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Ungarn will der galoppierenden Inflation mit amtlichen Preisen beikommen. Betroffen sind Fleisch, Zucker, Öl, Mehl und Milch.

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Budapest – Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orbán hat eine Preisbremse für sechs Grundnahrungsmittel angekündigt. Die Verkaufspreise für Kristallzucker, Weizenmehl, Sonnenblumenöl, Schweinskeulen, Hühnerbrüste und Milch mit 2,8 Prozent Fettgehalt würden mit Stand 15. Oktober 2021 eingefroren, teilte Orbán in einem Video auf seiner Facebook-Seite mit. Die Regelung trete mit 1. Februar in Kraft.

Kanzleramtsminister Gergely Gulyás schob eine Erläuterung zur Ermittlung der Stichtagspreise nach. "Ausschlaggebend ist der am 15. Oktober in der elektronischen Registrierkasse des jeweiligen Geschäfts gespeicherte Preis", sagte er vor Journalisten in Budapest. Die Preisbremse werde für drei Monate gelten und sei verlängerbar. Die Einhaltung werde kontrolliert, Verstöße würden schwer bestraft.

Schleichender Kursverfall

Tatsächlich hat sich in Ungarn infolge globaler Entwicklungen und der Pandemie nahezu alles verteuert. Der schleichende Kursverfall der Landeswährung Forint, gewiss auch Zeichen des Misstrauens der Märkte gegenüber Orbáns voluntaristischer Wirtschaftspolitik, trägt sein Scherflein dazu bei. Menschen mit niedrigen Einkommen spüren die steigenden Preise am deutlichsten.

In den fast zwölf Jahren seiner Herrschaft waren Orbán ärmere Menschen weithin egal. Jetzt aber stehen Wahlen ins Haus, die härter umkämpft sein und knapper entschieden werden dürften als alle bisherigen Urnengänge seit 2010. Denn erstmals rang sich die Opposition von links bis rechts, liberal bis grün dazu durch, mit einer gemeinsamen Liste, gemeinsamen Direktkandidaten und einem gemeinsamen Spitzenkandidaten, dem konservativen Proeuropäer Péter Márki-Zay, gegen die Orbán-Partei Fidesz anzutreten.

Keiner in Budapest hegt Zweifel daran, dass Orbán die exakt getimte Preisbremse mit Blick auf die Wahl auf den Weg gebracht hat. Erst am Dienstag hatte Staatspräsident János Áder den Termin für die nächste Parlamentswahl auf den 3. April festgesetzt. Ungarns Verfassung lässt dafür nicht viel Spielraum, Áder wählte das frühestmögliche Datum.

"Offenbarungseid"

Orbáns Ankündigung der Preisbremse löste entsprechende politische Reaktionen aus. Damit habe der Regierungschef einen "Offenbarungseid auf den tragischen Zustand der ungarischen Wirtschaft geleistet", schrieb Oppositionsführer Márki-Zay auf seiner Facebook-Seite. "Eine Regierung, die sich nach zwölf Jahren des Regierens mit einer (parlamentarischen) Zweidrittelmehrheit erst in den letzten zwölf Wochen mit den Warenpreisen beschäftigt, muss abtreten." Statt mit einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik wolle Orbán der galoppierenden Inflation "mit amtlichen Preisen beikommen".

Der Einzelhandel zeigte sich bestürzt. "Man ruiniert uns kleine Greißler", zitierte das Portal propeller.hu einen Betroffenen. "Wo man kann, tritt man auf uns ein. Im Wettbewerb gegen die großen Multis haben wir keine Chance. Schon bisher lief es nicht gut für uns, aber wir klagten nicht. Doch das war jetzt ein Schlag in die Magengrube."

Andere Portale versuchten, die Auswirkungen für die Konsumenten abzuschätzen. In den drei größten Supermarktketten stiegen die Lebensmittelpreise seit Jänner 2021 um 17,8 Prozent, ermittelte privatbankar.hu. Die Preisbremse mit Stichtag 15. Oktober könnte bei den betroffenen Waren Preissenkungen zwischen vier und 26 Prozent bringen. Diese ist Teil einer weit ausgreifenden Strategie, die Orbáns Abwahl verhindern soll. Schon Ende des Vorjahres fixierte er die Obergrenze für den Benzinpreis – mit 479,90 Forint (1,35 Euro) pro Liter bleifreien Sprits (95 Oktan).

Sorge ums Budget

Enorm sind die geldwerten Wahlgeschenke, die auf die Ungarn niederregnen. Familien mit unterhaltspflichtigen Kindern erhalten – bis zu einem gedeckelten Höchstwert – die gesamte Einkommenssteuer zurückerstattet, die sie 2021 bezahlt haben. Menschen unter 25 Jahren sind von der Einkommenssteuer befreit. Die Pensionisten erhalten jetzt eine 13. Monatspension. Polizisten, Soldaten, Lehrer und Gesundheitsbedienstete können mit Sonderzahlungen rechnen. Wirtschaftsforscher beobachten mit Sorge, wie indes das Budgetdefizit beständig wächst. (Gregor Mayer, 14.1.2022)