Wird über Arbeit gesprochen, wäre es da nicht angemessen, beide Enden des Spektrums ins Auge zu fassen: hie die Erwerbslosen – dort die Schwerverdiener?

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Als ich auf Fidschi meinen Leuten dort Adieu sagte, sagte Hiram, der Insulaner, breit lächelnd zu mir: "Look, Peter – you’re going back to Europe – and what will you do there? Get up early in the morning and then to work!" Hiram saß mit seinen Freunden rund um die Kava-Schüssel, aus der sie sich mit ihren Kokosnussschalen bald bedienen würden. Sie saßen auf dem Boden der offenen Veranda, vom Meer her kam eine angenehm kühle Brise.

In der traditionellen Dorfgemeinschaft auf Fidschi erledigen die Frauen so gut wie alle Arbeit: im Haus, im Garten, beim Einsammeln von Krebsen und Fischen auf dem Riff. Nur der nächtliche Fischfang auf offener See ist Männersache. – Eine ähnliche Einstellung, ja eine Verachtung der Arbeit finden wir in der Antike, bei Griechen und Römern.

Arbeit und Freiheit werden als unvereinbar aufgefasst, Arbeit ist Sklavendienst. Erst mit dem Christentum ändert sich das. Jesus und manche seiner Apostel waren ja selbst Handwerker und also mit körperlicher Arbeit vertraut. Die Unterscheidung zwischen als schmutzig angesehener körperlicher Arbeit und "sauberer" geistiger Arbeit wurde im Übrigen noch Jahrhunderte gemacht.

Einen Nachhall dieser Vorstellung – hören wir ihn nicht bis heute, laut und deutlich sogar, in Form fremder Sprachen und Dialekte: Etwa die Baustellen hierzulande, sie sind fast ausschließlich von ausländischen Arbeitern bevölkert – freilich nicht, weil sie verachtet, sondern weil sie billiger sind.

Grundsätzlich ist alle Arbeit Verkauf von Lebenszeit, so weit sie nicht selbstbestimmte Arbeit ist.

Gipfelpunkt: Akademiker!

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde insbesondere von der Sozialdemokratie – als eine Facette der Wiederaufbau-Ideologie – das Mantra gepredigt: durch Bildung zu besser bezahlter Arbeit! Blue-Collar sollte möglichst durch White-Collar ersetzt werden, der Blaumann durch den weißen Arbeitsmantel.

Höheres Sozialprestige war gleichsam als Zuwaage gedacht, mit dem Gipfelpunkt: Akademiker! – Jetzt zeigt sich, dass in manchen, auch gängigen Disziplinen ein Überschuss produziert wird, Leute, die das sogenannte akademische Prekariat bilden – Tendenz: steigend. Zugleich erleben wir einen Mangel an Facharbeitern.

Höchste Zeit also, das Versprechen von den goldenen Früchten, die der Akademiker pflücken darf, endlich durch Realismus zu ersetzen, durch ein Lob der Handarbeit etwa. Freilich, der Mythos von den sauberen Händen lässt sich, so lang erfolgreich verkauft, schwer entsorgen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Bildung, recht verstanden, ist etwas Wunderbares, öffnet sie doch Türen und Fenster zur Welt. Jedermann sollte sie zugänglich sein. – Der Erwerb von Kompetenzen, wie er nun aber von den Bildungseinrichtungen forciert wird, hat mit Bildung im herkömmlichen Sinn wenig zu tun. Fit soll der Einzelne werden für den jeweiligen Spezialbereich – und gut einsetzbar. Mein Gott, was bedeutet das für das Leben als Ganzes?

Produktive und unproduktive Arbeit

An der Stelle sei Adam Smiths gedacht, der als Begründer der klassischen Nationalökonomie und, ob zu Recht oder zu Unrecht, damit auch als Gründervater des Kapitalismus gilt. In seinem Hauptwerk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations unterscheidet er als Erster zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit.

Produktive Arbeit wirft einen Mehrwert ab, unproduktive nicht. Nachdem aber nur vom Mehrwert gelebt werden kann, durch produktive Arbeit geschaffen, ist klar, dass sich, aufs Leben einer Gesellschaft abgestellt, das Maß unproduktiver Arbeit, das man sich leisten kann, stets im Auge behalten werden muss.

Ich führe das so deutlich aus, weil Smith ganz klar einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und ökonomischer Verfasstheit herstellt: Das Unproduktive, seinem Sinn nach z. B. die Kunst, kann gesellschaftlich nur in eingeschränktem Umfang von Nutzen sein.

"Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", heißt es beim Apostel Paulus. Die aktuelle Version lautet im Moment: "Jeder, der gesund ist, soll arbeiten." – Wer wollte diesen Weisheiten widersprechen?! Die Frage, wie denn die angepriesene Arbeit ausschaut und etwa wie sie bezahlt wird und werden soll, geht dabei sang- und klanglos unter. Der Glanz vollmundiger Behauptungen bringt lästige Details taschenspielerisch zum Verschwinden.

