Die Gesellschaft befindet sich in einer Krise. Und zwar weltweit, seit bald zwei Jahren. Voraussichtliches Ende: ungewiss. Die Pandemie hat uns in einer Weise getroffen, der sich niemand entziehen kann. Sie ist eine Art kollektives Trauma, in dem eine kollektive Erregung stattfindet. Und trotzdem können manche Menschen besser damit umgehen als andere.

Klar, lustig findet es niemand, dass man seit nun fast zwei Jahren nicht entspannt Freunde treffen, essen oder ins Kino gehen kann. Dass eine Krankheit, von der man immer noch nicht weiß, welche Folgen sie genau hat und wie man sie eindämmen kann, unser aller Leben bestimmt. Doch nicht wenige schaffen es, auch Vorteile in dieser erzwungenen Einschränkung zu erkennen. Sie nutzen die Zeit für sich und wachsen auch an der Situation.

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Wer regelmäßig meditiert, vermehrt die graue Gehirnmasse, es mindert außerdem den Stresslevel enorm.
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Der Grund dafür ist eine gut ausgeprägte Resilienzfähigkeit. Dabei handelt es sich um eine Art innere Widerstandskraft, die in schwierigen Zeiten Halt gibt. Die Psychotherapeutin Monika Spiegel von der Sigmund-Freud-Privatuniversität spricht auch von "einem Immunsystem für die Seele. Resiliente Menschen sind jene, die einer Krise rückwirkend auch etwas Positives abgewinnen können. Die sie nicht als vernichtend empfinden, sondern als Herausforderung, die ein posttraumatisches Wachstum anstößt." Ein wichtiges Merkmal dieser Menschen: Sie verharren nicht in der Opferrolle, fühlen sich nicht benachteiligt, sondern übernehmen Selbstverantwortung.

Individuell versus kollektiv

Will man diese Widerstandskraft definieren, ist das gar nicht so einfach. Der Begriff stammt vom lateinischen "resilire", was "zurückspringen", "abprallen" bedeutet. Gemeint ist damit, dass man belastende Situationen oder Prozesse nicht in destruktiver Weise in sich aufnimmt, sondern sie an sich abfließen lässt, auf dadurch entstehende Probleme empathisch, konstruktiv und flexibel reagiert, weiß Spiegel.

Wie das gelingen kann, versuchen die sieben Säulen der Resilienz zu definieren: die Fähigkeit zur Akzeptanz, eine optimistisch-realistische Grundhaltung, Analyse- und Lösungsorientiertheit, Bindungsfähigkeit, weiters Selbstwahrnehmung, die Bereitschaft zur Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit, also das Bewusstsein, dass die eigenen Handlungen sich auch auf andere auswirken, positiv oder negativ. Diese Voraussetzungen sollen dazu befähigen, dass man in Krisen die eigene Handlungsfähigkeit behält oder auch wiedererlangt.

Das ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen, aber auch für Institutionen und Staatsgefüge. Ist dieses gut organisiert, kann es wichtige Unterstützung geben. Der Public-Health-Mediziner Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien nennt das eine kollektive Resilienz: "Auch eine Gesellschaft muss belastbar und widerstandsfähig sein. Das bedeutet, Entscheidungsträger müssen vorausschauend denken und handeln, Maßnahmen umsetzen, die eine drohende Gefährdung schon im Vorfeld abfedern oder zumindest das Ausmaß der eigenen Verletzlichkeit mindern. Da tut sich die Politik bekanntlich leider schwer."

Niederschwelliges Hilfsangebot

Beispiele dafür sind Bedrohungen wie Terroranschläge, Naturkatastrophen oder generell Folgen der Klimakrise. Und auch die Pandemie. Man weiß von solchen Ereignissen nie im Vorhinein, wann und in welcher Form sie eintreten. Nur dass das passieren wird und ein massiver Einschnitt ist. Deshalb ist es eine wichtige politische Aufgabe, Handlungsanweisungen und Kommunikationsleitfäden zu entwickeln, die im Katastrophenfall Halt geben.

So weiß man etwa, dass niederschwelliges Hilfsangebot in großen Krisen, wie Unterstützung bei Aufräumarbeiten, aber auch psychologische Betreuung und Gesprächsangebote, Betroffenen hilft, schlimme Ereignisse besser zu verarbeiten und diese nach einiger Zeit hinter sich zu lassen. Individuelle und kollektive Resilienz stehen also in enger Wechselwirkung. Hutter: "Alle, die eine entwickelte Resilienzfähigkeit haben, sind in der Krise ein Gewinn für die Gesellschaft."

