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Justitia braucht Geld: Vor allem die Digitalisierung und anstehende Pensionswellen sorgen für Kosten.

Foto: Getty/Adamowicz

So viel Aufmerksamkeit wie im vorigen Jahr hat die österreichische Justiz schon lange nicht mehr genossen. Großflächige Ermittlungen gegen Regierungsmitglieder wie Ex-Kanzler Sebastian Kurz oder Ex-Finanzminister Gernot Blümel, aber auch gegen hochrangige Mitarbeiter aus den eigenen Reihen haben das Augenmerk der Öffentlichkeit vor allem auf die Staatsanwaltschaften gelenkt – und dort speziell auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die sah sich massiven, großteils faktenwidrigen Angriffen durch die türkise ÖVP ausgesetzt, was wiederum Standesvertreter, Teile der Zivilgesellschaft und die Opposition empörte.

Eine Folge dessen könnte eine einschneidende und von vielen schon seit Jahrzehnten geforderte strukturelle Änderung bei den Staatsanwaltschaften sein. Sie sollen eine neue Weisungsspitze erhalten, den Bundesstaatsanwalt. Im Justizministerium beschäftigen sich mittlerweile zwei Arbeitsgruppen damit, wie dieser Umbau aussehen könnte. Ziel der Reform ist, den Einfluss der Politik auf Strafverfahren möglichst zurückzudrängen. Der Status quo sieht so aus: Staatsanwälte sind gegenüber ihren Vorgesetzten weisungsgebunden, das letzte Wort hat der jeweilige Minister – also ein Politiker. Der hält sich in aller Regel an die Entscheidungen des Weisungsrates. Hält sich der Minister nicht an dessen Rat, muss er das gegenüber dem Parlament begründen.

Weisungen der anderen Art

Trotz dieser unter Justizminister Wolfgang Brandstetter 2016 eingerichteten Abschirmungskonstruktion hält sich der Vorwurf hartnäckig, es werde mitunter politisch entschieden. Dafür brauche es gar keine formellen Weisungen, es reichten schon Dienstbesprechungen mit entsprechenden Hinweisen der Vorgesetzten beziehungsweise wüssten die zuständigen – im Übrigen auf Vertragsverlängerung angewiesenen – Sektionschefs sowieso, was der jeweilige Minister will, sagt ein langjähriger Kenner des Systems. Zudem würden Staatsanwälte in ihrer Arbeit durch ebenso ausufernde wie zermürbende Berichtsaufträge gebremst, wie die ehemalige WKStA-Staatsanwältin Christina Jilek im Ibiza-U-Ausschuss erklärt hat. Insgesamt ein "struktureller Mangel", den es in anderen Ländern nicht gibt, sagt ein einstiger Staatsanwalt. In Italien etwa sind nicht nur Richter, sondern auch Staatsanwälte weisungsfrei.

Abgänge und ein Comeback

Justizinterne Konflikte und Anfeindungen durch die türkise ÖVP sind nicht ohne Folgen geblieben: Die frühere WKStA-Staatsanwältin Linda Poppenwimmer etwa wechselte öffentlichkeitswirksam zur Kanzlei Ainedter & Ainedter. Zu deren Mandanten zählen Beschuldigte in den laufenden clamorosen Ermittlungsverfahren der WKStA sowie die Rechtsschutzbeauftragte in der Justiz, Gabriele Aicher, die zuletzt mit heftiger Kritik an der Behörde aufgefallen ist. Ein klärendes Gespräch zwischen ihr und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ist noch ausständig. Jilek arbeitete nach ihrem aufsehenerregenden Auftritt im U-Ausschuss als Richterin weiter – nun steht sie vor einem Comeback in der WKStA.

Einen justizintern umstrittenen Schritt tat Gerhard Jarosch, früher Interessenvertreter der heimischen Staatsanwälte und später Präsident der Internationalen Staatsanwältevereinigung sowie Vertreter Österreichs bei Eurojust: Er wird Partner bei der PR-Firma des ÖVP-nahen Lobbyisten Wolfgang Rosam. Die Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts als politisch unabhängigen Weisungsgebers soll die Vermengung zwischen Politik und Justiz und daraus resultierende Konflikte abstellen. Doch rund um Art und Weise seiner Bestellung, Funktionsdauer und Kontrolle gibt es noch viele offene Fragen.

Die "Chat"-Debatte

Außerdem könnte die ÖVP noch eigene Begehrlichkeiten im Abtausch für den von ihr jahrzehntelang abgelehnten Bundesstaatsanwalt anmelden. Der Volkspartei geht es vor allem um Themen rund um Chats: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) forderte bereits höhere Hürden für die Sicherstellung von Smartphones und wünscht sich, dass Medien nicht mehr aus Ermittlungsakten zitieren dürfen. All das bezieht sich freilich auf politisch aufgeladene Großverfahren, die die öffentliche Wahrnehmung der Justiz zuletzt geprägt haben. Auch heuer werden diese Ermittlungen noch für Aufsehen sorgen, nicht zuletzt wegen des "ÖVP-Korruptions-U-Ausschusses". In dessen Fokus wird jedenfalls die Inseraten- und Umfrageaffäre stehen, die zum Rücktritt von Sebastian Kurz geführt hat. Auch die Vorgänge rund um die Steuerangelegenheiten von Unternehmer Siegfried Wolf werden die Abgeordneten beleuchten.

