Eva (Laura Laufenberg) möchte den ihr versprochenen Proletarier Matti (Tim Breyvogel) schließlich doch nicht.
Foto: Alexi Pelekanos

Man darf es nicht vergessen: Gerade scheitert die Menschheit zwar vor allem an Pandemie und Klimawandel – aber auch die Klassenfrage ist noch nicht gelöst! So erstaunt es nicht, dass am Landestheater Niederösterreich Bertolt Brechts recht didaktisch daherkommende Komödie Herr Puntila und sein Knecht Matti zu sehen ist. Regisseurin Ruth Brauer-Kvam hat die Geschichte vom dem Alkohol verfallenen Gutsbesitzer und seinem wohlwollenden Chauffeur inszeniert, für die Bearbeitung von Paul Dessaus Musik zeichnet ihr Mann Kyrre Kvam verantwortlich.

Entstanden in den frühen 1940er-Jahren, hat Brauer-Kvam das Stück in die Disco-seligen Seventies verlegt: Die Kostüme (Ursula Gaisböck) mischen geschmacksverirrten Cowboyfetisch mit Arbeitsanzügen und viel Karo, im Fernseher auf der Bühne läuft eine durchgeknallte finnische Version von Y.M.C.A., das durchdacht schlichte und wandelbare Bühnenbild von Monika Rovan besteht – nebst Discokugeln – im Großen und Ganzen aus einer halbrunden, an einen Regenbogen erinnernden Treppe, die in schwer entzifferbaren Lettern der Schriftzug "Follow the" ziert. Dass dem nicht das Wort "Money" folgt, wird sich bei der Verlobungsfeier zeigen, wenn weitere Bögen mit "the Call of the Discoball" von der Decke segeln.

Menschenfreund und Macho

Denn Verlobung soll gefeiert werden – nicht etwa mit den zahlreichen Dienstmädchen, denen Puntila im Suff die Ehe versprochen hat, sondern jene von seiner Tochter Eva und einem Attaché. Subtilität war Brechts Sache ja eher nicht. Das Problem ist nun aber bekanntlich, dass Puntila im Rausch zwar ein herzensguter Mensch ist, ein Sozialist beinah, aber nüchtern ein unausstehlicher, cholerischer – nun ja, Kapitalist. Ist er nüchtern, soll Eva besagten Attaché heiraten, ist er besoffen, den Proletarier Matti.

Viel Sympathie hat die Inszenierung nicht nur für die Co-Autorin des Stückes, Hella Wuolijoki, die im Programmheft viel Raum erhält. Sondern auch für Eva, schön selbstgewiss und mit perfekt getimtem Humor gespielt von der wunderbaren Laura Laufenberg. Sie will den menschenfreundlichen, sich aber als Macho entpuppenden Matti (Tim Breyvogel) am Ende lieber doch nicht. Die Jekyll-und-Hyde-Haftigkeit von Tilman Roses Puntila bekommt, so souverän und ohne die übliche Suff-Manieriertheit seine Darstellung ist, in der zu fahrigen, konfusen Inszenierung jedoch zu wenig Raum, um zu verfangen.

Reizüberflutung

Denn mit Marthe Lola Deutschmann, Tobias Artner, Philip Leonhard Kelz und Michael Scherff übernehmen vier Spieler alle 16 übrigen Figuren und verfallen zwischendurch in deplatzierte, laszive Tanzeinlagen. Teils sind auch die Dialoge mit atmosphärischer Musik unterlegt (Live-Akkordeon Miloš Todorovski). Dazu kommt, dass das tragende Konzept (die Discokugeln!) nur nachvollziehbar ist, wenn man das Programmheft (€ 2,70) studiert hat.

Dem spielfreudigen, enorm wandlungsfähigen Ensemble zuzusehen macht Spaß – über fast zwei Stunden hat das aber, bei aller Reizüberflutung, zu wenig Substanz. (Andrea Heinz, 14.1.2022)