Weil dem Vorarlberger Stadtrat Hämmerle zufolge die grüne Klubchefin Sigrid Maurer kritische Stimmen zur Impfpflicht nicht gehört, sondern "auf Schiene bringen" habe wollen, unterstützt dieser nun eine Initiative der ehemaligen Parteichefin der Grünen, Madeleine Petrovic, in der eine neue Corona-Strategie gefordert wird.

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Ausgerechnet für Bildung und Jugend ist Martin Hämmerle (Grüne) in der größten Vorarlberger Stadt Dornbirn zuständig. Am Donnerstagabend zog er im Gespräch mit den "Vorarlberger Nachrichten" einen Faschismusvergleich – und zwar, weil die Parteispitze nicht auf kritische Stimmen zur Impfpflicht eingehen würde. Sigrid Maurer könne die Grünen nicht als antifaschistische Partei bezeichnen und gleichzeitig dafür sein, Menschen auszuschließen. "Wo beginnt der Faschismus, wo hört er auf?", wird Hämmerle zitiert.

Grüne distanzieren sich

Das sorgte sofort für Reaktionen seitens der Vorarlberger Grünen. "Von diesem Schwachsinn distanziere ich mich augenblicklich und vollständig. So ein Vergleich ist absolut jenseitig", schrieb der grüne Landesrat und ehemalige Landessprecher Johannes Rauch auf Twitter. Auch Sandra Schoch, Landtagsvizepräsidentin und Vizebürgermeisterin von Bregenz, distanzierte sich bereits "ausdrücklich von solchen Vergleichen".

Rauchs Nachfolger Daniel Zadra und Eva Hammerer reagierten am Freitagvormittag ebenfalls: "Sachliche Kritik an Corona-Maßnahmen und eine politische Debatte sind das eine, aber mit seinem Vergleich mit Faschismus und dem Krieg in Afghanistan hat Martin Hämmerle eine rote Linie überschritten." In der Zeit des Faschismus seien "schreckliche Dinge geschehen, die mit der gegenwärtigen Situation in keiner Weise vergleichbar sind", so Hammerer. Es werde ein weiteres Gesprächsangebot an Hämmerle geben, er sei allerdings kein Parteimitglied, stellt Zadra klar.

Maurer wolle alle "auf Schiene bringen"

Allerdings nahm Hämmerle seiner Erzählung zufolge an einer Videokonferenz der Partei zur Impfpflicht teil. Klubchefin Sigrid Maurer sei allerdings nicht an den Argumenten interessiert gewesen. "Sie wollte alle auf Schiene bringen. Aus dieser Gruppe hat sich dann unsere Initiative gegründet, weil sich viele Grüne, die kritisch denken, nicht von der Parteispitze beschimpfen lassen wollen", so Hämmerle.

Ein Sprecher von Maurer bestätigte gegenüber den "Vorarlberger Nachrichten", dass es laufend Gespräche mit Mitgliedern und Funktionären gegeben habe. Es habe sich dabei aber nicht um Frontalunterricht gehandelt.

Initiative mit einigen (Ex-)Grünen

Die von Hämmerle angesprochene Initiative startete unter anderem die ehemalige Grüne Parteichefin Madeleine Petrovic, die vor einigen Wochen bereits mit Grußworten für eine Impfgegner-Demo aufgefallen war. Auf einer Website der Initiative, die sich "Die alternative Corona-Strategie" nennt, wird angegeben, dass die Forderungen von 103 Funktionärinnen und Funktionären der Grünen unterstützt würden, außerdem von 117 Parteimitgliedern, 3.510 Wählerinnen und Wählern der Grünen und 1.121 ehemaligen Grünen.

Im Büro von Maurer wird betont, dass es sich nicht um eine grüne Initiative handle – die Zahl der daran teilnehmenden Funktionäre sei verschwindend gering. Am Donnerstag sagte Maurer im Ö1-"Morgenjournal", dass der grüne Parlamentsklub jener sei, wo die Zustimmung für die Impfpflicht am höchsten sei.

