Bild nicht mehr verfügbar.

Premier Petr Fiala wirbt um das Vertrauen der Abgeordneten. Sozialdemokraten oder Kommunisten sind nicht darunter.

Foto: AP / Petr David Josek

Zeitenwende in Prag: Am Donnerstagabend erhielt die rechtsliberale Regierung von Premier Petr Fiala nach einem knapp 24-stündigen Verhandlungsmarathon das Vertrauen des tschechischen Abgeordnetenhauses. Gleich nach der Wahl im Oktober hatte es noch gehörige Wirren rund um die Regierungsbildung gegeben. Präsident Miloš Zeman machte kein Hehl daraus, dass er lieber den bisherigen Premier Andrej Babiš im Amt belassen hätte. Auch dass das 77-jährige Staatsoberhaupt kurz nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses auf die Intensivstation eines Prager Krankenhauses eingeliefert wurde, sorgte für viel Unsicherheit im Land.

Am Ende ging der Machtwechsel dann doch weitgehend reibungslos über die Bühne. Nicht ganz alltäglich aber ist, dass der Mitte-rechts-Koalition im Parlament keine linke Opposition mehr gegenübersteht. Die Sozialdemokraten (ČSSD) nämlich sind bei der Wahl ebenso an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert wie die Kommunisten (KSČM). Auf den Oppositionsbänken sitzen nun nur noch die Abgeordneten der liberal-populistischen Partei Ano des Milliardärs Babiš und jene der weit rechts stehenden Gruppierung Freiheit und direkte Demokratie (SPD).

Partei mit langer Tradition

Vorbei sind also die Zeiten, in denen große Teile der politischen Landschaft Tschechiens an jene in Österreich oder Deutschland erinnerten. Denn während in anderen ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas nach 1989 häufig die einstigen – mehr oder weniger "gewendeten" – Systemparteien den Vertretungsanspruch im linken Spektrum erhoben, war in der damaligen Tschechoslowakei rasch eine traditionelle Sozialdemokratie zur Stelle, die ihre Wurzeln noch in der Habsburgermonarchie hatte.

Gegründet 1878 im Prager Gasthaus Zur Kastanie, konnte sie nach der Samtenen Revolution im November 1989 an ihre ideologische Tradition anknüpfen und dabei auf die Hilfe des sozialdemokratischen Exils zählen. Damit engte sie gleichzeitig den Spielraum für die Kommunistische Partei ein, die bis zuletzt weitgehend unreformiert blieb.

Dass beide nun als außerparlamentarische Opposition ihr Dasein fristen, hat gleich mehrere Gründe, erklärt der Politologe Jan Bureš, Prorektor an der Metropolitní univerzita in Prag. So würden etwa die Sozialdemokraten, die nach der Wende mehrere Regierungen anführten, am "Paradoxon des eigenen Erfolgs" leiden, zumal der Lebensstandard für viele Menschen mittlerweile gestiegen sei.

Kein Angebot an Liberale

Vor allem aber hätten sie es verabsäumt, sich inhaltlich breiter aufzustellen. "Neben klassischen Sympathisanten und Institutionen wie etwa Gewerkschaften, Arbeiterorganisationen und radikaleren Linken gibt es ja auch potenzielle Wähler aus der politischen Mitte, Linksliberale, Jüngere", so Bureš. Diesen meist urbanen Wählergruppen aber hätte die ČSSD kein Angebot gemacht.

Erst recht gilt das laut Bureš für die Kommunisten: "Das Durchschnittsalter ihrer Mitglieder ist um die 80. Wenn da jemand in der Partei mit moderneren Themen kommt, wird das von der Basis zurückgewiesen. Die interessiert sich einfach nicht für Umweltpolitik oder für die Rechte sexueller Minderheiten."

In der abgewählten Regierung Babiš dienten die Sozialdemokraten zudem als kleine Koalitionspartner von Ano, die Kommunisten tolerierten das Kabinett. Auch das hat beiden Linksparteien letztlich geschadet, glauben die meisten Beobachter. Babiš nämlich hatte vor allem Pensionistinnen und Pensionisten als wichtige Wählergruppe erkannt und neben Pensionserhöhungen auch einige andere sozialpolitische Akzente mitgetragen.

"Es wurde hart darum gekämpft, wem diese Erfolge der Regierung zuzuschreiben sind", erklärt die Umweltaktivistin Anna Kárníková, die sich in der "Plattform für eine bessere ČSSD" engagiert: "Als Premier und PR-starke Persönlichkeit hatte Babiš dabei sicher einen Bonus". Die Sozialdemokraten hingegen, von denen in Wahrheit viele Impulse ausgegangen waren, erschienen plötzlich nur als Trittbrettfahrer.

Milliardär als Stimme der Ärmeren

Von der neuen Regierung erwartet Kárníková sozialpolitische Einschnitte – und befürchtet, dass davon erneut Babiš profitieren wird: "Für ihn ist das ein idealer Handlungsraum. Er geht zwar nicht von authentischen sozialdemokratischen Positionen aus, aber das stört wohl die wenigsten. Babiš könnte im Parlament zur Stimme derer werden, die unter künftigen Sparmaßnahmen leiden."

Das letzte Wort ist dabei freilich noch nicht gesprochen. Zum einen beteuert die neue Regierung, bei der Budgetkonsolidierung sozial sensibel vorgehen zu wollen. Zum anderen liebäugelt Babiš damit, Anfang nächsten Jahres bei der Präsidentschaftswahl anzutreten. Das könnte das politische Gefüge in Tschechien erneut durcheinanderwirbeln.

Mehr als 30 Jahre nach der Wende gilt jedenfalls noch immer, dass besser gebildete, urbane und liberale Wählerschichten ihre politische Heimat eher rechts der Mitte sehen. "Aber viele, die von der Transformation nicht profitiert haben, können die neu gewonnene Freiheit in ihrem Alltag nicht umsetzen", beklagt Anna Kárníková. "Ihnen fehlen dafür schlicht die materiellen Voraussetzungen." Sich an beide Gruppen gleichzeitig zu wenden, wird für die einst so starke und stolze Sozialdemokratie auf keinen Fall leicht. Erst recht nicht jetzt, als Partei ohne Abgeordnete. (Gerald Schubert, 15.1.2022)