Viele Straßen könnten verschmälert, Parkplätze durch natürlicheren Belag ersetzt werden.

Illustration: Fatih Aydogdu

Österreichs Natur schrumpft mit jedem Tag. Neue Wohnungen, Parkplätze, Industriegebiete, Straßen – all das braucht Platz. Täglich werden so rund 13 Hektar Land verbraucht – ein Spitzenwert in Europa. Die Hälfte davon wird versiegelt oder, salopp gesagt, zubetoniert. Diese Flächen sind dann kein Lebensraum mehr, auf ihnen wächst keine Nahrung, sie heizen sich rasch auf und nehmen kaum Wasser oder CO2 auf.

Dass Österreich zu viel versiegelt, ist mittlerweile in der öffentlichen Diskussion angekommen. Laut Regierungsprogramm will man die Bodenversiegelung eindämmen, etwa bis 2030 die Flächeninanspruchnahme auf 2,5 Hektar pro Tag senken. Mittelfristig will man dieses ambitionierte Ziel auch durch die Entsiegelung von Flächen erreichen.

Dabei entfernt man Asphalt, Beton und fallweise Schadstoffe, lockert den Boden und trägt neuen auf. So sollen ehemalige Asphaltwüsten wieder Wasser aufnehmen, gar als Habitate dienen. Höchste Zeit, meinen Experten. "Wir sind auf einem Niveau, wo es nicht nur um die Vermeidung künftiger Versiegelung geht, sondern um die Rückgewinnung von Flächen", sagt Sibylla Zech, Professorin am Institut für Raumplanung der TU Wien. Doch wie steht Österreich heute bei der Entsiegelung da?

Projekte muss man suchen, ein Register gibt es nicht. Fündig wird man etwa im kärntnerischen Arnoldstein, nahe der italienischen Grenze. Hier wurde 2015 die Landesstraße B83, ehemals Tarviser Straße, um drei Meter verschmälert und wird jetzt von Grünstreifen und Fahrradweg flankiert. "Wenn es sinnvoll ist und die Kapazität es zulässt, denken wir bei Sanierungsarbeiten auch die Entsiegelung mit", erklärt Volker Bidmon, Leiter des Kärntner Straßenbauabteilung.

Schmälere Straßen

Auf eine Länge von insgesamt acht Kilometern werden etwa zwei Fahrstreifen der B70 rückgebaut, Grünstreifen und Radweg entstehen. Auch bei der B93 nahe Weitensfeld und der B83 nahe Wernberg entsiegelt man.

Zwischen 50.000 und 100.000 Euro kostet es, einen Meter Breite auf einem Kilometer Straße zu entsiegeln, schätzt Bidmon. Das tut nicht nur der Natur gut: "Schmälere Straßen verursachen weniger Lärm und durch geringere Geschwindigkeit auch mehr Verkehrssicherheit." Eine schmälere Straße sei außerdem günstiger zu erhalten – etwa im Hinblick auf Schneeräumung und Asphaltieren.

Bei den Verkehrsflächen gibt es das größte Potenzial zur Entsiegelung. Fast 2000 Quadratkilometer sind in Österreich von Straßen und Parkplätzen bedeckt, täglich werden es mehr. Michael Schwendinger vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hebt eine Korrelation hervor: "Niedrigere Tempolimits ermöglichen schmälere Fahrspuren und damit Platz für Entsiegelung ohne Kapazitätseinschränkung. "Fährt man statt 100 Kilometer pro Stunde nur 80, kann man etwa Freilandstraßen um bis zu 20 Prozent verschlanken – und etwa die Ränder bepflanzen.

Wenn Parkplätze nur selten benützt werden, ist oft keine Versiegelung notwendig – so wie hier bei der Messe Salzburg.
Foto: Messe Salzburg/Philipp Habring

Solche Verschmälerungen und Teilrückbauten von Straßen finden Anklang. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des VCÖ möchten rund zwei Drittel der 1.200 Befragten, dass überdimensionierte Straßen verschmälert werden, um Platz für Radwege oder Grünstreifen zu schaffen. Anfragen des Vereins an die Bundesländer zeigen allerdings: Projekte wie jene in Kärnten sind die Ausnahme. Eine Entsiegelungsstrategie für Straßen gibt es bislang in keinem Bundesland.

Auch bei Parkplätzen gibt es Potenzial zum Rückbau. Solche vor Skigebieten oder Messehallen stehen oft viele Monate im Jahr leer. Dort könnte man etwa Rasengittersteine verwenden.

Ökologisch verträglicher sind Schotterrasen, die nach einigen Monaten, aus der Ferne betrachtet, wie eine Wiese anmuten. "Wenn ein Parkplatz nur zeitweilig benutzt wird, gehört er den Rest der Zeit der Natur. Dort können Gräser, Löwenzahn oder Hirtentäschel oder Wildpflanzen blühen. Die bieten wiederum ein Blütenangebot für Bestäuber", erklärt Katja Batakovic, fachliche Leiterin von der Initiative Natur im Garten.

