Ein Meer aus Schildern: Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung am 22. November in Wien.

Foto: AFP / Joe Klamar

Das Coronavirus schleicht sich in unseren Sprachschatz ein. Zum einen hat es ihn erweitert: 2000 Wortkreationen hat das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren gesammelt. Das IDS ist die zentrale wissenschaftliche Einrichtung zur Dokumentation und Erforschung der deutschen Sprache. In ihrer Sammlung finden sich Schöpfungen wie "Impfdosenrückstau" oder "Hybridunterricht" – Neologismen, die auch in Österreich üblich geworden sind.

Zum anderen gehört zu unserem Wortschatz vermehrt wissenschaftliches Fachvokabular: "Herdenimmunität" etwa, "Reproduktionszahl", "Triage". Und dann gibt es noch Wörter, die an sich klar definiert und längst allgemein gebräuchlich sind, um deren Gebrauch aber ein regelrechter Kampf ausgebrochen ist. Es sind Begriffe, deren Definition im Laufe der Pandemie verschwommen ist.

Ein Überblick über einige dieser in die Schlacht geworfenen Kampfbegriffe:

Autonomie

Die Forderung, allein über den eigenen Körper zu bestimmen, ist eine zentrale der Corona-Maßnahmen-Gegnerschaft. Sie bezieht sich meist auf die Impfpflicht. Dass diese rechtlich zulässig ist, darüber herrscht unter Verfassungsjuristinnen und -juristen weitgehend Einigkeit. Der Staat hat ebenso für den Schutz vulnerabler Menschen Sorge zu tragen, wie er eine Überlastung intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten verhindern muss. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit verbürge zwar auch die Autonomie über den eigenen Körper inklusive des Rechts, sich gegen medizinische Behandlungen zu entscheiden, hielt Michael Lysander Fremuth, wissenschaftlicher Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Grund- und Menschenrechte, kürzlich in einem STANDARD-Gastbeitrag fest.

Wissenschaftlich ist aber bestätigt, dass die Impfung schwere Krankheitsverläufe deutlich reduziert, was das Gesundheitssystem und Leben anderer erheblich weniger stark gefährdet. Deshalb könne der Gesetzgeber "dem Individuum zumuten, den nicht unerheblichen Eingriff in seine Grundrechte aus Gründen der Solidarität mit anderen zu dulden, und eine Impfpflicht als Ultima Ratio einführen".

Diktatur

Wie eine Diktatur mit Freiheits- und Menschenrechten umgeht, führt China vor – gerade in der Pandemie. So versucht die Regierung in Peking jeden Hinweis, dass sich das Coronavirus von der Stadt Wuhan aus in die Welt ausbreitete, zu vertuschen. Wer widerspricht, wird mundtot gemacht oder verschwindet von der Bildfläche – während Kritik hierzulande lauthals auf die Straße getragen werden kann.

DER STANDARD

Doch Begriffe wie "Diktatur" oder auch Solidarität seien Abstrakta, die sich gut eigneten, um "immer wieder neu mit Bedeutung aufgeladen zu werden", sagt die Sprachsoziologin und Diskursforscherin Ruth Wodak. Auch wenn sie aus klar definierten politischen, historischen oder ideologischen Kontexten stammen, würden sie rekontextualisiert, wie das in der Linguistik heißt. Das bedeutet: Diese Begriffe werden in einen anderen Zusammenhang gestellt und erhalten dadurch eine neue Bedeutung. Die ursprüngliche Definition könne dabei schon mal komplett verloren gehen.

Es sei natürlich möglich, dass einige schlichtweg nicht wüssten, wie eine Diktatur funktioniert, sagt Wodak, aber: "Politische Parteien setzen solche Begriffe bewusst und strategisch ein." Der FPÖ und ihrem Chef Herbert Kickl sei "sicher bewusst", welche Assoziationen er wecke, "wenn er von ‚Maßnahmendiktatur‘ spricht und damit ein erschreckendes Bedrohungsszenario errichtet". Die demokratisch gewählte Regierung als Diktatur zu bezeichnen sei "bewusste Verzerrung und damit Desinformation".

