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Einwanderungsminister Alex Hawke annullierte das Djokovic-Visum.

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Novak Djokovic ist nicht bei allen willkommen.

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Novak Djokovic hat die Australian Open noch nicht ganz abgehakt. Am Sonntag wird entschieden.

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Melbourne – Alex Hawke hat sich Zeit gelassen, aber die Gelegenheit genützt – am Freitagabend (Ortszeit) machte der australische Immigrationsminister von seinen außerordentlichen Befugnissen Gebrauch, das Einreisevisum von Novak Djokovic persönlich neuerlich zu annullieren. Erst am vergangenen Montag hatte Djokovic vor Gericht sein ursprünglich bei der Einreise am 5. Jänner kassiertes Visum zurückbekommen und die Erlaubnis erhalten, das Ausreisepflichtigen zugewiesene Hotel in Melbourne zu verlassen. Richter Anthony Kelly hatte vor allem Formalfehler der Einreisebehörden berücksichtigt.

Auf freiem Fuß

Djokovic, der ab 17. Jänner seinen Titel bei den Australian Open zu verteidigen hätte, erhebt nun auch gegen den Ministerentscheid Einspruch. Eine Anhörung vor den Einwanderungsbehörden war für Samstag terminisiert, bis dahin wurde von einer neuerlichen Festsetzung des 34-Jährigen abgesehen. Anschließend stehe Djokovic aber wieder unter Kontrolle der Behörden, hieß es. Medien spekulierten zuletzt noch über die Möglichkeit eines Überbrückungsvisums für den Sportler, der sich zuletzt intensiv mit seinem Betreuerteam um Coach Goran Ivanisevic im Melbourne Park vorbereitet hatte.

Einwanderungsminister Hawke gab den Schutz des Gemeinwohls als Grund für seinen reichlich spät erfolgten Entscheid an. Er habe die Informationen, die ihm das Innenministerium, der Grenzschutz Australian Border Force und "Herr Djokovic selbst" zur Verfügung gestellt haben, "sorgfältig geprüft", beschied der Politiker der konservativen Liberal Party of Australia. Die Regierung von Premierminister Scott Morrison sei "fest entschlossen, die Grenzen Australiens zu schützen, insbesondere in Bezug auf die Covid-19-Pandemie".

Fehler über Fehler

Djokovic hatte eine medizinische Ausnahmegenehmigung für die Einreise nach Australien beantragt, da er offenbar nicht gegen das Coronavirus geimpft ist. In seinem ursprünglichen Antrag hatte er argumentiert, dass ihm die Befreiung von der Impfpflicht gewährt werden sollte, weil er Mitte Dezember positiv getestet worden war – übrigens schon zum zweiten Mal. Die Einreise wurde allerdings entgegen der ursprünglichen Genehmigung durch das Gesundheitsgremium von Tennis Australia und die Regierung des Bundesstaats Victoria verweigert.

Erst später wurde ruchbar, dass die Einreisepapiere des prominenten Ankömmlings fehlerhaft ausgefüllt waren. Demnach wurde die Frage nach Reisen im Zeitraum von 14 Tagen vor dem Flug nach Australien mit Nein angekreuzt, obwohl die in Monaco wohnhafte Nummer eins der Weltrangliste vor ihrer Ankunft in Melbourne nachweislich in den letzten Dezemberwochen in Belgrad und zu Jahreswechsel dann zum Training in Marbella, Spanien, war.

Zweifel über Zweifel

Zudem gibt es Zweifel, ob Djokovic tatsächlich als genesen gelten kann. Der positive Test vom 16. Dezember wird angezweifelt, auch weil Djokovic in den Folgetagen Termine wahrnahm, statt sich, wie auch nach serbischen Regeln erforderlich, in häusliche Isolation zu begeben. Zumindest dafür hat sich der Sieger von 20 Major-Turnieren entschuldigt. Das fehlerhafte Einreiseformular lastete er seinem Agenten an.

Djokovics Anwälte, zuvorderst ein gewisser Nicholas Wood, gaben am Freitag bekannt, an einem Berufungsantrag zu arbeiten, der am Sonntag vor der höchsten Instanz, dem Federal Court of Australia – einem Bundesgericht –, das Steuer noch herumreißen helfen soll. "Jede Minute, bevor das Turnier am Montag beginnt, ist kostbar", sagte Woods.

Die Regierung soll als eine Begründung ihrer Entscheidung angeführt haben, dass Djokovics Verhalten die Stimmung gegen Corona-Impfungen in der Bevölkerung schüren könne. Ziel der Juristen muss es jedenfalls sein, die getroffene Entscheidung nicht im öffentlichen Interesse erscheinen zu lassen.

Start?

Selbst wenn neuerlich zugunsten von Djokovic entschieden wird, ist dessen Antreten bei den Australian Open längst nicht gesichert. Der Titelverteidiger wurde zwar für die erste Runde gegen seinen serbischen Landsmann Miomir Kecmanovic gelost – die Veranstalter reagierten aber auf den neuerlichen Visumsentzug vorerst nicht, schließlich hat Djokovic noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft.

Bleibt die Ministerentscheidung aufrecht, nimmt der in Melbourne als Nummer fünf gesetzte Russe Andrej Rublew den Platz von Djokovic ein. Zudem rückt ein Lucky Loser aus der Qualifikation ins Hauptfeld auf. Große Spannung verspricht dann die Frage, ob Djokovic auch nach den Australian Open noch die Nummer eins der Tenniswelt ist. Sowohl der russische US-Open-Sieger Daniil Medwedew als auch der deutsche Olympiasieger Alexander Zverev könnten mit dem Turniersieg am "Djoker", der seit fast zwei Jahren ununterbrochen auf dem Thron sitzt, vorbeiziehen.

Langer Bann

Schlimmer noch: Bleibt der Visumsentzug durch Minister Hawke aufrecht, könnte Djokovic den Statuten nach drei Jahre lang keinen neuen Einreiseantrag stellen und maximal auf eine Sondergenehmigung der australischen Behörden hoffen.

Die ersten serbischen Reaktionen fielen erwartungsgemäß aus. "Unglaublich, was der Minister als Begründung angibt: die öffentliche Gesundheit und das Gemeinwohl, und das in einem Land, das täglich 150.000 Neuinfektionen hat", schrieb telegraf.rs. Eine regelrechte Verfolgung ortete blic.rs. Und informer.rs sah Belege für "Lynchstimmung".

Wegen der Opfer

Die Entscheidung gegen Djokovic kam freilich nicht unerwartet. Premierminister Morrison hatte schon vor Tagen die in Australien weitverbreitete Stimmung aufgenommen. "Diese Pandemie war für jeden Australier unglaublich schwierig, aber wir haben zusammengehalten und Leben und Lebensgrundlagen gerettet", sagte er. Die Australier hätten während der Pandemie viele Opfer gebracht "und erwarten zu Recht, dass das Ergebnis dieser Opfer geschützt wird".

Einer Umfrage der Mediengruppe News Corp zufolge befürworten 83 Prozent der Befragten den Versuch, Djokovic wieder des Landes zu verweisen. Ein Ergebnis, das diplomatische Verwicklungen als kleineres Übel erscheinen lässt.

Die Impfquote in Australien liegt bei 91 Prozent, viele Menschen sind über Ausnahmen für Ungeimpfte empört, zumal für prominente Ungeimpfte. (Urs Wälterlin aus Melbourne, Sigi Lützow, 14.1.2022)