Park statt Parkplatz

Die Bewegung setzt sich für die Ökologisierung von privaten und öffentlichen Flächen ein. Das Land Niederösterreich beschäftigt sich mit sogenannten klimafitten Parkplätzen bei landeseigenen Gebäuden und im geförderten Wohnbau und wird dabei von der Bewegung beraten.

Eine Studie der Wohnbauförderung Niederösterreich zeigt: Parkplätze aus Rasengittersteinen oder Pflaster können um ein Vielfaches mehr an Wasser aufnehmen als Asphalt, was auch die Abwasserkanäle weniger belastet. Hochwasser nach Starkregen könne das nicht verhindern. Aber: "Für Wasserhaushalt und die Artenvielfalt ist alles besser als Asphalt", so Batakovic.

Wie aus einem Parkplatz Neues entstehen kann, zeigt etwa Stefan Gratzl (ÖVP). In seiner niederösterreichischen 1.600-Einwohner-Gemeinde Hafnerbach hat der Bürgermeister ein Vorzeigeprojekt umgesetzt. Auf dem Kirchenvorplatz, wo früher bis zu 15 Autos parkten, wachsen jetzt Silberlinde, Feldahorn und Hainbuchen. "Wir wollten damit das Ortsbild verbessern und ein grünes Zentrum schaffen", so Gratzl. Rund 320.000 Euro hat die Transformation vom Parkplatz zu Park gedauert. Anfangs fragten ihn die Bürger noch, wo denn jetzt die Autos parken sollten. "Aber seit das Grün richtig angewachsen ist, kommt der Park sehr gut an", resümiert der Bürgermeister. "Die Parkplätze fehlen nicht." Auch wenn Hafnerbach in der Ortsmitte zwar entsiegelt, wird am Rand weiterhin Ackerfläche in Baugrund umgewidmet.*

Der Hauptplatz in Hafnerbach vor der Umgestaltung ...
Foto: DI Susanna Freiß, www.pappus.at
... und danach.
Foto: DI Susanna Freiß, www.pappus.at

Auch im 80 Kilometer weiter östlichen Mödling musste Asphalt Rasen Platz machen. Auf dem Areal einer ehemaligen Gendarmerieschule entstand ein Stadtteilplatz. Eine fünfstrahlige Kreuzung wurde entschärft. Heute wachsen auf dem Platz Ginkos, Mehlbeeren und Felsenbirnen.

Anwohner konnten sich an dem Umbauprozess beteiligen, ganz ohne Kritik ging es dennoch nicht. "Es gibt viele Interessen, denen man gerecht werden muss. Den einen ist es zu wenig grün, den anderen zu wenig Parkplatz", sagt Marita Widmann, die das Planungsreferat leitet. Ihr Learning: Projekte funktionieren am besten, wenn man Bürger, Expertinnen und Gemeinderat mitnimmt.

"Viele Gemeinden merken, dass Entsiegelung wichtig ist", sagt Raumplanerin Zech. Tatsächlich anpacken würde das Problem aber bisher noch kaum jemand. Dabei bieten nicht nur Parkplätze, sondern auch alte Betriebsflächen Potenzial. "Es gibt viele alte Industrieflächen, die zu neuen Wirtschaftsstandorten geworden sind. Wo mehr Menschen arbeiten, wohnen oder Gesundheitseinrichtungen angesiedelt und auch Grünflächen entstanden sind", so Zech.

Unbekannter Leerstand

Ein Beispiel findet man in Dornbirn, wo viele Standorte revitalisiert und zum Teil entsiegelt wurden. Auf dem Areal des Rüschwerks, einer ehemaligen Turbinenfabrik, können die Dornbirner jetzt auf Gras unter Bäumen sitzen. Aus Industriefläche entstand ein Stadtpark. Die Prozesse zur Neunutzung von Leerstand sind vorhanden, so Raumplanerin Zech. Das Thema stehe aber noch kaum auf der Agenda. Zudem weiß man nicht einmal, wie viel wirklich leer steht.

Laut Umweltbundesamt sollen 40.000 Hektar an Industrieflächen brachliegen, dazu kommen noch leerstehende Wohngebäude. "Das ist aber eine Dunkelziffer", merkt Gundula Prokop, Expertin für Boden im Umweltbundesamt, an. Sie spricht sich auch für eine Erfassung und Aktivierung von Brachflächen aus, wie in Oberösterreich, wo es schon Förderung für die Umnutzung solcher Flächen gibt. Ab 2022 soll eine bundesweite Förderung kommen. Gesamtvolumen: zwei Millionen Euro jährlich.

Auf Landes- oder Gemeindeebene wird Entsiegelung derzeit nur vereinzelt gefördert. Etwa in Eisenstadt, wo man bei der Entsiegelung und Begrünung privater, öffentlicher und gewerblicher Grundstücke mit bis zu 50 Prozent unterstützt wird. Auch oberösterreichische Gemeinden erhalten im "Gemeinde-Boden-Programm" seit kurzem bis zu 40 Prozent der Kosten für Entsiegelungsprojekte vom Land erstattet.

