Dank neuer Zugkontrolltechnik soll die Wiener Schnellbahn-Stammstrecke leistungsfähiger und von mehr Zügen frequentiert werden können.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Nach Jahren des überaus zähen Vorankommens kommt der Ausbau des Zugsicherungssystems ETCS bei der ÖBB wieder in Schwung. Heuer wird laut Verkehrsministerium Equipment des European Train Control System (ETCS) im Wert von rund 25 Millionen Euro angeschafft. Vorrang hätten bei der Modernisierung die Südbahn und die Wiener S-Bahn-Stammstrecke, dort gibt es Kapazitätsengpässe.

Nicht inkludiert sind in dieser ersten Tranche jene Kosten, die bei der ÖBB für Einbau und Schulungen anfallen. Das ist aber erst der Anfang. Denn um den im Zielnetz 2025+ fixierten Netzausbau hinzubekommen, sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Die neue Pottendorfer Linie, auf der künftig die Schnellzüge bis Wiener Neustadt verkehren, muss ebenso mit ETCS ertüchtigt werden wie die klassische Südbahn nach Graz.

Neue Signale

Vereinfacht ausgedrückt geht es um elektronische Bahnwärter, also Signalsysteme, über die die Fahrerlaubnis ebenso erteilt wird wie Stopps und vor allem: Es werden Mindestabstände zwischen den Zügen festgelegt. Geschieht ein Vorfall, werden nach- oder entgegenkommende Züge über Sender in Gleisanlagen und Lokomotiven automatisch gestoppt.

Das Gesamtvolumen des Rahmenvertrags für die neue Technologie wird in Branchenkreisen auf 385 bis 400 Millionen Euro taxiert, die Vergabe erfolgte 2019. Den Zuschlag hat der Bahnausrüster Siemens Mobility in der Tasche. Aufgrund der Anfechtung durch die nicht zum Zug gekommene Konkurrenz wurde der Deal aber erst im Sommer 2021 rechtskräftig. Abgerufen wurde bis dato aber noch keines der Teillose.

Aufholbedarf

Österreich hat bezüglich ETCS einiges an Aufholbedarf, der dazugehörige Plan stammt aus dem Jahr 2017. Denn im Gegensatz zur Schweiz, in der Züge auf dem hochrangigen Schienennetz seit mehr als zehn Jahren mit ETCS-Level 2 unterwegs sind, ist die europäische Norm in Österreich nicht einmal auf der Weststrecke durchgängig implementiert. Im Einsatz ist auf dem Fleckerlteppich das wohl kompatible ETCS-Level 1, teils fährt man aber noch mit Vorgängertechnologien wie dem Linienzugbeeinflussungssystem (LZB) oder, wie bei der Wiener Schnellbahn, gar mit PZB, bei der die Zugbeeinflussung an Punkten erfolgt (ohne Geschwindigkeitsprüfeinrichtung).

Europa in Verzug

Aber nicht nur Österreich hinkt hinterher. Laut der EU-Kommission liegen die EU-Mitgliedsstaaten weit hinter Plan, insgesamt waren gemäß Monitoring 2020 gerade einmal 78 Prozent des 2019 angepeilten Zieles implementiert. Bis 2023 sollten 15.682 Schienenkilometer mit ETCS ausgerüstet sein, davon wurden bis 2020 nur 38 Prozent realisiert.

Eine Nachrüstung mit ETCS braucht übrigens auch der Hauptbahnhof Wien. Er ist zwar noch keine zehn Jahre in Betrieb, operiert aber mit dem alten Hauptstellwerk am Matzleinsdorfer Platz, das damals lediglich erweitert wurde.

180 Millionen bis 2026

Nun soll es endlich losgehen. Bis 2026 werden laut dem Plan des Ministeriums, das für Infrastrukturfinanzierung verantwortlich zeichnet, insgesamt 180 Millionen investiert. Davon rund 100 Millionen wurden beim aktuellen Förderaufruf der EU (CEF-T) eingereicht.

Konfektionsware von der Stange wird übrigens nicht eingebaut. Mit der Materie befasste Insider kritisieren, dass unter Regie der zuständigen Sektionsleiterin Verkehr, Judith Engel, bis Weihnachten an "Abweichungen" gearbeitet wurde, die nun beim ETCS-Einbau eigene Genehmigungsverfahren (und damit Kosten) nach sich ziehen würden, wobei es sich dabei nicht um Technisches handelt. Die Interoperabilität sei gewährleistet.

Compliance?

Umsetzen darf diese Spezifikationen der betrieblichen Vorschriften jedenfalls ebendiese Sektionsleiterin a. D., sie wechselte zu Jahreswechsel wie berichtet in den Vorstand des Teilkonzerns ÖBB-Infrastruktur AG.

Im Ministerium stellt man allfällige Verstöße gegen Compliance in Abrede. Es handle sich nicht um technische Abweichungen, sondern "allenfalls um nationale Spezifikationen bei den betrieblichen Vorschriften". Genehmigungsverfahren seien jedenfalls notwendig, weil die jetzige ETCS-Streckenausrüstung nicht – wie früher – im Gesamtverfahren für Neubaustrecken mitgenehmigt werde, wird betont. Und: Engel habe in ihrer Zeit als Sektionschefin kein Genehmigungsverfahren durchgeführt, die zuständigen Behörden agierten unabhängig. Eine Cooling-off-Phase zwischen Aufsicht und Exekutive hält man offenbar nicht für notwendig. (Luise Ungerboeck, 14.1.2022)