zones gibt es keine. Linnéas Lehrjahre bleiben vielleicht etwas zu rudimentär, den Vorwurf, dass er sich an seinen Bildern weidet (oder über die Branche urteilt), kann man dem Film jedoch nicht machen. (Dominik Kamalzadeh, 14.1.2022)