Dass die neue Förderung kaum in Anspruch genommen wird, führt man auch auf die Pandemie zurück. 2022 will man die Förderschiene aus- und umbauen und noch aktiver auf die Gemeinden zugehen.

Auch das Land Niederösterreich fördert indirekt im Rahmen einer Initiative für den Umbau von Ortszentren und Bewegungszonen auch Entsiegelung. Raumplanerin meint: "Es gibt keine durchgängigen Programme. Die, die es gibt, kennen viele Gemeinden nicht. Da braucht es mehr."

Rasengittersteine sind ein Kompromiss aus Natur und Beton.
Foto: iStockphoto/Martín Damian Monterisi

Vorbild Bayern

Lernen könnte man von Bayern: Dort erhalten Gemeinden bis zu 80 Prozent der Kosten für Entsiegelungsprojekte erstattet. Wie das funktioniert, weiß der Raumplaner Matthias Rühl, der viele Entsiegelungsprojekte in bayerischen Gemeinden umgesetzt hat. Er sagt: "Das Programm kann jeder wahrnehmen, und es wird auch sehr gut angenommen."

Gründe, warum in bayerischen Gemeinden mehr Asphalt verschwindet als hierzulande, sind andere Prioritäten in der Raumordnung, ein früherer Start der Förderungen und – naheliegend – das Geld. "Die Förderkulisse mit den 80 Prozent reißt es raus. Wenn man etwas erreichen will, geht es nur übers Geld", meint Rühl.

Auch wenn es kostet und dauert: Ist die Beton- oder Asphaltdecke weg, kann ehemals versiegelter Boden wieder Wasser aufnehmen. Das zeigt sich sogar, wenn nicht gänzlich entsiegelt, sondern nur rückgebaut wird – wie etwa beim Schotterrasen.

Doch kann aus einem Parkplatz wieder Lebensraum werden? Denn bei der Versiegelung wird der Oberboden entfernt, der verbleibende zusammengepresst. Regenwürmer überleben in solch verdichteten Böden nicht. "Der Boden braucht Sauerstoffzufuhr, Humus und Begrünung. Damit kann er sich wieder einrenken", sagt Julia Seeber, Bodenökologin an der Universität Innsbruck.

Reißt man den Asphalt wieder weg, gehört der Boden gelockert und begrünt. "Eine geschlossene Vegetationsdecke mit einem guten Wurzelsystem ist wichtig", so Seeber. Denn der Wurzelraum ist Lebensraum für Mikroorganismen und Bodentiere.

Wird der Asphalt entfernt, wacht auch die Mikrofauna wieder auf, erklärt die Bodenökologin: "Fadenwürmer oder Rädertierchen haben Überdauerungsstadien. Wenn sie wieder Luft und Wasser bekommen, erwachen diese Tiere quasi wieder zum Leben." Wie lange es dauert, bis in entsiegelten Flächen wieder Regenwürmer graben, ist je nach Standort unterschiedlich. "Bis das System wieder funktioniert, dauert es lange. Aber es ist kaum ein Boden so tot, dass er sich nicht regenerieren könnte", sagt Seeber.

Verteilte Zuständigkeiten

Die Best Practices von Dornbirn bis Mödling zeigen, dass es möglich ist, den Boden von Asphalt und Beton zu befreien. Um mehr solche Projekte umzusetzen, wünscht sich Raumplanerin Sibylla Zech "ein Entsiegelungsprogramm auf Bundesebene – inklusive entsprechender Kampagne."

Zudem bräuchte es bessere Beratung und höhere Förderungen für Gemeinden. "Regionale Leitplanung sollte in Zukunft ein riesiges Thema sein", merkt Marita Widmann, Leiterin des Planungsreferates in Mödling, an. "Um Entsiegelungsprojekte umzusetzen, muss der politische Wille da sein. Gesetzliche Vorgaben sind auch sehr wichtig." Gundula Prokop vom Umweltbundesamt meint: "Was in der Theorie wünschenswert wäre und was in der Praxis passiert, sind zwei verschiedene Sachen."

Warum kaum entsiegelt wird, erklärt sich wohl auch aus der Komplexität der Materie. Politisch fällt Entsiegelung in die Agenden Raumplanung, Bodenschutz und Regionalentwicklung. Verantwortlichkeiten sind zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt. Eine bundesweite Entsiegelungsstrategie wird es deshalb auch in Zukunft nicht geben, so Prokop.

Die vom Bund initiierte österreichische Raumordnungskonferenz, die Länder, Städte und Gemeinden versammelt, verabschiedete im Oktober des letzten Jahres das österreichische Raumentwicklungskonzept 2030. Darin steht: "Der sparsame und schonende Umgang mit Ressourcen und der Schutz der natürlichen Lebens- und Ernährungsgrundlagen" seien "das Gebot der Stunde."

Bis zum 2,5-Hektar-Ziel der Regierung ist es allerdings noch ein weiter Weg. Um es zu erreichen, wird es langfristig wohl nicht genügen, nur den laufenden Flächenfraß zu stoppen. Das Land muss auch Bodenverbrauchssünden der Vergangenheit in Angriff nehmen. (Laura Anninger, 19.1.2021)