Resilienz lernen

Diese Fähigkeit, sich mit Ereignissen zu arrangieren, hat man aber nicht automatisch. Tatsache ist, dass es den meisten Menschen schwerfällt, mit Unsicherheit und fehlender Stabilität umzugehen. Gerade am Beginn der Pandemie haben das viele gemerkt. Schlafstörungen, Antriebslosigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten waren weit verbreitet – alles Anzeichen dafür, dass die individuelle Belastung tendenziell zu groß ist.

Wer seine Resilienz stärken möchte, setzt auf Atemübungen und Entspannung. Die Wechselatmung aktiviert das parasympathische Nervensystem. Regelmäßig praktiziert, bringt das mehr Ausgleich ins Leben.
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Diese Symptome kämen daher, erklärt Psychologin und Glücksforscherin Heide-Marie Smolka, dass sich "der Mensch nach Sicherheit sehnt, nach Vorhersehbarkeit und Struktur. Alles Dinge, die durch die neue und unbekannte Situation ins Wanken geraten sind." Gut also, dass man die Fähigkeit zur Resilienz lernen und ausbauen kann.

Der richtige Fokus

Selbstfürsorge ist da ein wichtiges Thema. Was tut einem gut? Was verstärkt die negativen Gefühle eher? Smolka rät: "Man sollte der Krise nicht die ganze Aufmerksamkeit schenken. Besser ist, selbst und aktiv zu steuern, wie viel Zeit und Raum schwierige Themen bekommen, etwa durch bewussten Medienkonsum." Dadurch ändern sich natürlich nicht die Ereignisse, die Pandemie verschwindet nicht. Aber, betont Psychotherapeutin Spiegel: "Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, welche Bedeutung man den einzelnen Dingen zugesteht."

Die innere Ruhe und die Entspannung zu fördern ist auch gar nicht so schwer. Spiegel nennt ganz praktische Ansätze wie Yoga, spazieren gehen, beruhigende Musik hören, Atemübungen, Meditation (Anleitungen im Kasten unten). Die Möglichkeiten sind zahlreich, man muss nur ausprobieren und herausfinden, was für einen selbst das Beste ist.

Resilienz ist dabei keine fixe Konstante, jeder kennt das von sich. Manchmal ist man extrem stabil und belastbar, an anderen Tagen fühlt man sich sensibel und verletzlich. Der Grundstock dafür wird bereits in der Kindheit gelegt, erklärt Spiegel: "Wenn ein Kind lernt, Freude zu gewinnen, Beziehungen zu entwickeln, sich auf Bezugspersonen verlassen kann, hilft das. Es sollte aber auch lernen, wie man mit schwierigen Situationen umgeht, wie man sich nach einem Streit selbst beruhigt zum Beispiel."

DER STANDARD

Und nicht jeder prinzipiell resiliente Mensch ist bei jedem Thema gleich stabil: "Werden durch ein Ereignis schwierige Erfahrungen aus der Kindheit getriggert, unverarbeitete Verluste zum Beispiel, kann es sein, dass die eigentlich gut ausgebildete Widerstandskraft ins Wanken gerät." Aber auch da gibt es simple Übungen: "In einer Übererregung hilft es, dem Gehirn andere Reize zu übermitteln, etwa die Unterarme in kaltes Wasser tauchen oder Wechselbäder nehmen."

Luxusgesellschaft

Solche Tricks können extrem effizient sein. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass man die prinzipiell gute Ausgangslage um uns herum nicht aus den Augen verliert. Hutter meint: "Wir sind hier auf die Butterseite gefallen, unser Gesundheitssystem etwa funktioniert trotz Krise sehr gut, wie etwa der niederschwellige Zugang zu einer erstklassigen Gesundheitsversorgung, ohne sich in Unkosten zu stürzen, etwa im Zuge einer langwierigen Krebstherapie. Wir leben in einer Luxusgesellschaft, die aber von vielen nicht erkannt oder geschätzt wird."

Und der Facharzt gibt noch einen Denkanstoß: "Resilienz bedeutet für viele, dass nach Bewältigung einer Krise alles wieder so ist wie vorher. Gerade jetzt bei Corona möchten wir wieder zurück zur uns bekannten Normalität.

Dabei hat die Pandemie den Blick auf etliche Missstände, die unsere gewünschte Normalität mit sich bringt, geschärft. Die menschenunwürdigen Arbeitsplatzverhältnisse in der Fleischindustrie etwa, der erbarmungslose Wildtierhandel oder der Mangel an Solidarität. Man verdrängt das gerne. Aber wir sollten diese Chance nutzen, um diese bekannten Schwachstellen zumindest einmal anzugehen oder sogar zu beseitigen. Auch das ist Resilienz." (Pia Kruckenhauser, 17.1.2022)