Kein Tier stößt bei so vielen Menschen auf Ekel, Ablehnung und blanke Furcht wie die Spinne. Unter den tierbezogenen Angststörungen rangiert die Arachnophobie verlässlich auf einem Spitzenplatz, Forscher schätzen, dass bis zu sechs Prozent aller Menschen zumindest phasenweise darunter leiden. Aber auch in großen Teilen der übrigen Bevölkerung rufen die Achtbeiner wenig Begeisterung hervor. Warum gerade Spinnen derartiges Unbehagen auslösen, lässt Wissenschafter schon lange rätseln: Denn die starke Abneigung steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefährlichkeit der allermeisten Achtbeiner.

Die Große Winkelspinne fühlt sich in dunklen Ecken und Kellern wohl. Für Menschen ist sie völlig harmlos – umgekehrt gilt das nicht.
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Dass Furcht und Ekel vor Spinnen nicht nur kulturell bedingt, sondern tief im menschlichen Gehirn verankert sind, haben zahlreiche Untersuchungen ergeben. Schon Babys zeigen Stressreaktionen, wenn sie Bilder von Spinnen gezeigt bekommen, wie ein deutsches Forschungsteam vor einigen Jahren herausfand. Eine prominente Erklärung für das angespannte Verhältnis von Menschen zu Spinnen geht daher von einer uralten evolutionären Prägung aus. Der Ursprung könnte demnach in der menschlichen Frühgeschichte liegen, als unsere Vorfahren größeren Gefahren durch Spinnen ausgesetzt waren – und eine lebensrettende Angstreaktion entwickelten.

Ekelerregendes Experiment

Allerdings gibt es da einige Ungereimtheiten. So sind nur etwa 0,5 Prozent aller bekannten Spinnenarten für Menschen wirklich gefährlich, etliche andere Tiere stellen eine viel größere Bedrohung dar. Und die meisten tatsächlich problematischen Achtbeiner finden sich nicht in Afrika, der Urheimat des Menschen, sondern in Australien und Südamerika – also auf den zuletzt besiedelten Kontinenten. Wie passt das zur tief sitzenden Urangst vor den Krabblern?

Tschechische Wissenschafter schlagen nun eine neue Erklärung vor, die das Rätsel lösen könnte: Furcht und Ekel vor Spinnen könnten vor allem auf giftige Verwandte der Achtbeiner zurückgehen, deren Körperbau dem von Spinnen nicht unähnlich ist – und die weitaus mehr Menschenleben auf dem Gewissen haben: Skorpione.

Tausende Todesopfer

Vieles spricht dafür, dass Skorpione die Menschheit schon seit jeher plagten, diese ebenfalls zu den Spinnentieren zählenden Tiere sind bis auf die Antarktis weltweit verbreitet. Zwar sind auch unter den Skorpionen weitaus mehr harmlose als gefährliche Arten zu finden, doch Furcht vor ihnen ist nicht unbegründet: 1,5 Millionen Skorpionstiche werden weltweit pro Jahr gezählt, rund 2600 davon enden tödlich. Zum Vergleich: Durch Giftspinnen sterben jährlich etwa 200 Menschen.

Der Sahara-Dickschwanzskorpion ist ein besonders giftiger und aggressiver Vertreter der Skorpione. Jedes Jahr sterben Menschen an seinem Stich.
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Um einem möglichen Zusammenhang zwischen Spinnenangst und Skorpiongefahr auf die Spur zu kommen, führte ein Team um Daniel Frynta von der Universität Prag ein aufwühlendes Experiment mit mehr als 300 Teilnehmern durch: Den Probanden wurden lebende Exemplare von insgesamt 62 verschiedenen Gliederfüßern präsentiert, darunter sogenannte Kieferklauenträger wie Spinnen und Skorpione, Insekten wie Kakerlaken, Ohrwürmer, Heuschrecken und Käfer, aber auch Krebstiere wie Krabben. Auf einer siebenstufigen Skala mussten die Versuchspersonen bewerten, wie eklig, furchteinflößend und schön sie das Getier fanden.

Gefürchtete Kieferklauenträger

Wenig überraschend zeigte sich, dass größere Exemplare insgesamt stärkere Empfindungen auslösten. Die Detailauswertung brachte auch andere Auffälligkeiten ans Licht, wie Frynta und Kollegen im Fachjournal "Scientific Reports" berichten: In der Kategorie Schönheit konnten Käfer und Krabben punkten, Spinnen und Skorpione wurden hingegen am ekligsten und furchterregendsten bewertet. Insekten erschienen im Vergleich harmlos.

Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Studienteilnehmer die präsentierten Kieferklauenträger als einheitliche Gruppe wahrnahmen und mit ihnen durchwegs negative Empfindungen verbanden. "Wir nehmen daher an, dass der Angst vor Spinnen eine generalisierte Angst vor Kieferklauenträgern zugrunde liegt, wobei Skorpione der ursprüngliche Stimulus dafür sein könnten", schreiben die Forscher.

Ob diese Erklärung Spinnenphobikern das Leben leichter machen kann, darf bezweifelt werden. Hilfsangebote für Betroffene gibt es aber längst, von Workshops bis zu Konfrontationstherapien. Zuletzt stellten Schweizer Forschende eine vielversprechende Smartphone-App namens Phobys vor, die Arachnophobikern bei der Angstbewältigung helfen soll. (David Rennert, 15.1.2022)