Freiheit

Dieses Schlagwort findet sich häufig auf Schildern bei Corona-Demonstrationen. Was mit "Freiheit" konkret gefordert wird, mag sich im Einzelfall unterscheiden. Doch auch eine freiheitliche Gesellschaft sieht Regeln vor, die die Freiheit einschränken. So kassiert eine Geldstrafe, wer bei rotgeschalteter Ampel über die Straße geht oder beim Autofahren keinen Gurt trägt.

Die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Heidi Kastner hat sich in ihrem Buch Dummheit Gedanken darüber gemacht, wie es sein könne, dass manche Menschen sich nicht um ordentliche Entscheidungsgrundlagen für ihre Positionen bemühen. Sie kommt zu dem Schluss: Wer bei den Corona-Protesten "Freiheit" brülle, denke oftmals "nicht einmal eine Sekunde darüber nach, was Freiheit in einem demokratischen System eigentlich heißt. Da fängt das Missverständnis schon an." Freiheit sei immer begrenzt durch die Freiheit anderer: "Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Verantwortungslose Freiheit ist ein Oxymoron in einer Demokratie – das ist Anarchie."

Meinung

Dass sich eine Tatsachenbehauptung überprüfen lässt, während eine Meinung nicht als eindeutig richtig oder falsch klassifiziert werden kann – diese Unterscheidung scheint in der momentanen, aufgeheizten Stimmung unterzugehen. Fehlinformation ist zudem wie Unkraut, sie verschwindet nicht. Sie taucht selbst dann noch auf, wenn sie schon längst als Legende widerlegt worden ist. Das mag manchen schlicht entgangen sein. Doch Menschen tendieren selbst dann noch dazu, an diskreditierte Informationen zu glauben, wenn sie wissen, dass eben diese Informationen falsch sind. Psychologinnen und Psychologen nennen dieses Phänomen "Belief Perseverance", das sture Beharren auf Überzeugungen.

Entschuldigung

Es begann mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, der anlässlich des im November angekündigten Lockdowns für alle die Notwendigkeit sah, für diesen um Verzeihung zu bitten. Er trat eine Welle von Entschuldigungen los – vom damaligen Bundeskanzler bis hin zum Bundespräsidenten. Das mit dem Entschuldigen ist allerdings auch abseits des politischen Betriebs so eine Sache.

Susanne Jalka, Psychologin, Friedens- und Konfliktforscherin, sagt, prinzipiell werde der an sich allgegenwärtige Begriff oft gedankenlos ausgesprochen. "Meist ist es ein billiger Versuch, die eigene Beteiligung an etwas Unrechtem abzustreifen, indem man sich ‚ent-schuldigt‘, sich also der Schuld entledigen möchte." Genau genommen bitte man schließlich jemand anderen um Entschuldigung. Wichtiger wäre Janka zufolge eine ehrliche Diskussion darüber, was man getan hat, und dafür Verantwortung zu übernehmen, aber: "In unserer Kultur werden Fehler immer noch als Schmach empfunden."

Wirkung

Die Pandemie bringt stetig neue Virusvarianten hervor. Dabei stellt sich immer auch die Frage, wie potent die Impfung noch ist. Die Wirksamkeit bleibt aber weiterhin sehr hoch, selbst wenn sie durch Mutationen abgeschwächt wurde. Denn die hier eingesetzten Vakzine schützen zuverlässig vor schweren Krankheitsverläufen – dafür wurden sie entwickelt. Die Tatsache, dass eine Erkrankung oder Infektion nicht immer verhindert werden kann, mindert ihre Wirkung also nur bedingt.

Geht es um die Wirkung, müsse man "strenggenommen dazusagen, was damit gemeint ist", sagt der Molekularbiologe Martin Moder: "Gegen schwere Verläufe schützt die vollständige Impfung nach wie vor gut." Das sei der entscheidendste Faktor in der Frage der Belastung des Gesundheitssystems. (Anna Giulia Fink, 15.1.2022)