Was die Initiative will

In einer Presseaussendung der Initiative heißt es, man lehne es ab, sich alle paar Monate impfen zu lassen, weil dabei keine Rücksicht genommen werde auf Antikörper oder den "natürlichen Immunschutz". Auch die 2G-Kontrollen werden kritisiert, die Regierung forciere mit den aktuellen Maßnahmen, dass die Menschen derzeit "in permanenter Angst" leben müssten. In so einer Welt wollen die Unterstützerinnen und Unterstützer der Initiative aber nicht leben – "wir wollen, dass sich Menschen auf offener Straße frei bewegen können; dass sie Geschäfte und Restaurants besuchen können, ohne einen QR-Code vorweisen zu müssen; dass Tests und Masken nur mehr in Ausnahmesituationen nötig sind; dass man keinen Abstand zueinander halten muss; kurz: dass wir vertrauens- und verantwortungsvoll miteinander leben."

Es gehe um mehr als um die Ablehnung der Impfpflicht. Die drei zentralen Forderungen lauten "Spaltung der Gesellschaft beenden", "Kindern und Jugendlichen ein unbeschwertes Leben ermöglichen" und "Frühbehandlung verbessern". Es gehe außerdem um ein neues Politikverständnis: "Der Staat ist nicht allein dafür verantwortlich, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen", heißt es in der Presseaussendung.

Grüner Rathausklub spricht von Privatmeinung einzelner Personen

Auch zwei grüne Bezirksräte aus Wien finden sich unter den Unterstützerinnen und Unterstützern. Angelika Pauer und Anselm Fleischmann kritisieren "völlig undifferenzierte Maßnahmen" der Bundesregierung, "Impfdruck" und "Angstmache". Eine Sprecherin des grünen Rathausklubs stellt diesbezüglich klar: "Die in dem offenen Brief formulierten Positionen sind abweichende private Meinungen einzelner Personen, wie es sie auch in anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen gibt. Die Grünen Wien stehen zu den parteiübergreifend getragenen Corona-Maßnahmen der Bundes- und Stadtregierung. Die Bekämpfung der Pandemie und die Erhöhung der Impfrate ist eine gemeinsame Anstrengung."

Petrovic ist auch Unterzeichnerin einer anderen Initiative namens "Zukunft jetzt". Hauptanliegen auch hier: "Die massiven Grundrechtsbeschneidungen, die mit einer Impfpflicht einhergehen, sind unverhältnismäßig." In dem Papier und auf der Website wird behauptet, die Impfung bringe nicht die erhoffte Wirkung, sie gleiche einer "dauerhaften medikamentösen Behandlung," sie bringe keine "sterile Immunität". Außerdem wird auch beschrieben, dass die Zulassung nur vorläufig sei und ihre "(langfristigen) Neben- und Schadwirkungen ebenso ungewiss wie die Wirksamkeit gegen Omikron und zukünftige Virusvarianten" sei.

Maßnahmenkritiker wollen nicht Maßnahmenkritiker genannt werden

Es gehe auch um eine neue Debattenkultur: Qualifizierungen wie Impfverweigerer, Schwurbler, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner oder Covidiot würden niemanden weiterbringen. Auch die Bezeichnung Maßnahmenkritiker "für Menschen, die bestimmte Maßnahmen – zum Beispiel Lockdowns, 2G oder Impfpflicht – kritisieren, aber gleichzeitig andere, grundrechtswahrende, diskriminierungsfreie oder präventive Maßnahmen befürworten" weisen die Unterzeichner zurück. Der Begriff "Impfgegner" sei außerdem für Menschen wie die Unterzeichner irreführend.

Warum die Behauptungen ins Leere gehen

Es stimmt zwar, dass die Impfung vor einer Infektion nicht so stark wirkt wie erhofft. Tatsache ist aber, dass sie sehr effektiv vor Hospitalisierung und Tod schützt. Hospitalisierungen sind bei Geimpften viel seltener – wenn, dann sind es großteils Menschen mit Vorerkrankungen oder Immunsupprimierung.