Die Schatten in der Justiz sind lang. Abseits der genannten Causen gibt es eine Reihe von Großverfahren, die seit Jahren ihrer sogenannten Enderledigung, also Anklageerhebung oder Einstellung, harren. Dazu gehört etwa die Aufarbeitung des Anlegerskandals Meinl European Land (MEL), in dem die Staatsanwaltschaft (StA) Wien seit mehr als zehn Jahren ermittelt. Dauerbrenner ist auch die Eurofighter-Affäre, die von der StA Wien zur WKStA übersiedelt wurde. Da geht es um die Beschaffung der gleichnamigen Abfangjäger und um Gegengeschäfte. Das Verfahren besteht aus verschiedenen Strängen, voriges Jahr wurde es gegen 25 Beschuldigte eingestellt, zum Teil aus Verjährungsgründen.

Eurofighter und andere Schatten

In zwei Verfahren aus dem Eurofighter-Komplex soll es heuer noch Hauptverhandlungen geben. Völlig im Schatten gelandet ist ein geopolitisch besonders brisanter und ebenfalls seit Jahren anhängiger Fall: Da geht es um die von den USA beantragte Auslieferung des russischen Oligarchen Dmitri Firtasch, der in Wien lebt. Ihm wird von den US-Behörden Korruption vorgeworfen, seine Verteidigung sieht hinter den Verdächtigungen politische Motive. Das Verfahren war eigentlich schon so weit abgeschlossen, dass die Auslieferungsentscheidung nur noch beim Justizminister lag – aber dann beantragten Firtaschs zahlreiche Anwälte eine Wiederaufnahme. Die Sache wird sich wohl weiterhin ziehen: Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung von Justizministerin Zadić sei eine "Einschätzung der Zeitdauer (…) nicht möglich".

In Fällen wie diesen manifestieren sich die unterschiedlichen Gründe, warum manche Verfahren überdimensional lange dauern. Zum einen nützen die Beschuldigten all ihre Rechte, zum anderen sind die Fälle nicht nur komplex, sondern haben auch Anknüpfungspunkte im Ausland. Das führt zu Rechtshilfeersuchen an ausländische Justizbehörden – und deren Erledigung dauert oft sehr lang.

Rufe nach mehr Ressourcen

Dazu kommt der strukturelle Ressourcenmangel in der Justiz. Vor deren "stillem Tod" hatte Zadićs Vorgänger Clemens Jabloner gewarnt. Seither gab es zwar Budgeterhöhungen, aber im grünen Bereich ist man noch lange nicht: Es fehlt weiterhin an Personal bei Staatsanwaltschaften und Richtern, besonders aber beim Kanzleipersonal, wie die Präsidentin der Richtervereinigung Sabine Matejka sagt.

Da seien zwar schon um die hundert neue Mitarbeiter eingestellt worden, aber gleichzeitig steht eine Pensionierungswelle bevor. Das gilt auch für die Richter, von denen zuletzt 30 bis 40 pro Jahr in Pension gegangen sind. In den nächsten zehn Jahren wird sich das verdoppeln. Entlasten könnte der Einsatz von juristischen Mitarbeitern, die die Richterschaft etwa bei Entscheidungsentwürfen unterstützen könnten, sagt Matejka. Auch IT-Kräfte braucht die Justiz für die laufende Digitalisierung dringend. "Eine digitale Aktenführung ist noch die Ausnahme", kritisiert Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages.

Kostenersatz und Ressourcenarmut

Er spricht auch ein anderes seit Jahren schwelendes Thema an: den Kostenersatz für Beschuldigte. Nach Freisprüchen bleiben die auf dem größten Teil ihrer Anwaltskosten sitzen; bei einer Einstellung der Ermittlungen bekommen sie gar nichts. Ein adäquater Kostenersatz würde, so Wolff, "einen hohen Standard an Rechtsstaatlichkeit zeigen", dieser wäre aber "natürlich ein großer finanzieller Aufwand" für den Staat. Ob sich selbiger das leisten will, ist fraglich. Denn allein die große Reform des Maßnahmenvollzugs, die Zadić für heuer angekündigt hat, wird viel Geld verschlingen – doch sie ist notwendig. Auch der Strafvollzug braucht mehr Ressourcen. Haftanstalten müssen renoviert werden, dazu kommt von dort der Ruf nach mehr Personal. Baustellen gibt es in der Justiz also mehr als genug – ob mit der erhöhten Aufmerksamkeit auch ausreichend Geld ins Haus kommt, das bleibt jedoch abzuwarten. (Renate Graber, Fabian Schmid, 15.1.2022)