Verteidiger Rudolf Mayer (li.), hier auf einem Archivbild mit Standeskollegen Nikolaus Rast, vertritt einen 57-jährigen Chauffeur, dem Sexualstraftaten gegen von ihm Betreute vorgeworfen werden.

Foto: APA / HERBERT NEUBAUER

Wien – "Habe ich gemacht, Entschuldigung", sagt Angeklagter Ali A. dem Vorsitzenden seines Schöffengerichts, Andreas Böhm. Er gesteht damit, ein Jahr lang mindestens drei junge Frauen und ein unmündiges Mädchen sexuell belästigt und missbraucht zu haben. Als Fahrtendienstchauffeur für die Opfer, die aufgrund diverser Erkrankungen in ihrer geistigen Entwicklung nicht der Norm entsprechen. Nur den Vorwurf der Staatsanwältin, er habe bei einer Gelegenheit auch eine Frau mit dem Finger penetriert, bestreitet der 57-Jährige. Mit einer überraschenden Begründung: "Ich bin ein alter Mann. Das lässt mein Gewissen nicht zu." – "Klingt nicht sehr überzeugend, wenn Sie das andere gestehen", merkt der Vorsitzende hinsichtlich des Gewissenkonfliktes an.

Erfahrung mit dem Gericht hat der in Afghanistan geborene Staatenlose, der im Jahr 2001 mit seiner Familie nach Österreich kam, bereits. Im Dezember 2019 wurde er vom Bezirksgericht zu 240 Euro Geldstrafe verurteilt – da er bei seiner damaligen Firma eine junge Behinderte sexuell belästigt hatte. Der neue Arbeitgeber verlangte offensichtlich weder die "Strafregisterbescheinigung Kinder- und Jugendfürsorge" noch die "Strafregisterbescheinigung Pflege und Betreuung", wie Privatbeteiligtenvertreterin Elisabeth Wurzinger von der Kanzlei Plaz anprangert.

Spezielle Strafregisterbescheinigungen nicht eingeholt

In diesen speziellen Auskünften, die 2014 beziehungsweise 2020 eingeführt wurden, würden nämlich auch Sexualdelikte mit Strafen unter drei Monaten Haft aufscheinen. Doch damit nicht genug: Wie sich im Laufe des Prozesses herausstellt, haben drei Mütter dem Fahrtendienst die Vorwürfe ihrer Kinder gegen A. gemeldet, passiert ist offenbar nichts.

Das erste Mal wurde bereits am 13. Juli 2020 Alarm geschlagen. Die Reaktion des Gesprächspartners bei der Firma, die auch für den städtischen Fonds Soziales Wien tätig ist: "Der Herr hat gesagt, ich soll mir das gut überlegen, sie können sich das nicht vorstellen, da er ein Familienvater mit zwei Kindern ist", sagt eine Zeugin. Die nächste Mutter meldete sich am 30. April 2021. Sie hörte: "Bei dem Busfoahra kau i ma des ned vorstoin." Danach wurde zwei Tage lang nicht mehr abgehoben. Anfang Mai wurde das Unternehmen von der nächsten Betroffenen kontaktiert. Ihr wurde beschieden, sie möge "einen genauen Bericht" schreiben und übermitteln. "Danach habe ich nie mehr ein Wort gehört", erinnert sich diese Mutter.

Unternehmen ignorierte Vorwürfe

Erst eine Anzeige bei der Polizei brachte die Ermittlungen gegen A. ins Laufen, das Verfahren gegen das Unternehmen wurde von der Staatsanwaltschaft mittlerweile eingestellt. Privatbeteiligtenvertreterin Wurzinger will die Firma nun nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz belangen und Geld für die Opfer erstreiten.

2.000 Euro pro Opfer will sie auch von A., der grundsätzlich dazu bereit ist, den Schadenersatz zu leisten, es allerdings derzeit nicht könne, wie er übersetzen lässt. Vorsitzenden Böhm interessiert auch die Vorgeschichte: "Sie sind 2001 nach Österreich gekommen, haben auch immer wieder gearbeitet. Warum passiert das jetzt?", will er wissen. "Ich weiß auch nicht, warum es passiert ist", windet sich der Angeklagte.

Verteidiger Rudolf Mayer bittet darum, das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Siegfried Schranz zu verlesen. "Es ist ihm unglaublich peinlich, darüber zu reden", entschuldigt Mayer seinen Mandanten. Bei der Begutachtung war er gesprächiger: Seine Frau wollte ab 2019 keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihm haben, als Mann brauche er den aber alle zwei bis drei Monate.

Ehefrau ließ Angeklagten beschatten

Da ihn die Gattin in der Freizeit beschatten ließ, konnte er keine Bordelle aufsuchen und habe daher seine Schützlinge an ihren Brüsten und dem Genitalbereich betastet. Der Sachverständige kam zum Schluss, dass A. zurechnungsfähig sei und zwar eine pädophile Veranlagung habe, aber nicht so gefährlich sei, dass er eingewiesen werden müsse. Den Bedarf für eine Gesprächstherapie sah der vierfache Vater damals nicht.

Die Mütter der Opfer erzählen als Zeuginnen, dass ihnen zum Teil bis heute Verhaltensänderungen bei ihren Kindern auffielen und diese sich beispielsweise vor älteren Männern fürchten würden. Das unmündige Mädchen soll A. gefragt haben, ob sie "Reis kochen und bügeln" könne.

Das schwerwiegendste Anklagedelikt, die Penetration, spricht der Senat am Ende im Zweifel frei. Für den sexuellen Missbrauch von Unmündigen wird A. aber zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt. Zusätzlich wird ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen, nach seiner Entlassung darf er nicht mehr mit Kindern oder geistig Beeinträchtigen arbeiten. Mit den Worten "Ich danke allen Ihnen, die Strafe ist gut" nimmt der Angeklagte das Urteil an, auch die Staatsanwältin ist einverstanden, die Entscheidung ist daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 14.1.2021)