Deutungshoheit der Ökonomie

Bei der Gelegenheit fällt mir zum Beispiel der Neubau eines Verteilerzentrums von Amazon in Tijuana, der mexikanischen Grenzstadt ein: Der wuchtige, hochmoderne Vierkantbau des Amazon-Centers ist umgeben von den hinfälligen Hütten eines Slums. Leicht vorzustellen, mit welchen Lohnversprechen Amazon hier die sogenannte "workforce" rekrutieren wird.

Früher einmal galt der Satz: Die Gesellschaft bestimmt, was denn Arbeit ist, was als solche anzuerkennen ist. In den wohlhabenden Industriestaaten, kommt mir vor, ist die Deutungshoheit in puncto Arbeit – ganz im Sinn von Adam Smith – von der Gesellschaft längst auf die Ökonomie übergegangen.

Wirtschaftliche – oft sind das auch technische oder prozessuale Notwendigkeiten im ökonomischen Ablauf – bestimmen, was Arbeit ist und wie sie zu leisten ist. In den meisten Fällen ist es der wirtschaftlich-technische Überbau, der uns die Aufgaben vorgibt, die wir – und wie wir sie – zu erfüllen haben. Die Gesellschaft? Ich weiß nicht, wie ich "Gesellschaft" noch definieren soll. Wo ist, was man Gesellschaft genannt hat, nur hingekommen?

Gesellschaftlicher Nutzen

Ein Sprüchlein meiner Großmutter: "Arbeit macht das Leben süß; Faulheit stärkt die Glieder." Die hier propagierte Süße der Arbeit ist wohl der gesellschaftliche Nutzen, den jeder, der arbeitet, schafft und sich also anrechnen kann, während der, der nicht arbeitet, bloß sich selbst zum Nutzen ist. Schön und gut, möchte man sagen: Wer aber bestimmt, was Arbeit heißt?

In den Märchen der Brüder Grimm gibt es eines, das irgendwie herausfällt, ganz aus der Reihe tanzt, mit dem Titel Der faule Heinz. Dieser Heinz liegt den lieben Tag lang im Bett, anstatt zu arbeiten – so stellt man sich mancherorts ja den typischen Arbeitslosen vor. Um diesen Zustand totalen Nichtstuns aufrechterhalten zu können, ehelicht Heinz die dicke Trine – sie soll an seiner Stelle das Nötige erledigen und herbeischaffen – aber, leider, die Rechnung geht nicht auf: Die Trine ihrerseits liegt auch den lieben Tag lang am liebsten im Bett.

Eine Lösung bahnt sich schließlich an: Kinder! Kinder müssen her! Das lässt sich doch leicht und noch dazu vergnüglich bewerkstelligen! Die Kinder könnten dann all die Arbeiten erledigen, die weder der Heinz noch seine Trine tun wollen. Indes – es kommt leider ganz anders, schnöde zerplatzt der schöne Traum. Näheres bei Grimm!

Auf wessen Kosten geht das?

Jeden Arbeitslosen unter den Verdacht zu stellen, ein fauler Heinz, eine dicke Trine zu sein, ist nicht nur wirklichkeitsfern, es ist infam. Freilich wird es immer Leute geben, die sich darauf verstehen, im Versorgungsröhrenwerk der Gesellschaft genau jene Stellen zu finden und aufsuchen, an denen der Nährbrei gratis heruntertropft. Kein System kann das verhindern.

Die leider gescheiterte Volksabstimmung in der Schweiz, die die Gehälter von Managern auf höchstens das Zwölffache eines Arbeiterlohnes beschränken wollte, hatte freilich ein anderes, weitverbreitetes, im Grund aber verwandtes Phänomen im Auge, das mindestens so von Übel ist wie das zuvor angesprochene: Verdient jemand etwa das Hundertfache eines Durchschnittsgehalts – in der Praxis ist das Verhältnis oft noch weit schiefer –, müsste man in dem Fall nicht sagen: Da kann einer vom köstlichen Nährbrei wohl nicht genug bekommen, gut – aber gleich so viel?

Auf wessen Kosten geht dieser wüste Appetit, diese obszöne Unersättlichkeit? Wird denn über Arbeit gesprochen, wäre es da nicht angemessen, beide Enden des Spektrums ins Auge zu fassen: hie die Erwerbslosen – dort die Schwerverdiener? So könnte man das Phänomen insgesamt vielleicht ein wenig passender ins Blickfeld bekommen, ins Auge fassen und vernünftig, das heißt ohne Unterstellungen und Vorurteile, gründlich diskutieren. (Peter Rosei, 16.1.2022)