Es handelt sich auch nicht wie von der Initiative behauptet um eine "dauerhafte medikamentöse Behandlung" – das wäre, wenn regelmäßig ein Medikament eingenommen wird, das über Leber oder Nieren abgebaut wird. Das beeinflusst natürlich den Stoffwechsel und hat auch langfristige Nebenwirkungen. Die Impfung ist innerhalb weniger Tage vollständig abgebaut und wirkt dann nicht mehr im Körper. Das ist auch bei drei Stichen nicht anders, die übrigens auch bei einigen anderen Impfungen vorausgesetzt werden.

Auch langfristige Nebenwirkungen, die von den Unterzeichnern angesprochen werden, gibt es nicht. Man spricht stattdessen von Spätfolgen, weil diese oft erst spät erkannt werden. Weil sie sehr selten sind, müssen sehr viele Menschen geimpft werden, damit man sie als von der Impfung ausgehend erkennen kann. Sie treten aber jedenfalls Tage oder spätestens wenige Wochen nach der Impfung auf, nicht Monate oder Jahre später. Die Zulassung ist zudem nicht vorläufig, sondern bedingt. Das heißt lediglich, dass es Fristen gibt, bis zu denen weitere Studiendaten vorgelegt werden müssen.

Debatten in fast allen Parteien

Mittlerweile sorgt die Impfpflicht damit in beinahe allen Parteien für Debatten – während es sowohl Zu- und Abstimmung in der SPÖ gibt, gab diese Woche auch Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker bekannt, nicht für das Gesetz stimmen zu wollen. Und aus der Wiener ÖVP trat ein Mandatar wegen der Impfpflicht sogar aus und wechselte in die FPÖ. Bei den Freiheitlichen ist die Ablehnung des Gesetzes Konsens. Das gilt allerdings nicht für die Impfung an sich, die die Parteispitze um Herbert Kickl zwar klar ablehnt und kritisiert, die vom oberösterreichischen Landeschef Manfred Haimbuchner beispielsweise aber befürwortet wird.

Schulstadtrat sieht keinen Sinn in Schultests

Der Stadtrat aus Dornbirn will gegenüber den "Vorarlberger Nachrichten" aus Datenschutzgründen keine Angaben dazu machen, ob er geimpft ist. Um die Impfung per se gehe es ihm aber nicht. Vielmehr stößt er sich an der Pflicht – und an der 2G-Regel. Bezüglich der Folgewirkungen dieser Beschränkungen zieht Hämmerle noch einen krassen Vergleich: "Joschka Fischer war der erste Grüne, der einen Krieg mitgetragen hat. 20 Jahre später sehen wir die Folgen von Afghanistan. Wir wissen nicht, was wir heute auslösen." Beschränkungen hält Hämmerle nur dort für sinnvoll, wo es um den Schutz von vulnerablen Gruppen gehe – etwa in Pflegeheimen oder Krankenhäusern. In den Schulen hält er Tests für falsch und würde diese aufgeben, so der Schulstadtrat. Stattdessen solle man das Virus eher laufen lassen.

Bürgermeisterin hält Aussagen für "unangebracht und ethisch bedenklich"

Die Dornbirner Bürgermeisterin Andrea Kaufmann (ÖVP) fand im Gespräch mit dem STANDARD klare Worte: "Die Aussagen von Stadtrat Martin Hämmerle sind für mich und für viele, die sich in den vergangenen zwei Jahren mit viel Einsatz und persönlichem Engagement gegen die Pandemie und deren Auswirkungen gestemmt haben, nicht nachvollziehbar und völlig unangebracht."

Sie wolle außerdem auch klarstellen, dass die Stadt Dornbirn die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vollinhaltlich umsetze, auch in jenen Bereichen, für die Hämmerle politisch zuständig sei. Hämmerle habe hier keine operative Entscheidungsbefugnis und könne dadurch auch keine Anweisungen geben.

"Aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht ist die Immunisierung der Bevölkerung der einzige Ausweg aus der Pandemie. Mutationen entstehen dort, wo sich das Virus ungebremst weiterverbreiten kann. Die Aussage des Stadtrats, 'man sollte das Virus wohl eher laufen lassen', ist unverantwortlich und gegenüber den Opfern der Pandemie ethisch bedenklich", so die Bürgermeisterin. (Lara Hagen, 14.1.2022)